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II.

Am Mummelsee.

Fast in der gleichen Höhe wie der Wildsee liegt der Mummelsee, nur weiter westlich jenseits des Gebirgskamms auf badischem Gebiet. Der Weg dorthin bietet die beste Gelegenheit, die Krummholzkiefern auf sumpfigem, mit dichtem Moos und Heidekraut bewachsenen Boden zu bewundern. Die einsame Gegend ist so recht eine Vorbereitung zum Besuch des Mummelsees, der, umgeben von düstern Tannenwaldungen, in tiefem Bergkessel vor dem Wanderer plötzlich auftaucht.

Seinen wundersamen Namen hat das Wasser von den Seeweiblein, hier Mümmelein genannt, die statt der Fische darin hausen. Wer bei Tag an den See kommt, erblickt zuweilen weiße Lilien auf dem dunkeln Wasserspiegel. In mondhellen Nächten aber geht eine rasche Umwandlung mit ihnen vor. An Stelle der Blumen sind holde Mümmelein zu sehen, die sich fröhlich im Bade tummeln. Liebliche Harfentöne begleiten den vielverschlungenen Reigen, bis zuletzt die ganze Nixenschar das Ufer aufsucht. Hier setzen sie das muntere Treiben fort. Die bleichen Wangen überziehen sich mit einem zarten Rot und bilden einen lieblichen Gegensatz zu den weißen, duftigen Gewändern. Schlag 12 Uhr erscheint ihr Vater an der Oberfläche des Sees und ruft die Töchter in die Flut zurück. Sie kennen den strengen Nix und tauchen rasch mit ihm unter, um am andern Morgen wieder als Lilien zu erscheinen.

Früher haben Jäger und Hirten die Mümmelein öfters gesehen. Ein kecker, schöner Jägerbursche erblickte einst ein Seeweiblein, das mit einem Sträußchen aus Feldblumen in den zarten weißen Händchen am Ufer saß. Das Mümmelein sah so lieblich aus, daß er rasch zu ihm hingehen wollte. Doch kaum hatte ihn die schöne Nixe erblickt, so sprang sie erschreckt auf und verschwand im See. Ihr Schleier, ein zartes, meergrünes Gewebe, blieb im Gebüsch, durch welches sie schlüpfte, hängen. Obwohl die wunderbare Erscheinung nur wenige Augenblicke gedauert hatte, so war doch die Liebe mächtig in des jungen Weidmanns Herz eingezogen. Schnell griff er nach dem Schleier und barg ihn als teures Pfand an der Brust. Seine Ruhe war für immer dahin. Bleich und still streifte er bei Tag umher, und wenn sich die Nacht herniedersenkte, wanderte er von dem einsam gelegenen Försterhause hinauf an den Mummelsee. Doch fand er nie, was er suchte. Ein Freund, der ihm sein Geheimnis abgelauscht hatte, entriß ihm eines Tags den Schleier, band ihn an einen schweren Stein und versenkte ihn in der schwarzen Flut. Geheilt wurde aber der Jägerbursche dadurch nicht; seine Sehnsucht vermehrte sich nur. Beim schwachen Lichtschein des ersten Mondviertels kam er einst wieder an den See. Das sonst so ruhige Wasser brauste unheimlich und warf hohe Wellen. Ein Blitzstrahl erhellte die Dunkelheit für einen Augenblick. Der Jäger sah deutlich das teure Gewebe auf der Mitte des Sees und rief: »Der Schleier, der Schleier! Das Seefräulein winkt!« Ohne sich lange zu besinnen, stürzte er in die brausende Flut und zerteilte mit kräftigen Armen die Wellen. Schon hatte er die Mitte des Sees erreicht, schon hielt er den Schleier in den Händen. Da zog es ihn mächtig in die Tiefe. Die Wasser schlugen über ihm zusammen, und dann wurde der Spiegel wieder ruhig und glatt.

