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Der Student von Ulm

In der schönen Reichsstadt Ulm am Donauflusse lebte zu Anfang des 16. Jahrhunderts der Bürgermeister Ludolf Ullmann. Er war durch Heirat, Klugheit und Glück zu einem Reichtum gekommen, wie ihn kein zweiter Bürger von Ulm aufweisen konnte. Denn ihm gehörten die schönsten Häuser und die kostbarsten Warenlager in der Stadt, und außerhalb Ulms besaß er zudem noch große Rittergüter mit festen Schlössern. Auf seinen Reichtum war Ullmann nicht wenig stolz. Mit Geringschätzung schaute er auf die herab, die nicht wie er mit Glücksgütern gesegnet waren, und da er auch hart und streng war, so war er bei der Bürgerschaft wenig beliebt. Sein finsterer, stechender Blick hatte etwas Unheimliches. Schritt er in seinem dunkeln, mit kostbarem Pelzwerk verbrämten Mantel, die goldene Amtskette um den Hals, durch die Stadt, so ging ihm alles scheu aus dem Wege; denn man wußte, daß mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Von seiner kalten Herzlosigkeit erzählte man sich aus seiner Jugendzeit eine böse Geschichte. Ein Mädchen aus guter Familie, der er die Ehe versprochen, hatte er einstens verstoßen, um eine reichere heiraten zu können. Vor Schmerz und Scham war die Ärmste davongelaufen und seitdem verschollen. Allgemein wurde in Ulm angenommen, sie sei mit ihrem kleinen Kinde zur Donau gegangen und habe sich dort ertränkt.

Zu der Zeit, da nachfolgende Geschichte sich zugetragen, wohnte bei Ullmann ein Student. Er war fremd in der Stadt, hatte weder Vater noch Mutter und wußte von seiner Herkunft nur soviel, daß seine Mutter im Frankenland in einem Kloster gestorben war, wo sie als Flüchtling mit ihm als kleinem Kinde Aufnahme gefunden hatte. Von den barmherzigen Klosterleuten war der verwaiste Knabe auferzogen worden. Sie hatten ihn auch, da er gute Gaben zeigte, im Lesen und Schreiben unterrichtet, und dann war er als fahrender Schüler hinausgezogen in die Welt, hatte die hohen Schulen zu Pavia, Paris und Prag besucht und war nach Ulm gekommen, um hier einen Bekannten aufzusuchen. Dem Bürgermeister gefiel der junge Mann, und da er schon lange einen tüchtigen Lehrer für seine Kinder suchte, so nahm er ihn auf in sein Haus. Nun hatte Ullmann eine Tochter, eine Jungfrau von etwa 18 Jahren. Sie fand Wohlgefallen an dem Studenten, da er nicht nur in aller Weisheit und in allen Künsten wohl erfahren, sondern auch ein herrliches Bild männlicher Kraft und Schönheit war. Sie verhehlte diese Gefühle auch ihrem Vater gegenüber nicht, als er eines Tages von ihr verlangte, sie solle dem Sohn eines reichen Ulmer Patriziers die Hand zur Ehe reichen. Der stolze Bürgermeister war über das Geständnis seiner Tochter nicht wenig entrüstet. Er mißhandelte das Mädchen in rohester Weise, und den Studenten schalt er, als er ihn zur Rede stellte, einen hergelaufenen Menschen und ehrlosen Schuft. Der Student war über diese Beleidigung aufs tiefste empört, um so mehr, als es ihm nie in den Sinn gekommen war, sein Auge zu der Tochter des reichen Bürgermeisters zu erheben. Er war zwar dem holden Mädchen gut, aber nicht anders als wie einer Schwester. Überwältigt vom Zorn rief er aus: »Wer ein armes Mädchen ins Elend hinausgetrieben hat, um dadurch Reichtum und Ansehen zu gewinnen, der ist ehrlos, nicht ich!« Über diese kühnen Worte wurde Ullmann blaß vor Wut. Gern hätte er den Jüngling sofort seine Macht fühlen lassen, aber er scheute das Gerede in der Stadt. So beherrschte er sich, wies den Studenten aus dem Zimmer und sann nun darauf, wie er an ihm insgeheim Rache nehmen könnte.

