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Die Glocken von Tiefenbach.

Wo das Jagsttal gleich unterhalb Crailsheim romantisch wird, wo die Wasser des Flusses durch eine tiefe, schmale Rinne jagen, erhebt sich auf Tiefenbacher Markung zur linken Hand der jähe Bergkopf der Eulenburg. Hier lebten einst in burglichem Hause drei Fräulein v. Roten. Im tiefen Frieden der vergessenen Einsame lebten sie, ferne den Menschen, ihrem Gott, wie es ehrsamen Jungfrauen geziemt, wenn sie zu Jahren gekommen. Da verging kein einziger Tag im Jahr, daß sie nicht zum Heiligkreuz-Kapellchen draußen im Wischartwald gewallt wären. Das Stündlein Wegs dorthin schlugen sie weiter nicht an. Ja manchmal traten sie auch zu nachtschlafender Zeit aus ihrer Burg, und hinüber ging's dann, vorbei am dämmernden Tiefenbach, hinaus zur einsamen Kapelle auf Wischart. Da war's einmal zur heiligen Weihnachtszeit, daß sie vom Gotteshaus nach frommem Gebet heimwärts zogen. Der geheimnisvolle Schauer einer der zwölf Nächte lag über der schweigenden Landschaft. Die Luft war dick vom Dezembernebel, und schwer ging der Atem. Von drüben aus den Wäldern bei Eckartshausen und Rüdern und aus dem Jagsttal vom Beierlesstein her zog ein seltsam Raunen und Rauschen, gleich als flüsterten tausend geisterhafte Stimmen obenhin. Und mit einemmale erhob sich in den Lüften ein lautes Branden und Toben, ein tolles Wettern und Jagen, als ob alle Unholde des Luftreichs losgelassen wären und in wildem Wüten dahinstürmten. Da kamen die Fräulein von Roten in Angst und Bedrängnis. Sie wollten zurück und sich ins schützende Gotteshaus Wischart flüchten; aber wie sehr sie suchten, sie konnten's nimmer finden. Stundenlang gingen sie nun in der Irre. Da gelobten sie: »Heiliger Gott und gnadenreicher Gottessohn! So wir gesund wieder unser Haus betreten dürfen und in Frieden und Freuden dir auch fernerhin dienen, so sei alles, was wir haben, dir, dem Beschützer der Irrenden, geweiht, Hab und Gut und Haus und Hof und Grund und Boden. Und zu Tiefenbach sollen in den zwölf Nächten die Glocken geläutet werden, damit sie denen, die draußen im Dunkel der Nacht nicht aus noch ein wissen, rufende und rettende Stimmen seien.« Und siehe da, alsobald ließ das Wüten im Luftreviere nach, und drüben über den Zinnen von Crailsheim stieg ein sanfter blauer Schein empor, und über eine Weile goß der Mond sein Silberlicht über die Schneelandschaft, und die Fräulein v. Roten fanden sich zur Stunde am Rande eines jäh in den Jagstgrund abstürzenden Felsschroffen. Der Herr war noch rechtzeitig ein Licht auf ihrem Wege und ihr Retter in höchster Gefahr gewesen. Des waren sie dankbar, gingen hin und verschrieben die Eulenburg samt allem und jedem der Gemeinde Tiefenbach. Nur das war Bedingung, daß in der Zeit der zwölf Nächte drei Glocken zu Tiefenbach geläutet werden sollten. So hat man es dortselbst gehalten manch ein Jahrhundert hindurch. Die Fräulein von Roten aber nahmen im Kloster Mistlau bei Kirchberg den Schleier, und als die letzte von ihnen durch die Mistlauer Schwestern zu Grabe gebettet ward, da läuteten sie auch, die Glocken von Tiefenbach, und diesmal, ohne daß eine menschliche Hand den Strang gezogen hätte.

(C. Schnerring-Crailsheim.)


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