Weniger schüchtern zeigte sich ein anderes Mümmelein. Sein warmes Herz, das es trotz der feuchten Wohnung in der Brust trug, zog es zu einem Hirten hin, der seine Kühe und Schafe während der Sommermonate in der Nahe des Mummelsees hütete. Er lag an einem schönen Sommerabend auf weichem Moospolster und vertrieb sich die Zeit damit, daß er seiner Holzpfeife allerlei einfache Melodien entlockte. Doch klangen die Töne heute ganz anders als sonst. Betroffen darüber legte er sein Pfeifchen weg und beobachtete den Zug der Wolken. Da raschelte es auf einmal neben ihm, und vor ihm stand ein Wesen, wie er es in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Aus dem runden, rosigen Gesichtchen schauten ein Paar große schwarze Augen hervor. Das eng anliegende Gewand war aus Seide und von wunderbarer Farbe. Durch das dunkle Haar, welches aufgelöst über den Rücken bis zur Erde niederfiel, zogen sich weiße Seerosen, und dazwischen schimmerte es, wie von tausend Diamanten. Beim Anblick dieses holden Wesens vergaß der Hirte Kuno alles um sich her. Endlich öffneten sich die roten Lippen zu einem freundlichen Lächeln und zu den Ohren des Hirten drangen die Worte: »Warum pfeifst du nicht mehr? Es ist so schön und ich höre dir so gerne zu.« Kuno nahm seine Pfeife und setzte sie an den Mund. Sprechen hätte er in diesem Augenblick nicht können. Und nun blies er noch schöner als zuvor; aber die gewohntesten Töne klangen ihm wieder fremdartig, übernatürlich. Wie lange Kuno musizierte, wußte er selbst nicht; doch fühlte er endlich, daß ihm der Atem fast ausging. Er legte die Pfeife aufs neue weg. Eine Weile saßen die beiden einander stumm gegenüber. Dann überwand er seine Schüchternheit und begann: »Bist du eines der Mümmelein, die da unten am Grunde des Sees in einem goldenen Palast wohnen?« – »Ja, ich bin ein Mümmelein,« antwortete sie. »Aber hier oben bei dir ist es so schön. Da möchte ich immer bleiben.« – – »Und ich möchte mit dir hinuntersteigen in deinen glitzernden Palast; da muß es noch viel schöner sein. Nimm mich mit dir!« bat Kuno. Als darauf das Mümmelein erwiderte: »Das darf ich nicht; es ist mir strenge verboten, jemand von da oben in das feuchte Reich einzuführen,« ließ der Hirte traurig den Kopf sinken. Nach einer Weile fuhr er fort: »Dann komm' du jeden Tag zu mir herauf!« »Das will ich tun, wenn ich kann,« gab sie zur Antwort. »Aber wenn ich einmal ausbleibe, so warte geduldig. Geh' ja nicht an den See, um mir zu rufen; es wäre unser Verderben!« Der Hirte versprach, diese Mahnung nicht zu vergessen. Von jetzt an verlebten die zwei die schönsten Tage am Mummelsee. Das Mümmelein kam jeden Tag zu Kuno, der seine Herde nur noch in der Nähe des Sees weidete. Blieb die Wassernixe ab und zu einmal aus, so war sie am folgenden Tag bestimmt wieder da. Als freilich der Herbst ins Land zog und die Tage immer kürzer und die Lüfte kühler wurden, da kam eine große Unruhe über Kuno. Er dachte an die Trennung während des langen Schwarzwaldwinters. Das Mümmelein lachte, als er ihm sein kummervolles Herz ausschüttete und sagte: »Die Eisdecke bleibt nicht ewig auf dem Mummelsee; nach dem strengen Winter wird wieder alles grün. Wie herrlich wird dann das Wiedersehen sein! Auch können wir uns noch oft sehen; denn die Herbsttage zählen zu den angenehmsten da oben.« Einmal hatte Kuno zwei Tage nacheinander umsonst auf seine Gespielin gewartet. Der dritte Tag schien keine Änderung zu bringen. Rastlos umkreiste er den See und war öfters nahe daran, das Verbot zu übertreten und den geliebten Namen zu rufen. Da wurden die stillen Wasser unruhig. Kuno vernahm ein Rauschen in der Tiefe, wie er es seither beim Emporsteigen des Seefräuleins gewohnt war. Die Freude raubte ihm jede Besinnung, er eilte hinzu und mit starker Stimme rief er in den See hinab: »O Mümmelein, laß mich nicht so lange warten!« Kaum war der teure Name seinen Lippen entschlüpft, da fuhr ein gewaltiger Windstoß durch die Tannen. Ein Blitzstrahl zuckte hernieder; der Donner rollte gewaltig, und der See begann zu kochen und zu zischen. Ein Schmerzensschrei drang aus der Tiefe an sein Ohr. Auf dem Wasserspiegel erschien ein großer Blutfleck, von dem sich ein weißes Röslein löste und dem Ufer zuschwamm. Jetzt merkte Kuno, daß er durch seine Unvorsichtigkeit den Zorn des Alten vom See mächtig erregt und eine schwere Strafe über das Mümmelein gebracht hatte. Voll Entsetzen eilte er vom See weg und ward nie mehr gesehen. Aber auch die Mümmelein ließen sich in der Gegend nicht wieder blicken. Das Schicksal der lieblichen Schwester mochte ihnen zur Warnung dienen. Bald darauf ließ sich ein Einsiedler mit ergrauten Haaren in einer Felsschlucht nahe der Wasserfälle bei Allerheiligen nieder. Über seine Lippen kam nie ein Wort, außer wenn er zu seinem Gott betete. Ein alter Jäger behauptete, der Einsiedler habe viele Ähnlichkeit mit dem Hirten vom Mummelsee, nur seien seine Züge hart wie aus Stein gemeißelt.

(Nach Bernow und Eynatten von Bolz.)


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