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Georg Herwegh und seine Braut

In Emma Siegmund hatte Herwegh ein liebevolles, ihm völlig ebenbürtiges Wesen gewonnen, die Briefe mit ihrer hochfliegenden Empfindung sprechen von einer wahrhaften Liebesbegeisterung. S. Marcel Herwegh, 1848, Briefe von und an Herwegh. 2. Aufl. München 1898, u. Brautbriefe, 1906, R. Lutz, Stuttg.

Berlin, den 24. November 1842.

Mein lieber, teurer Georg!

Du wirst herzlich lachen, daß ich schon heute meine Schreiberei anfange, wo Du uns kaum verlassen, aber wem das Herz so voll ist wie mir, dem fehlt die Geduld zum Warten; wirst schon mitten in dem bewegten Treiben einen Augenblick für Deinen Schatz finden, den Du ihm gern gibst. Ich bin fortwährend mit Dir, daß die Traurigkeit gar nicht zu mir gelangen kann. Die Freude, Dich endlich gefunden zu haben, und all' meine besten Kräfte Dir widmen zu dürfen, gibt mir eine solche Ruhe und Fassung, daß es nur einer guten Nachricht von Dir bedarf, um mich heiter zu erhalten. Hast Du erst die Reise überstanden, werde ich um vieles froher sein. Wie glücklich werden die Königsberger sein, Dich dort zu haben, und wie stolz ich, wenn bei all dem Großen, was Dich wieder neu erregt, mir es doch so klar im Gemüte steht, daß einen Teil Deines Herzens Deine Liebe ausfüllt.

Jetzt, nun Du fort bist, komme ich erst allmählich zu Besinnung; bis gestern abend, wo wir voneinander schieden, war ich noch wie im Rausch. Du glaubst nicht, wie die Liebe mich verändert hat. – Es steht wie eine Offenbarung in meinem Herzen, so reich, so weit, so groß! Das alles danke ich Dir. Ich weiß jetzt, wozu ich lebe, und daß ich lebe, und ob mein Leben sich jetzt zur Sonne, oder zur Nacht wendet, – ich trage einen Schatz in mir, den niemand mir zu verkleinern imstande ist. –

Meine Liebe steht über jedem äußeren Einfluß, sie ist meine Religion. Schreibe mir, wenn Du sonst genug Muße findest, wie Königsberg, wie jeder einzelne dort von den bekannten Kämpfern Dir gefällt. Die Zeitung berichtet viel, aber leider fast nie das Wahre. Ich bin überzeugt, Du wirst dort mehr echte Gesinnung und weniger Redensarten finden, die Dich hier anwidern mußten. Der Berliner Liberalismus ist nur eine Livree, als bunter Plunder den Bedientenseelen übergehängt, ein einziger Anlaß und die Maske fällt. Jetzt ist das Tagesgespräch Deine Unterhaltung mit dem Könige; wohl vier verschiedene Personen haben mich heute schon um nähere Notizen befragt, die ich ihnen leider, unter dem Vorwand, nicht näher unterrichtet zu sein, versagen mußte. Die Leipziger Zeitung meldet heute als neueste Weltbegebenheit unsere im Mai bevorstehende Hochzeit. Bezeichnet dies nicht auf eine klassische Weise die Armut der Interessen?

Morgen vormittag fange ich meine Zeichenstudien an, es ist das beste Mittel, mir Deine Entfernung erträglich zu machen, wenn ich das treibt, was Dich noch einst irgend erfreuen kann. Ich möchte Riesenkräfte haben, die Beste, Liebenswürdigste, Schönste sein, nur für Dich, um Dich dereinst ganz beglücken zu können. Glaub's mir, mein einziger Schatz, so könnte keine Zweite Dich lieben, einen stolzern, kühneren Einzug hat nie ein Held gehalten, als Du in meinem Herzen. Noch fünfzehn Tage, dann habe ich Dich wieder. Bleib' mir gesund und denk' an mich. Der alte »Zaunkönig« und alle lassen Dich grüßen.

Deine Emma.

Georg Herwegh an seine Braut.

Königsberg, Sonntag, 27. November.

Guten Morgen, mein liebes Kind!

