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Haller Sagen.

I.

Der Siedershof.

Die Stadt Hall verdankt ihre Entstehung dem Halbrunnen, der inmitten der Stadt unweit des Kocherflusses sich findet. Jetzt speist sein Wasser das Solbad, in früheren Zeiten wurde es verwendet, Salz daraus zu sieden. Denn ehe die großen Salzlager am Kocher und untern Neckar entdeckt wurden, war das Salz ein rarer Artikel in Württemberg, und man mußte mit ihm im Haushalt recht sparsam umgehen. Die Haller Salzsieder machten damals gute Geschäfte. Ihre Siedhäuser füllten den jetzt freien Platz um den Halbrunnen aus, und Tag und Nacht erlosch das Feuer nicht, denn man wollte möglichst viel von dem köstlichen Gewürz gewinnen. Die Salzsiederei und der Salzhandel machten die Stadt Hall groß und reich. Deshalb standen auch die Salzsieder in Hall in hohem Ansehen und erhielten auch allerlei Rechte und Privilegien. Ihr jährliches Zunftfest, der sogenannte Siedershof, wurde von der ganzen Stadt mitgefeiert, und heute noch stehen Siederstanz und Siederstracht in Hall in großen Ehren, wenn auch das Fest selbst mit der Siederzunft oder Siederskompagnie schon längst eingegangen ist. Über die Entstehung dieses alten Haller Festes wird folgendes berichtet.

Es war dereinst am Feiertag Peter und Paul (29. Juni), als die ledigen Siederssöhne auf dem großen »Unterwöhrd« zu allerlei Kurzweil versammelt waren. Da geschah es, daß aus der gegenüberliegenden Dorfmühle, die die Stadt anno 1490 an sich gebracht hatte, plötzlich ein Hahn mit Zetergeschrei zum Dachladen herausflog. Die Sieder sahen es und bemerkten zugleich, wie das Feuer zum First herausschlug. Schnell waren sie nun bei der Hand und dämpften durch geschicktes und mutiges Eingreifen den Brand. Zum Andenken an diese Tat verwilligte der Rat der Stadt Hall der Siederskompagnie alljährlich Früchte zu einem Kuchen und Wein zu einem Fest, genannt der Siedershof. Auch die Domherrn zu Komburg lieferten Gaben dazu, und so kam es, daß der Kuchen gewöhnlich 100 Pfund und samt der Krönung 120 Pfund wog. Dieser Kuchen wurde an Peter und Paul in feierlichem Festzug durch die Straßen der Reichsstadt getragen, und aus der Dorfmühle schüttete man für die Armen etliche Körbe voll mürbes Brot, die sogenannten Mühleschifflein, zum Fenster hinaus.

Der Anfang des Festes fiel auf den Pfingstmontag. Da versammelten sich die ledigen Siederssöhne, genannt »Hofburschen«, nach 12 Uhr am Siederssteg. Um 1 Uhr marschierte man unter Trommel- und Pfeifenschall einigemale auf dem »Unterwöhrd« auf und ab und machte sodann einen gemeinsamen Ausflug in ein benachbartes höllisches Dorf. Nach dem Nachtessen war dann wieder Sammlung auf dem »Unterwöhrd«, von wo aus man ins »Kuchenhaus« ging, d. h. in dasjenige Wirtshaus, in welchem man den Siedershof zu feiern bereits übereingekommen war. An den nächsten Sonntagen zogen die Mitglieder der Siederskompagnie paarweise zur Kirche, die zwei erstenmale in roter Tracht, das letztemal schwarz in Mänteln, jedesmal mit Degen und dreieckigem Hut mit silbernen Tressen. Während der ganzen Festzeit durfte kein »Hofbursche« den andern mit »Du« anreden, bei Strafe von 2 Maß Wein. Am Peter- und Paulstag, als dem Ehrentag der Haller Sieder, herrschte im Siedersviertel schon in den Frühstunden regstes Leben. Burschen und Jungfrauen, welch letztere längst zuvor von ihrem Gesellen geladen worden waren, putzten sich festlich heraus und kaum, daß die Morgenglocke 6 Uhr geschlagen, so versammelten sich die Hofburschen im Kuchenhaus. Um 9 Uhr geht der Zug in die Dorfmühle. Der Kuchen wird abgeholt und bekränzt vom Dorfmüller zum steinernen Steg getragen. Dort übernimmt ihn der Kuchenträger aus der Reihe der Siedersburschen, und abwechslungsweise mit den 4 Ältesten der Siedersburschen bringt er ihn zum»Unterwöhrd«. Von hier ziehen sie mit dem Kuchen durch die wichtigsten Straßen der Stadt, und endlich im Kuchenhaus geht's an die Verteilung des umfangreichen Gebäcks. Zunächst werden hierbei die Vorsteher der Stadt und das Halgericht bedacht, ingleichen der Prediger und Stadtpfarrer, sowie der Dechant von Komburg. Hernach erhält jeder Siedersbursche sein wohlgewogen Teil. Nachmittags folgt der Tanz auf dem »Unterwöhrd«, der mit dem Läuten der Torglocke endet. Am nachfolgenden Tage wird »der Bronnenzug« gehalten. In roter Kleidung versammelt man sich nach der Frühsuppe und zieht nach dem Gebet mit »Salven und Trinken vor das Rathaus«, dann nach der Gelbinger Straße bis zu dem Brunnen außerhalb des Josefsturms. Diejenigen Hofburschen, die den Siedershof zum erstenmal mitfeiern, müssen hier um den Brunnen herumtanzen, und werden durch dreimaliges Bespritzen mit Wasser von den Ältesten eingeweiht. Hierauf geht der Zug zurück zum Kuchenhaus. Unterwegs wird bei allen Brunnen, desgleichen an dem Gasthof zum »Hirsch« mit Schüssen salutiert. Nach dem Mittagsmahl ist wieder Tanz auf dem »Unterwöhrd«. Am Sonntag nach Peter und Paul wird das Fest sodann mit Tanz beschlossen. Dabei wird der Vers gesungen:

Mei Muetter kocht mer Zwiebel und Fisch,
Rutsch her! Rutsch hin! Rutsch her!
Se weiß wohl, daß i's geare iß,
Rutsch her! Rutsch hin! Rutsch her!

(Nach Haller Berichten. C. Sch.)


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