Den Studenten litt es nach diesem Vorfall nicht mehr länger in Ullmanns Hause. Er verließ noch an demselbigen Tag die Stadt. Schon hatte er die Mauern und Tore hinter sich und wanderte, das Felleisen auf dem Rücken und den Knotenstock in der Hand, emsig die Straße dahin. Da hörte er plötzlich hinter sich Pferdegetrappel, und als er sich umwandte, sah er einen Trupp Reiter auf sich zusprengen. Es waren Ulmische Stadtreiter, die ihm nachgejagt kamen, und ihn, als sie ihn erreicht hatten, im Namen des Ulmer Stadtgerichtes gefangen nahmen. All' seinen Fragen, warum dies geschehe, setzten sie eisiges Schweigen entgegen. Gebunden wie einen Mörder brachten sie ihn nach Ulm zurück, wo er die Nacht über in den Gefängnisturm geworfen wurde. Am andern Morgen wurde er herausgeholt und vors Gericht gebracht, und da erfuhr er nun zu seinem großen Erstaunen, daß er beschuldigt sei, dem Bürgermeister Ullmann einen kostbaren goldenen Becher gestohlen zu haben. Der Student erkannte sofort die Rache des Bürgermeisters und bestritt entrüstet seine Schuld. Als man aber sein Felleisen hereinbrachte und es vor seinen Augen auspackte, wie erschrak er da, als sich in ihm der vermißte Pokal fand! »Ich weiß nicht,« sagte er, »wie der Becher in mein Bündel gekommen ist; ich selber habe ihn nicht hineingetan. Meine Unschuld kann Gott bezeugen!« Als er trotz aller Mahnungen, die Wahrheit zu gestehen, bei der Beteuerung seiner Unschuld verblieb, wurde er am andern Tag in die Folterkammer gebracht. Dort standen die Henker mit allerlei Marterwerkzeugen bereit, ein Geständnis seiner Schuld von ihm zu erpressen. Zuerst zogen sie ihm die eisernen Stiefel an, trieben dann zwischen das Eisen und das Schienbein des Armen mit schweren Hammerschlägen einen dicken Keil, der das Bein fürchterlich zerquetschte. Trotz der unsagbaren Qualen ließ der Gefolterte sich nicht herbei, eine Schuld zu gestehen. Ja, seine Standhaftigkeit ging so weit, daß ihm nicht einmal ein Schrei des Schmerzes entfuhr. Darum wurden noch andere Folterqualen an ihm versucht, aber mit keinem andern Erfolg als dem, daß der arme Jüngling endlich vor Schmerz und Schwäche bewußtlos zusammensank und blutig und an allen Gliedern zerschunden von den Henkern zurück in seinen Kerker getragen werden mußte. Das Gericht hielt aber durch die Auffindung des Bechers im Felleisen des Studenten die Schuld für erwiesen; es verzichtete auf ein Geständnis und sprach über den Gefangenen das Todesurteil aus.

Nach etlichen Tagen wurde das Urteil vollzogen. Der Student wurde aus dem Gefängnis auf das Rathaus gebracht, und es wurde ihm der Spruch der Richter vorgelesen. Hierauf setzte man ihn auf den Schinderkarren und führte ihn unter großem Zulauf des Volkes zum Tore hinaus auf den Richtplatz. Dort stand schon der Scharfrichter bereit, im roten Wams, mit aufgestülpten Ärmeln und das Schwert in der Hand. Der Verurteilte wurde vom Karren genommen und in den Kreis geführt, den die Stadtreiter bildeten. Schon wollte er sich auf den Armsünderstuhl setzen, als er nicht ferne von sich den Bürgermeister Ullmann zu Pferd erblickte. Der rachsüchtige Mann hatte es sich nicht versagen können, die Hinrichtung seines Opfers mit anzusehen. Beim Anblick seines grausamen Feindes erwachte in dem armen Studenten die ganze Leidenschaft seiner gemarterten Seele. Er sprang auf, trat gegen den Bürgermeister vor und rief mit donnernder Stimme: »Fluch sei dir, Ludolf Ullmann, grimmiger, ewiger Fluch, dir und deinem Geschlecht! Der Rächer der Unschuld soll dich mit des Wahnsinns furchtbarer Geißel schlagen, bis du zur Grube fährst und mir Rechenschaft gibst vor dem Richterstuhl des gerechten Gottes!« Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl, das Schwert des Richters blitzte, und im nächsten Augenblick rollte sein Haupt auf den Boden.

