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St. Urban.

Im 9. Jahrhundert erschien in Schwaben, von St. Gallen ausgesandt, ein christlicher Sendbote, der dem schwäbischen Volk, das noch in den Banden des finsteren Heidentums lag, das Evangelium bringen wollte. Dieser Glaubensbote hieß Urban. Er predigte überall, vom Bussen bis an den Neckar herab, besonders aber in der Nähe von römischen Niederlassungen, z. B. in Rottenburg, Ulm, Cannstatt. Als er alt geworden war, bewohnte er in der Nähe von Cannstatt eine Klause, und diesen Ort nannten seine Anhänger Altenburg (des »Alten Bur oder Burrle«). Um des alten Urbans Klause erhoben sich bald viele Wohnungen, die sich zu einem Städtlein vermehrten, welches endlich gar mit einer Mauer umgeben wurde. Von hier aus entsandte Urban wiederum seine Lehrboten; er selbst aber predigte soweit im Umkreise, als seine Füße ihn just an einem Tag zu tragen vermochten. Hatte er sein Berufswerk vollendet, so kehrte er wieder heim nach Altenburg am Strande des Neckars. Hohe Stangen mit Querhölzern als Zeichen des Kreuzes verkündeten, daß Christen hier wohnten.

Urban unterrichtete seine Zuhörer aber nicht nur in den christlichen Heilswahrheiten, sondern er lehrte sie auch die Reben pflanzen und die köstlichen Beeren keltern und den Saft in Kufen bewahren zum Umtrunk bei frohen und traurigen Vorkommnissen. Hieran fanden gar viele Menschen aus leicht begreiflichen Gründen guten Gefallen, und wo ein sonnenreicher Berg sich erhob, der am ehesten vom Schnee befreit war, da wurden Reben gepflanzt mit großer Sorglichkeit und unermüdlichem Fleiß, so besonders an den südlichen Höhen von Cannstatt bis hinauf nach Eßlingen und hinüber nach Wendlingen. Dieser Ort wurde später »Winnenden« (oder Weinende) geheißen, weil bis dahin der Weinstock blühte.

Daß aber bemeldeter »Win nit besten Tronks ist, lauft draußig herfür, daß man altkömmlich schlechtes Luitvolk mit den Worten schmähete: »Du bist so luderlich älls der Winnender Win!« Dieses Sprichwort war auch noch im Anfang des 18. Jahrhunderts im Schwang. Denn 1711 hieß ein Winzer aus dem Remstal einen liederlichen Bürger von Winnenden »einen Kerl, der so schlecht wie seiner Markung Wein seie«, hierüber klagte der Beschimpfte, »umb die Ehre seines Weins zu retten«, beim Vogten zu Waiblingen. Dieser aber gab dem Kläger den Bescheid, »die ihm angetane Schmach solle aufgehoben sein, und der Beleidiger zur Straf gezogen werden, sobald der Winnender Wein wirklich nicht mehr schlecht sei«.

Auch vom Stuttgarter Tal meinen einige Geschichtsschreiber, es sei dort nie ein Stutengarten gewesen, sondern der Name Stuttgart komme vom Ausstocken mit Reben, das erstmals durch den christlichen Sendboten Urban vorgenommen worden sei. Daher habe die Stadt früher Stockgarten geheißen, und daher heiße die Gegend zwischen dem Neckartor und Berg jetzt noch »Stockacht« oder »Stöckach«.

Bis zum Jahre 1320 war Stuttgart Filial von Altenburg, und manche Einwohner von Stuttgart mußten noch lang den sogenannten Galluszins bezahlen. Urban hatte nämlich Gaben gesammelt zum Bau des Klosters zu St. Gallen. Erst war es freier Wille, wer etwas geben wollte, dann eine Gewohnheitsgabe und später bei vielen eine Muß-Steuer. Denn manche Grundeigentümer schenkten aus Gottesfurcht dem heiligen Gallus ein Stück Land, dessen Ertrag dem Patron alljährlich verfiel. Wer nun dieses Land später kaufte, erbte, geschenkt erhielt oder bebaute, der war gehalten, einen gewissen Abtrag davon der Kirche zu Altenburg zu entrichten.

Den hl. Urban verehren noch heute unsere Weingärtner als ihren Schutzpatron. In Stuttgart und in Uhlbach hat man ihm unter der Gestalt eines Weingärtners ein Denkmal gesetzt, und beim Urban in Uhlbach steht in den Stein eingehauen der Spruch:

O heilger Urban, schenk uns Wein,
Wir wollen dafür dankbar sein!

(Nick.)

Schwarzwälder Sagen.

I.

Der Wildsee.

Der Schwarzwald birgt eine Reihe von Hochseen, die den Sommer über viele Besucher anlocken. Zu den schönsten gehört wohl der Wildsee im Flußgebiet der Murg. Wer vom Ruhstein zur Hornisgrinde emporsteigt, kann sich nach halbstündiger Wanderung seines Anblicks erfreuen. Wunderschön liegt er dann in der Tiefe, umgeben von dunklem Tannenwald. Lieblich blickt das »schwarze Auge« herauf und ladet zu kürzerer oder längerer Rast ein. Aber der Wanderer findet keine Zeit dazu; ihn zieht es auf die Höhe, wo die Blicke ungehindert in die Ferne schweifen können.