Ein Tag wäre denn herum! Der Brief, den Du Donnerstag früh in Berlin auf die Post gegeben, kam zugleich mit mir in Königsberg an. Hätte ich Voigt eine halbe Stunde später aufgesucht, so hätte ich denselben schon nicht mehr zu Hause angetroffen. Er war eben im Begriff, mit Jacoby, Walesrode, Crelinger u. a. mir bis Elbing entgegenzufahren, da man mich erst Samstagabend erwartete. Ich logiere übrigens nicht bei Voigt, sondern bei dem Justizrat Crelinger, einem Bruder des Berliner Crelinger, aber das komplette Widerspiel desselben. Mein Quartier ist recht freundlich und elegant, und ich fühle mich recht wohl unter den braven Leuten hier, die von meiner Verlobung mit Dir natürlich schon Kunde hatten, ja sogar bereits wußten, daß meine Braut eine sehr kühne Reiterin ist. Hörst Du, da« Reiten darfst Du mir im heiligsten Ehestand nicht aufgeben, Du mußt in allen Stücken das kühne heroische Mädchen bleiben, das Du jetzt bist. Nicht wahr? Die gute Frau, die mich liebt und achtet, habe ich auch gesprochen, hast aber nichts von ihr zu fürchten, mein guter Schatz. Die übrige Königsberger schöne Welt habe ich noch nicht kennen gelernt, will Dir übrigens nach Einsicht derselben getreulichen Bericht erstatten. Etwas, was ich an allen Liberalen unserer Zeit vermisse und auch bei den Königsbergern, ist ein gewisser idealer Anflug. Sie sind alle klug, brav, munter, rührig – ja sie sind nobel, was man so unter nobel versteht, aber sie besitzen doch nicht jene Noblesse, jenen Adel, jenes Ehrfurchtgebietende, wonach mein Gemüt wenigstens überall verlangt. Ob Du mich begreifst, weiß ich nicht, vielleicht kann ich Dir das einmal mündlich klarmachen an Deinem eigenen kleinen Persönchen, das Deinem Schatz in der ersten Stunde so imponierte und Gott weiß womit allen Deinen Freunden und Freundinnen eine Art von Scheu einflößt. Sieh, so eine Art stiller Größe, die sich wie eine Atmosphäre um den Menschen legt – das meine ich eigentlich. Aber, ich werde albern, wenn ich weiter räsonniere.

Zehn Tage werde ich wohl zum mindesten hier bleiben müssen. Morgen oder übermorgen wollen meine Freunde zu Schlitten mit mir an die See fahren. Ich freue mich wie ein Kind, denn ich sehe das Meer, wie Du weißt, zum erstenmal. Die Seele muß einem so recht weit werden; ich möchte wohl einmal ein Vierteljahr mit Dir auf dem Meere oder an dem Meere zubringen.

Noch etwas: Seit dem Besuche beim Könige bin ich viel stolzer geworden, daß heißt viel freier. Das Königtum ist tot, maustot für mich und wird gar keine Zauberkraft mehr auf die Welt ausüben können. Wie klein, wie unendlich klein und ordinär ist mir der Mann erschienen? Ich fange an, Mitleid mit den gekrönten Häuptern zu bekommen. Sie spielen eine mehr als armselige Rolle.

Gott, wie freue ich mich, mein Leben mit einem Mädchen teilen zu können, das für eine Sache schwärmt, und dem ich nicht anders gefallen kann, als wie ich den Besten meiner Zeit gefalle. Du wirst mir viel, sehr viel sein; ich fürchte nur, daß Du Deine Forderungen zu hoch stellst. Liebe nicht allein den Poeten in mir, er möchte, so viel Mut und Kraft er in sich fühlt, die Welt zu erobern, Deinen Erwartungen nicht entsprechen können. Liebe mich so sehr, daß Du auch mit wenigerem, als Du in Deinen Träumen von mir begehrst, zufrieden sein wirst.

Dein Georg.

Emma an Georg.

Berlin, 1. Dezember 1842.

