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Johanna Kapp an Gottfried Keller.

7. November 1849.

Lieber, lieber Freund!

Ich bin so tief erschüttert, daß ich kaum weiß, wie ich Ihnen schreiben soll, und doch drängt mich's dazu. Ihr lieber Brief hat mich furchtbar traurig gemacht, obgleich Sie mir's verbieten. Ich möchte Ihnen danken und tu's auch aus vollem Herzen; aber es kommt mir schrecklich traurig vor, daß ich soviel Unheil anrichte. Es ist mir oft ganz unbegreiflich. In den letzten Tagen hab' ich wohl gefühlt, daß Sie mich gern hatten; aber ich hielt es für eine schöne menschliche Teilnahme und hätte mich auch gefürchtet, etwas mehr zu glauben. Nun aber liegt der Reichtum Ihres schönen Herzens plötzlich vor mir in neuem Glanze und ich hab' tief aufseufzen müssen! Ich hab's Ihnen schon gestern gesagt, daß ich ebenso glücklich wie unglücklich, weil ich getrennt bin, aber geliebt! Als ich Ihnen vor acht Tagen meine Gedichte gab, da nahm ich mir innerlich vor, Ihnen nie den Namen dessen zu sagen, in dem mein Wesen aufgegangen. Es schien mir selbst Ihnen gegenüber eine Profanation. Aber heute fühl' ich anders; auch anders wie gestern, da ich es Ihnen gegönnt hätte, aber doch um keinen Preis hätte sagen können. Jetzt aber sind Sie's gewiß wert, und ich fühl's, ich bin's Ihnen schuldig, damit Sie mich ganz begreifen und auch verstehen, wie nach so bittern Herzensqualen mir doch noch ein Leben möglich blieb, das bisher nur auf kurze Zeiten mich mit meinem Geliebten vereinte. Es ist allerdings ein tief tragisches Glück, wenn Augenblicke lange Trennungen aufwiegen müssen; aber selbst wenn meine letzte Hoffnung noch schwinden sollte, ein dauerndes Vereintsein zu erreichen, glaube ich dennoch Kraft zu behalten, um die kurzen Momente als Momente zu erfassen und zu genießen, die mein vielbewegtes Leben erhellen. Sie haben in Ihrem schönen Briefe den geliebten Namen selbst ausgesprochen. Der Mann, der Ihrem Kopfe ward, was Ihr edles Herz in mir fand, dieser herrliche Mann ist es, und der wundersame Zufall, der Sie uns beide zusammenstellen ließ, hat mich mit stürmischer Freude ergriffen. So mag Ihnen denn das Rätsel gelöst erscheinen, das meine in Schmerzen erblühte Liebe Ihnen sein mußte. Wie verwickelt dieses tragische Verhältnis ist, können Sie aber nicht ahnen; doch glaub ich noch an eine Möglichkeit, die aber mit saurem Kampfe errungen werden muß und nach meinem Gefühl die einzige Versöhnung wäre für das herbe Leid, darunter viele leiden, am meisten die arme edle Frau, deren Glück ich zerstören mußte.

Erstarren Sie nicht ob den Untiefen, die das Leben hinter anscheinend glücklichen Verhältnissen birgt, verkennen Sie weder mich noch ihn! Wo Sie nicht alles begreifen, glauben Sie das Gute doch, und lassen Sie mich für immer glauben, da Sie nie irre an mir werden! Mein Herz ist unwandelbar; aber es ist nicht bloß dem Geliebten treu: es bewahrt auch seinen Freunden eine wahre Zuneigung mit Innigkeit. Ich werde Sie nie vergessen.

Die höchste Gabe, die der Mann einem Weibe bieten kann, ist seine Liebe, und für dies Geschenk muß ich Ihnen danken, so traurig mich's auch macht. Ich hab' Sie wirklich lieb und glaube Sie zu verstehen in der tiefen Innigkeit Ihres Wesens ... Ich weiß, was Sie sind, und darum brauchen Sie mir nicht erst zu geloben, etwas Rechtes werden zu wollen ... Ihr wunderschöner Brief hat mich tief ergriffen! ...

Mir ist, als sei ein Zauber
Wohl über mich gesprochen,
Und wer ihn lösen wollen,
Deß' Herz sei bald gebrochen.

Mir ist, ich sei verwünschet,
Mein armer Leib verfluchet,
Ich könne nimmer finden
Die Ruh', die ich gesuchet,

Und müsse rastlos wandern
Mit einem toten Herzen,
Und dürfe keiner Seele
Vertrauen meine Schmerzen.

Denn, wer mir Liebe biete,
Der sei dem Gram verfallen
Und müsse ohne Frieden
Wie ich durchs Leben wallen.

Gottfried Keller an Johanna Kapp.

Heidelberg, den 7. Dezember 1849.

Teure Freundin! Obgleich ohne Berechtigung, war ich doch in einer Art unbestimmter Erwartung, daß ich heute oder morgen noch etwas Freundliches von Ihnen empfangen würde. Die bittere Notwendigkeit zwang mich zu diesem instinktmäßigen Hoffen, und kein liebevoller Gruß hat je seine Sendung besser erfüllen können, als Ihr letzter vor Ihrem Scheiden.