Nicht so eilig hatte es vor vielen Jahren ein junger Hirte mit frischen Wangen und blonden Haaren, der mit seinen Kühen den Waldweg heraufgekommen war. An der steilen Bergwand fanden die Tiere gute und ausgiebige Weide, und so konnte der Hirte tun und treiben, was ihm beliebte. Er folgte der Einladung der weltverborgenen Flut und stand bald am Ufer des Sees bei den unscheinbaren Trümmern einer Kapelle, zu der einst die Leute gewallfahrtet waren, und in deren Nähe ein Waldbruder seine einfache Hütte erbaut hatte. Auf einem moosbewachsenen Stein, der wohl als Türpfosten gedient haben mochte, setzte er sich nieder und ergötzte sich am Anblick des Sees und des weiten Waldmeeres. Stille Einsamkeit ringsum. Doch was drang plötzlich an sein Ohr? Waren das nicht die sanften Töne einer Harfe, die aus den stillen Wassern des düstern Sees hervorkamen? Eine solche Musik hatte er noch nie vernommen. Die Viehherde war für ihn vergessen, er starrte nur noch auf die schwarzbraunen Fluten, in welchen sich die rasch ansteigende Bergwand und die alten Tannen widerspiegelten. Und nun belebte sich das sonst so stille Wasser auf einmal. Von der Mitte des Spiegels gingen Kreise aus, die an den steinigten Ufern sich brachen. Dem Hirten wurde es ganz eigen ums Herz. Eine innere Stimme sagte ihm: »Fliehe diesen Ort, es naht dir Verderben!« Aber es war schon zu spät. Am Ausgangspunkte der kreisförmigen Wellen tauchte die Nixe des Wildsees, eine holde Jungfrau in wallendem Haar, mit einer goldenen Leier empor und erreichte in wenigen Augenblicken das Ufer. Hier lustwandelte sie und ließ die zarten Finger über die Saiten gleiten. Dazu sang sie ein Lied, so schön, daß es den Engeln im Himmel nicht besser gelungen wäre.

Die reinen Lüfte trugen den Gesang durch den Tann. Dort verstummten die befiederten Bewohner und flatterten dem Wildsee zu, wo sich die scheuen Rehlein fast geräuschlos schon eingefunden hatten. Die Käfer wollten nicht zurückbleiben, und selbst die langsame Schnecke tummelte sich an diesem Tag. Alles, was hören konnte, war auf dem nächsten Weg zum See zu sehen.

Und dort saß er, der Hirtenknabe, in Staunen versunken und konnte keinen Laut über seine Lippen bringen. Die warnende Stimme in seinem Herzen war verstummt. Er hielt sich für den Glücklichsten; denn Musik und Gesang galten nur ihm, das hatte er deutlich gehört. Das schönste Fräulein durfte er sein eigen nennen, die wunderbaren, überirdischen Töne zu jeder Stunde vernehmen, wenn er mit in die Tiefe hinabstieg. Und jetzt hatte sich die Zauberin zu ihm auf die Moosbank gesetzt, so daß die ganze Fülle ihrer Schönheit auf ihn eindrang, jetzt umfing sie ihn liebkosend, jetzt zog sie den Knaben mit sich und verschwand mit ihm in den Fluten. Über das Wasser hin klang noch einmal das Saitenspiel. Dann war alles still und niemand hat den Hirten mehr gesehen.

Als man den Hirtenknaben schon längst vergessen hatte, kam einmal das Töchterlein eines Harzreißers und Kienrußbrenners aus Buhlbach mit seinen Ziegen bis zum Wildsee herauf. Das Alleinsein war das Mädchen gewöhnt. Schon manchen Tag hatte es im Walde zugebracht, ohne einen Menschen zu sehen und ohne irgendwie Angst zu empfinden. So hatte auch der einsame See nichts Ängstigendes für das Mädchen, obwohl es schon gehört hatte, daß das Wasser schlimme Geister beherberge, die bei Tag als schwarze Fische zu sehen seien. Die Neugier trieb die Hirtin in die Nähe des Ufers. Sie wollte sich überzeugen, ob etwas Wahres an dem Gerede der Leute wäre. Und richtig, es war keine Täuschung. Dort von der Mitte her schwammen drei schwarze Fische, die ihre großen Augen drohend auf das Mädchen richteten. Auch der heitere Spielmann, von dem man im letzten Winter in der Spinnstube erzählt hatte, mußte in der Tiefe des Sees an der Arbeit sein. Seine Musik, die immer ein Unglück in der Nähe ankündigte, war deutlich zu hören. Bei solchen Erinnerungen entschwand dem Hirtenmädchen jeglicher Mut. So schnell als möglich wollte es mit seinen Ziegen den unheimlichen Ort verlassen. Aber schon nach wenigen Schritten blieb es wie angewurzelt stehen. Auf der Bergwand oben war ein fremder Herr in prächtigem Kleide zu Pferde erschienen. Von der Musik bezaubert, sprengte er spornstreichs den alten, schon nicht mehr benützten Pilgerweg herab, gerade auf den See zu. Mann und Pferd verschwanden alsbald in der Tiefe; nur der Federhut des Reiters schwamm noch einige Zeit oben auf dem Wasser. Wie die Hirtin nach Hause kam, wußte sie nicht zu sagen. Ihre wirren Reden konnte anfangs niemand zusammenreimen. Erst nach und nach erkannte man, daß sie den lustigen Spielmann des Wildsees gehört hatte, und daß seinem Spiel das Unglück auf dem Fuße gefolgt sei. Die alte Nachbarin aber sagte: »Ich wußte es ja, daß in diesem Jahre noch etwas Besonderes am Wildsee geschehen werde; denn in der vergangenen Christnacht hörte ich das Glöcklein der ehemaligen Wildseekapelle läuten.«

(Nach »Aus dem Schwarzwald« von Volz.)


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