Eben wollte ich mich auf mein Roß schwingen, da kommt Dein Brief, und ich lasse den stolzen Rappen warten und fliege erst zu Dir. Wie ist mir doch jedes Deiner Worte so klar, so lieb, so heimatlich. Fürchte nicht, daß ich Dich nicht verstehe, wenn mir die Gabe des Ausdrucks auch fehlt, ich begreife Dich so ganz und gar, denn das Gefühl ist wundertätig in mir. Was Du über die Liberalen sagst, über den Mangel des Adels in der Erscheinung – finde ich auch, und hinge damit nicht auch ein innerer Mangel im Zusammenhang, würde es wenig schaden. Es kommt aber eben daher, daß sie mehr nach dem Tüchtigen, Materiellen, aber nicht nach der Verwirklichung und Verkörperung der ideellen Freiheit streben. Meine Bekannten haben mir oft den Vorwurf gemacht, daß ich zuviel auf Repräsentation gebe – ich finde jedoch, daß der Inhalt die Form notwendig bedingt, und daß eine harmonisch entwickelte, edle Natur fortwährend einen stillen Zauber tragen muß. Die gesellschaftliche Grazie ist Putz – die innere ist der unbewußte Adel, der sich auf jedes Wort, auf jede Bewegung überträgt. Daß Du davon in mir gefunden, freut mich, wenn es eben wirklich vorhanden; ich muß Dir ehrlich bekennen, mein Schatz, daß ich selbst den Zwiespalt der Natur und ihre Äußerung nie schmerzlicher empfunden, als gerade in mir. Du hast das Meer gesehen, wie freut mich das! – Ich weiß, es muß Dich ganz begeistert haben; vielleicht hast Du Dich dabei meiner Worte erinnert: lieber am Meer als im Gebirg, wenn beides nicht zugleich sein kann. Ich werde nie jene Nächte an der Nordsee vergessen, wenn der Mondschein glutrot über den Wellen stand, kein Mensch am Strande, der Himmel tausend Sterne ausgesandt, unter den Wellen es leuchtete und dazu aus der Tiefe die Meereshymne heraufbrauste. Damals wußte ich noch nichts von dem Gefühl, was mich durchbebt, und dennoch war mir schon so groß, so weit, so schöpferisch! Laß uns auf dem Meer reisen, dort geht unsre Welt erst auf. Es scheint mir, als läge noch die ganze Urschöne der Schöpfung auf den Wellen ausgebreitet. – Fürchte doch nicht, daß ich Dich des Poeten wegen liebe, oder irgend einer Ursache halber, ich liebe Dich, weil es mein innerster Beruf, Dich zu lieben, weil – ach, weil es eben nicht anders geht, ich weiß, es ist eben mein Leben, und daß ich lebe, macht Dich doch nicht ängstlich. Unfrei kannst Du nicht werden, und Du bist mir das verkörperte Bild der Freiheit, nach der ich, so lange ich lebe, mich gesehnt, darum gekämpft, ihr nahe zu treten. Ich kann jetzt nicht annehmen, daß vor Dir mir eine Seele nahe gestanden. Du bist's, und nichts anderes kann es sein. Woher wissen die Königsberger, daß ich reite? Gewiß durch Crelinger. – Es ist mir lieb, daß der Königsberger seinem Bruder unähnlich. Der hiesige ist kein Mann. Er ist ein Mischmasch von Ästhetik, Politik, Salonwesen und Popularität. Alles, alles Kanonenfutter, nichts weiter. – Tust recht, die Könige zu bemitleiden, es sind wandelnde Mumien, deren Kronen von den entmarkten Köpfen der Völkersturm schon treiben wird. Ich muß auf mein Roß, adieu!

Berlin, den 2. Dezember 1842, abends.

Du mein herztausiger Schatz!

