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Der Holgeist

(Vom unteren Neckar)

Es hat sich der Fährmann zur Ruhe gelegt
Mit Weib und Kind.
»Frau, hörst du, wie sich der Laden bewegt?«
»Es ist der Wind!«
»Nein, horch, vom Flusse tönt Holgeschrei!
Ich möchte nur wissen, wer das noch sei!
Von hier ist niemand mehr drüben.«
Und lauter und näher der Holruf erscholl
Vom Flusse her.
Da faßt den Fergen ein tiefer Groll;
Er seufzt wohl schwer:
»Man läßt mir nicht Ruh' bei Tag und bei Nacht,
Und hab' ich die Augen kaum zugemacht,
So muß mich ein Störefried wecken.«

Er hebt sich vom Lager, schlüpft schnell ins Gewand,
»Hol!« ruft es, »Hol!« –
Nimmt rasch die schwere Laterne zur Hand;
Nun, Schlaf, fahre wohl!
Dann eilt er zur Fähre; dort liegt sein Boot.
Was tut man nicht alles ums liebe Brot!
– »Seid still! Ich hole euch über!«

Schon steht er im Nachen, die Kette ist los.
»Hol!« tönt es fort.
Nun zwingt er das Fahrzeug mit kräftigem Stoß
Vom hohen Bord.
Es mischt sich des Lichtes zitternder Glanz
Mit irrenden Wellen zum nächtlichen Tanz;
So gleitet der Nachen hinüber.

Der Ferge blickt auf zu des Ufers Wand:
»Wer rief nach mir?«
Doch Stille herrscht rings auf Strom und Land:
»Ist niemand hier?«
Nein, nirgends ein Wandrer, nicht weit noch breit.
Der »Holruf« schweigt, nur das Käuzchen schreit
Dort hinten aus leuchtenden Weiden.

Doch plötzlich der Nachen, er schwankt und bangt
Vom schweren Tritt,
Und eine hohle Stimme verlangt:
»Nun, nimm mich mit!«
Da regt der Ferge das Ruder voll Hast:
Der Nachen geht tief, wie von riesiger Last
Unsichtbar, o Schrecken! beschweret.

Den Fährmann erfaßt es wie kalter Graus;
Er spricht kein Wort.
Es bläst ihm schnell die Laterne aus;
Er steuert fort.
Schon stößt der Nachen an sichern Strand.
Ein mächtiger Schritt erdröhnt vom Land.
Das Schifflein tanzt leicht auf den Wellen.

Der Ferge legt still das Ruder beiseit,
Verläßt das Boot.
Da leuchtet ihm durch die Dunkelheit
So feurig rot
Vom Sitzbrett des Nachens ein Groschen, wie hell:
»Das ist dein Fährlohn, wackrer Gesell!«
So tönt es vom Ufer hernieder.

Was soll er tun, der bestürzte Mann?
Ihn zwingt die Not.
Keck faßt er den glühenden Groschen an,
Und wär's sein Tod.
Nicht brennt ihn der Finger, 's ist ehrliches Geld.
Er hat's in der Tasche den Kreuzern gesellt,
Das Silber zu fünfzig Stück Kupfer.

So kehrt er nach Hause, die Tasche so schwer.
Der Groschen war schuld.
Sein Weibchen fragt hastig die Kreuz und die Quer Voll Ungeduld. Der Ferge spricht leise mit bebendem Mund:
»Ich habe den ›Holgeist‹ geführt zur Stund,
Den Holgeist, den Riesen vom Neckar.«

Als drauf nach ruhlos entschwund'ner Nacht
Der arme Wicht
Die Tasche leert mit gutem Bedacht
Beim Morgenlicht,
Da fand sich der Groschen des Holgeist's, so neu
Und fünfzig güldne Dukaten dabei:
»O Holgeist, dich führt' ich noch öfters!«

(Fr. Hummel)


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