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Nachwort

Von den berühmten Liebespaaren, die die Geschichte kennt, sind nicht allzuviel Zeugnisse erhalten, aus denen sich der Nachgeborene ein unmittelbares Bild ihrer Leidenschaften und Sehnsüchte machen könnte. Aber wie die Helden wurden auch die großen Liebenden von der Dichtung verklärt, von Liedern und Gesängen getragen schreiten sie noch lebendig durch unsere Tage, im Bühnenhaus sehn wir die Leidenschaften, die sie einst durchglüht, wieder auflodern, und Bildnerhand malt ihre Gestalten hin oder beseelt den Marmor mit ihrem Atem. Wo immer ein Dichter die Liebe zweier Menschen zum Kunstwerk umbildet, legt er einen mythischen Schleier um sie.

Anders, wenn man die Liebenden selbst sprechen hört, jubeln und weinen, bangen und sehnen hört, wenn man selbst ihre Entzückungen vernimmt, in ihren eigensten Worten, mit dem Tonfall und der Klangfarbe ihres Mundes! Die stärksten Zeugnisse des Liebesgefühls sind die Liebesbriefe. Im ganzen Bereich der Literatur, ja aller Sprache, hat das menschliche Herz keinen innigern und tiefern Ausdruck gefunden als im Liebesbrief. Hier geben sich die großen Dichter und die andern, deren Beruf es nicht war, sich in Versen zu entladen, die Hand. Ja, gerade dem stammelnden, dem unbeholfenen folgt schöneres Vertrauen, sein Brief drückt den wahrhaftigsten Empfindungsinhalt aus und ist noch am wenigsten – Literatur.

Aber auch in ihrer Gesamtheit sind Liebesbriefe noch nicht so bewußt, daß sie jemals zu bloßen Kunsterzeugnissen gestempelt werden könnten. Es ist die Sprache der reinen unverfälschten menschlichen Natur, die man aus ihnen hört, jeden Liebenden macht, so weit sein Brief Form braucht, der Sturm seiner Gefühle zum Dichter, und ihr Rhythmus durchströmt auch, was er schreibt. Die Wahrhaftigkeit der Gefühle ist es also, die solche Briefe auszeichnet. Man möchte eigentlich sagen: in seinem ganzen Leben kann ein Mensch nur einen solchen Liebesbrief schreiben; jeder spätere, bei der zweiten oder dritten Liebe, ist bewußter, gelernter. So gibt es in einer Liebe nur einen Liebesbrief, die vorhergehenden sind bloße Vorläufer, und die spätern, wenn sie nicht in einem Werbebrief mit einem Mal abbrennen, sind bloß eine innigere Freundschaft. So fehlt einer Liebe, in der es diesen Brief nicht gibt, eigentlich die Spitze. Diese Art von Briefen sind die bedeutsamsten des ganzen Lebens. Und das ist das charakteristische: wo der Mann um das Weib wirbt, da ist er mehr Mann, als bei jedem andern Geschäfte, mit den stärksten Empfindungen drängen sich ihm in diesen Augenblicken starke, schöne und große Worte auf den Lippen.

Der reiche Schatz, den unser deutsches Kulturleben an solchen Zeugnissen besitzt, findet sich in dieser Sammlung vereinigt. Es ist, mit Lichtenberg zu reden, ein »Archiv des Herzens«. Man öffnet es und blickt in die Entwicklungsgeschichte des deutschen Liebeslebens hinein, vom grauen Frühmittelalter des Gefühls, vom Tegernseer Mönch bis zur leidenschaftlichen Tristaninbrunst in Richard Wagner. Das Herz der Jahrhunderte pocht in diesen Briefen, man kann eine Kulturgeschichte des Liebesempfindens unmittelbar aus ihnen ablesen. Aber diese Briefe sind nicht bloß Glieder einer geschichtlichen Kette, jeder Brief ist ein Mensch und hat darum seinen eigensten Wert. Keine Streiflichter sollen sie werfen auf das umliegende Jahrhundert, sie sollen selber durchempfunden und durchgenossen werden in ihrer rührenden Schlichtheit, in ihrer reinen Ursprünglichkeit. Immer offenbaren sie ein brennendes Herz.

Die erste Auflage dieser Sammlung erschien 1905 unter dem Titel: »Deutsche Liebesbriefe aus 9 Jahrhunderten«. Es folgte im gleichen Jahr eine Nachlese unter dem Titel: »Kleine deutsche Liebesbriefe« (116 S.). 1907 erschien vom ersten Werk eine zweite vermehrte Auflage. (VIII. S. u. 478 S.). Nach Jahren, erfüllt von Schicksal und Wandlung, folgt hier die 3. Auflage, die alles Beste der früheren Editionen zusammenfaßt. Hinsichtlich der ausführlichen biographischen Erläuterungen, Hinweise, Quellen, Ergänzungen, kulturhistorischen Noten sei auf die umfangreichere 2. Auflage verwiesen (S. II–VIII S. 402–478).


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