Der Bürgermeister Ullmann hatte die Worte des Studenten vernommen. Wie die Posaune des Weltgerichts klangen sie in seinen Ohren. Gelähmt vor Schrecken hing er auf seinem Pferde, das bleiche verzerrte Gesicht dem Richtstuhle zugewandt. Als der Kopf fiel, ging ein Schauder durch seinen Leib. Er spornte das Pferd durch die Menge, daß sie aufkreischend auseinander stob, und jagte in sausendem Galopp der Stadt zu. Auf der Treppe seines Hauses kam ihm händeringend seine Frau entgegen. Seine Tochter war vor Gram und Schmerz tobsüchtig geworden und gebärdete sich wie unsinnig. Als er zu ihr ins Zimmer trat, lief sie schaudernd vor ihm davon. »Fort von ihm!« rief sie, »er ist voll roten Bluts!« Ullmann schloß sich entsetzt in sein Zimmer ein und öffnete erst, als ein Bote kam und ihm im Auftrag des Stadtgerichts ein goldenes Medaillon brachte. Der Student hatte es als einziges Angedenken an seine Mutter stets auf der Brust getragen. Er hatte das Gericht vor seinem Ende gebeten, es in Ullmanns Hause zu tragen und dem jungen Fräulein zu übergeben. Der Bürgermeister wagte nicht, das Vermächtnis des Gerichteten anzurühren, und hieß den Boten, es auf den Tisch legen. Doch als der Mann fort war, zog es ihn mit magischer Gewalt zu dem Medaillon hin. Zitternd nahm er es in die Hand und drückte an dem Schlosse. Da sprang es auf und vor ihm stand das Bildnis eines wunderschönen Mädchens mit langem Goldhaar und lachenden blauen Augen. Doch was war das? Der Bürgermeister fing auf einmal an am ganzen Leibe zu zittern, sein Haar sträubte sich in die Höhe und mit einem lauten Aufschrei sank er in einen Sessel. Der Anblick des Bildes hatte seine letzte Kraft gebrochen, erkannte er doch in ihm das unglückliche Mädchen wieder, das er einst verstoßen hatte. Ihr Sohn, der Student, war also sein Sohn gewesen, und er hatte seinen eigenen Sohn dem Schwerte des Henkers überantwortet. Zerschmettert von der Wucht dieser Schicksalsschläge saß Ullmann in seinem Sessel. Er hörte nicht, wie seine Frau kam und ihn rief; er wußte nicht, daß die Nacht herniedersank und wieder der Morgen kam. Stumm starrte er vor sich hin. Nur von Zeit zu Zeit hob ein tiefer Seufzer die gemarterte Brust, und mit hohler Stimme sagte er: »Ewig verloren! Ich habe die Mutter und den Sohn gemordet!«

Die furchtbaren Begebnisse in Ullmanns Haus waren unterdessen auch in der Stadt bekannt geworden. Die Leute sagten: »Das ist Gottes Finger!« Und als noch ein Diener Ullmanns gestand, er habe im Auftrag des Bürgermeisters dem Studenten vor seiner Abreise den Pokal in das Bündel gesteckt, da war die Unschuld des Studenten klar und offenbar. Man gab der Leiche des unschuldig Gerichteten ein ehrliches Grab auf dem Friedhof der Stadt und setzte darauf einen Gedenkstein, der noch lange Zeit zu sehen war. Der Bürgermeister Ullmann verblieb bis zu seinem Tode in seiner geistigen Umnachtung. Seine Tochter aber verschied kurze Zeit nach dieser schrecklichen Begebenheit und wurde an der Seite des Studenten, ihres Bruders, begraben. Mit Vater und Tochter starb jedoch der Wahnsinn in der Ullmannschen Familie nicht aus. Von Geschlecht zu Geschlecht erbte sich die fürchterliche Krankheit fort, ein Zeugnis dafür, wie Gott die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern bis ins 3. und 4. Glied.

(Nach J. Scherr von K. Rommel-R.)


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