Ich möchte jetzt den ganzen Tag verträumen, nur um immer wie in den letzten Morgenstunden durch Deinen Gruß geweckt zu werden. So einen herzigen Brief wie dieser, den ich heut empfangen, schreibt kein anderer, als mein Schatz, ach, ich hab' Dich auch so lieb, so unaussprechlich lieb dafür, daß Du von Glück sagen kannst! fern zu sein, ich glaub', ich drückte Dich zu Tode. Zehn Tage bist Du nun fort, das ist lange, und doch welch eine kurze Zeit im Verhältnis zu den vier vollen Monaten der Trennung, die uns bevorstehen. Dazwischen liegt freilich ein Wiedersehn! so sonnig, so schön, daß ich mich selbst darum beneiden könnte. Was Du mir über Königsberg schreibst, interessiert mich um so mehr, als ich bis jetzt vergebens in der Königsberger Zeitung nach einigen Worten über Dich gesucht hab'. – Wenn Du mir so schreibst wie heute über Deine heiligsten Interessen, dann gefällst Du mir am allerbesten. Wenn ich es jedem Deiner Worte anfühle, daß Du Mann bist, Mann des Volkes, der Freiheit! ich wollte, man könnte bei uns das eine gleichbedeutend dem andern finden. Nein, ich werde Dich nicht hemmen, ich könnte es nicht, denn Du bist ein Schweifstern, dessen Lauf ein Weib nicht hindern könnte; sei auch unbesorgt, Du wirst eine Marseillaise finden, wenn Du willst, und mehr als diese. Einer von uns beiden schreibt sie, wenn nicht Du, so ich! Sieh mal, wie das kleine Persönchen sich breit macht, aber mir scheint's, ich könnte, seit ich Dich liebe, alles, mein Inneres ist jetzt so unbändig, da sieht man, daß der Liebeszustand der naturwahrste ist, denn er macht revolutionär. Die andern meinen, unsere Liebe gleiche der Schöpfung, die auch am siebenten Tage vollendet gewesen – vollendet ist sie aber noch nicht, oh, es muß noch ganz anders werden, sie muß auch Taten erwecken – laß mich nicht denken, daß es bei Dir ein Schwächerwerden geben kann. Was wäre das für Liebe, die durch Gewohnheit beruhigt oder irgend beeinflußt würde. Ich hab' mich nie der Gewohnheit untertänig gemacht, sie hat in keiner Beziehung auf mich einwirken können, wird's und kann es nie zwischen Dir und mir. Ich bin diesen Morgen vor dem Zeichnen bei einer Braut gewesen, die eben getraut worden und dann nach dem Rhein reisen sollte, um dort zu bleiben. Die Braut war krank und sehr traurig. – Sie heiratet ihren Schwager. Mir machte dies alles einen schrecklichen Eindruck, ich dachte unwillkürlich an uns, ob Du wohl, wenn ich stürbe, Dir eine andere Frau nehmen würdest. Fort mit den Gedanken. –

Im Mai, im Mai, mein Schatz, wenn Frühlingsauferstehen ist, dann holst Du Dein Mädchen ins Alpenland, und wäre es bis ans Ende der Welt, ich folgte Dir mit tausend, tausend Freuden. Heute abend wird wohl Duncker mit der Braut kommen, und nachher muß ich tüchtig Polnisch lernen, weil morgen wieder Stunde ist. Gingen die Posten regelmäßiger, schriebe ich nach Königsberg, aber bei dieser Ungewißheit kann ich es nicht wagen. Dein bißchen Sehnsucht, so wenig es auch sein mag, ist mir sehr lieb gewesen, und merkwürdig dazu. Ich glaub', außer meiner Freundin bist du der erste Mensch, dem es etwas bange wird nach mir. Wann kehrst Du heim, mein Schatz? Vielleicht morgen über acht Tage? Schreib's mir ja zuvor, überrasche mich nicht, Du weißt, ich bin glücklicher in der Vorfreude.

Nun hast Du schon die See gesehen, und vielleicht gar im Sturm, denn dies ist die Zeit. – Ich liebe das Meer am meisten, wenn es aufgeregt ist. Bewegung ist sein Element, Ruhe seine Krankheit. Gleicht's nicht auch Dir? Wenn Du Dich ganz vergißt über der Idee, wenn Dein Herz ein weitgeöffnet Feld für die leidende Menschheit, jeder Atemzug einer Träne gleicht um Dein gefesselt Volk, jedes Wort einem flammenden Befreiungsschwerte – dann, dann bist Du meine Welt, mein Schatz, dann möchte ich vor Dir knien, und diese Lust kommt mir sonst nie, weil Du mir wie die sichtbare Freiheit erscheinst. Ich vertiefe mich wieder, und es ist Zeit, zu schließen, wenn sonst dieser Brief noch auf die Post soll. Leb' wohl, leb' wohl, mein einzig Lieb, leb' wohl auf kurze Zeit! Kennst Du das Lied? Ach, daß ich Dich eine Sekunde hier hätte, daß Du mir's anfühlen könntest, wie Du mein alles, alles bist. Auf Wiedersehen, mein Schatz!

Deine Emma.


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