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Gründung des Klosters Murrhardt.

In der Kirche zu Murrhardt, welche an die berühmte Walderichskapelle angebaut ist, befindet sich ein altes Grabmal in Sargform aus Sandstein gehauen. Auf dem steinernen Totenschrein sieht man eine liegende Figur mit einer Krone auf dem Haupte. In der Rechten hält sie ein langes Schwert, in der Linken den Herrscherstab. Die lateinische Inschrift an der Seite des Sarges meldet, daß dieses Grabmal dem Andenken des Kaisers Ludwig des Frommen gilt, der im Jahre 840 nach Christi Geburt, im 27. Jahre seiner Regierung, im 64. Jahre seines bewegten und an schmerzlichen Erfahrungen so reichen Lebens gestorben ist. Er soll nach den Worten der alten Inschrift der Stifter des Klosters Murrhardt sein.

Wie bekannt, mußte dieser Kaiser gegen seine eigenen ungeratenen Söhne, die sich gegen den Vater empört hatten, zu Felde ziehen. In der Nähe von Straßburg standen die Heere einander gegenüber. Aber in der Nacht vor dem entscheidenden Kampf wurde der unglückliche Fürst von seinen Kriegern verlassen. Die Treulosen gingen alle zu den Söhnen über. »Lügenfeld« hieß von da an der Ort, wo die Soldaten ihrem Kriegsherrn so schändlich den Eid brachen: Hilflos eilte der Kaiser mit einem einzigen Begleiter von dannen, um nicht in die Hände seiner unmenschlichen Kinder zu fallen. Über den Rheinstrom durch die wilden Tannengründe des Schwarzwaldes flüchtete sich der Unglückliche an die Ufer des Neckars und überschritt diesen Fluß an der Stelle, wo sich von Osten her die Murr in ihn ergießt. Im Murrtal wanderte er aufwärts durch dunkle Waldgründe und wilde Schluchten, ohne Rast, ohne Ruhe, gänzlich verlassen und einsam; denn der Oheim, sein treuer Begleiter, war ihm auf der Flucht gestorben.

Immer unwirtlicher und unwegsamer wurde die Gegend. Nirgends eine Spur von gesitteten Menschen, nirgends eine gastliche Hütte, eine freundliche Siedelung. Urwald deckte die rauhen Höhen und die finstern Schluchten, durch die der Flüchtling sich mühsam den Weg bahnte. Da drang plötzlich der Ton eines fernen Glöckleins an des Kaisers Ohr. Aufhorchend folgte er den Tönen. Er arbeitete sich durch das Dickicht zum Eingang einer Höhle am Talhang über der Murr. Ein Greis in der Tracht eines Einsiedlers trat dem Wanderer entgegen. Es war Walderich, der hier in einsamer Waldklause ein Leben der Andacht und der Weltentsagung führte. Bei ihm fand der Kaiser endlich eine sichere Zufluchtsstätte. Unerkannt lebte er bei dem frommen Mann in der Felsenklause; denn Ludwig gab sich für einen fränkischen Ritter vom Rhein aus, der vor der Übermacht seiner Feinde habe fliehen müssen.

Aber in einer Nacht wurde dem Einsiedler eine merkwürdige Offenbarung im Traum zuteil. Er glaubte, die Gestalt Kaiser Karls des Großen zu sehen, und eine Stimme rief ihm zu: »Bruder Walderich, den du beherbergst, ist der Gesalbte des Herrn, Ludwig, den seine Söhne vom Thron gestoßen. Aber der Herr wird ihn wieder erhöhen und ihm wieder seinen Thron geben!« Am andern Morgen erzählte der Klausner dem fremden Gaste seinen Traum. Da gab sich dieser zu erkennen. Aber noch lange beherbergte Walderich seinen flüchtigen Kaiser.

Da drang vom Rheine frohe Kunde. Sogar in dieses weltferne Tal wurde sie von fürstlichen Jägern getragen: Die Söhne des Kaisers bereuten ihre Freveltat und bemühten sich, den Aufenthalt des Vaters zu finden, um ihn wieder auf den Thron zu setzen. Da war für den Flüchtling des Bleibens nicht länger. Mit frommen Dankesworten schied Ludwig aus der stillen Klause. Zum Zeichen seiner kaiserlichen Huld schenkte er dem Klausner das Grundstück, auf dem seine Höhle lag, damit niemand hinfort das Recht hätte, ihn daraus zu vertreiben. Ja, er versprach dem frommen Manne, es soll eine Kirche und ein Kloster drunten im Tale gebaut werden, und Murrhardt soll deren Name sein.

Der Kaiser hielt Wort. Aus seiner Residenz in Frankreich sandte er tüchtige Baumeister und Steinhauer in die waldige Gegend an der Murr. Bald erhob sich in der einsamen Wildnis ein herrliches Gotteshaus, die schmucke Walderichskapelle, und ein Kloster, das für 12 fromme Brüder Raum bot und von einem schönen Garten und einer hohen Mauer umgeben war. Walderich, der Klausner, wurde der erste Abt dieses Klosters.

Und als der Kaiser nach kurzer Zeit gen Ulm zum Reichstag zog, kehrte er in Murrhardt ein und verlieh dem Kloster durch Brief und Siegel all das Gebiet rings umher zu Nutz und Frommen der Brüder. Walderich starb hochgeehrt im höchsten Greisenalter. Sie begruben ihn droben am Bergeshang, an dem Ort, wo seine Klause stand, und erbauten über seinem Grabe ein Kirchlein.

Heute noch liegt die Walderichskirche auf grünem Hügel über Murrhardt inmitten eines Totenackers, der schon über 1000 Jahre zum Begräbnis der Talbewohner dient. Sie zeigt frühromanische Bauart und an der Nordseite zwei merkwürdige Steine, in die Mauer eingefügt: der eine hat zwei springende Löwen, das Wappen der Grafen von Löwenstein, der andere das Lamm Gottes und das Brustbild der Maria. Links vom Westeingange der alten Kirche finden wir den Opferstock, der aus Bruchstücken des wundertätigen Walderichsteines besteht. Dies ist der Stein, der einst das Grab des Heiligen im Innern der Kirche deckte. Sieche und Bresthafte aller Art wallfahrteten von nah und fern zu diesem Gnadenorte, dem Grabe des Heiligen. Die Mönche im Tal, eifersüchtig auf den Ruhm des toten Walderich, ließen zu wiederholten Malen den Grabstein von seiner Gruft abnehmen und auf den Waltersberg schaffen. Jedesmal aber lag der Stein, ein sogenannter Schwebestein, am nächsten Morgen wieder an seiner alten Stelle über dem Grabe des Heiligen. Da ließen ihn die neidischen Mönche in Stücke zerschlagen. Aber auch diese behielten ihre Wunderkraft. Aus ihnen wurde der jetzige Opferstock der Kirche hergestellt, der die Gaben der frommen Pilger aufnimmt, wenn in der Karwoche zum Grabe des Heiligen gewallfahrtet wird.

(Fr. Hummel.)


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