Die Gewißheit, daß nichts Konventionelles in Ihrer Handlungsweise sein kann, hat mir seine Wirkung noch versüßt. Trotz des leidenschaftlichen Lebens, welches ich seit einiger Zeit geführt habe, hätte ich doch nicht geglaubt, daß es mir noch so elend zu Mute sein könnte, als es mir vergangene Nacht und den Morgen darauf gewesen ist. Ich war die letzte Woche hindurch sozusagen glücklich gewesen; ich kannte nichts Wünschenswertes mehr, als einige Stunden mit Ihnen zuzubringen; und war ich bei Ihnen, so dachte ich in glücklicher Vergessenheit weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit, nicht an mich selbst und nicht einmal an Sie. Ich hatte von der ganzen Welt genug, wenn ich auf den Bergen hinter Ihnen oder neben Ihnen hergehend Ihre Stimme fortwährend hörte und manchmal in Ihr Gesicht sah, oder im Zimmer auf Ihre Hände schauen konnte, wenn Sie etwas arbeiteten. Es war gerade kein rühmlicher Zustand, und es ist vielleicht unschicklich, daß ich Sie noch mit diesen Klagen in die Ferne verfolge, Sie, welche genug selbst zu tragen haben. Aber erstens kann ich den heutigen Tag nur dadurch erträglich zubringen, daß ich irgend etwas an Sie schreibe; und dann werden Sie auch, wenn Sie diese Zeilen erhalten, überzeugt sein können, daß es mir wieder frischer und besser zu Mut ist. Ich will Ihnen zukünftig nie mehr von meiner Liebe schreiben, sondern ganz vernünftig von Menschen und Dingen, die ich sehe, und mit tausend Freuden von Ihnen selbst und Ihrem Schicksale, wenn ich Ihnen auf Ihre Aufforderung irgend etwas Gutes oder Aufmunterndes sagen kann. Nur muß ich Sie bitten, immer und so lange zu leiden und zu glauben, daß mein Herz an Ihnen hängt, auch wenn ich Ihnen nichts mehr davon sage, bis ich Ihnen selbst meinen Abfall ankündige; und ich werde fröhlichen Sinnes der Erste sein, welcher die drückende Last von Ihnen und mir zugleich nimmt. Daß dies jedoch bald geschehen werde, daran zweifle ich selbst.

Meine Jugend ist nun vorüber, und mit ihr wird auch das Bedürfnis nach einem jugendlich poetischen Glücke schwinden; vielleicht, wenn es mir in der Welt sonst gut geht, werde ich auch ein fröhlicher Mensch, der diesen oder jenen Winterschwank aufführt. Mein Herz aber einem liebenden Weibe noch als bare Münze anzubieten, dazu, dünkt mich, habe ich es nun schon zu sehr abgebraucht und werde es noch ferner abbrauchen, bis es nur von Ihnen frei ist. Und was sollte ich auch mit den heiligen und süßen Erinnerungen anfangen! Müßte ich nicht jeden traurigen oder glücklichen Moment, welchen ich früher verlebt, wie etwas Gestohlenes verbergen oder verschweigen? Es wäre mir ganz ärgerlich, zu denken, daß ich z.B. die letzte Nacht umsonst so traurig gewesen wäre und sie ganz aus meinem Gedächtnisse vertilgen müßte.

Ich hatte ganz fest geschlafen bis gegen Morgen. Aber um halb drei Uhr erwachte ich, wie wenn ich selbst verreisen müßte. Während ich munter wurde, kam es mir nach und nach in den Sinn, worum es sich handelte. Ich ging ans Fenster und sah jenseits des Neckars Licht in Ihrem Zimmer; es strahlte hell und still durch die helle Winternacht und spiegelte sich so schön im Flusse, wie ich es noch nie gesehen. Obgleich von Schlaf keine Rede mehr war, so hätte ich doch um keinen Preis ein Licht angezündet, aus Furcht, Sie möchten es bemerken; und ich wollte Ihnen mein armseliges Bild nicht noch aufdrängen bei Ihrer sonstigen Aufregung. Nach einiger Zeit glaubte ich einen Wagen hinausfahren zu hören, und bald darauf rollte er zurück über die Brücke. Jetzt geht sie, dachte ich, drückte mein Gesicht in das Kissen und führte mich so schlecht auf wie ein Kind, dem man ein Stück Zuckerbrot genommen hat. Den ganzen Vormittag war ich dumpf und tot und sagte mir: diese Zeit wird auch vorübergehen! Ja, sonderbarer Weise mischte sich in meine Trauer ein Ärger über jene kahlen Jahre, wo ich, wie ich vorauszusehen glaubte, über meinen jetzigen Schmerz lächeln würde. Und gerade aus diesem Ärger lauschte eigentlich nur meine einzige Hoffnung, die Hoffnung auf jene Zeit der Ruhe und Unbefangenheit. Es war der altbekannte Strohhalm des Ertrinkenden.

Da brachte mir Max nach Tisch Ihr allerliebstes Briefchen, welches mir wie eine Sonne aufging. Ihre lieben Worte versetzten mich bald in die Normalstimmung, in welcher ich nun längere Zeit bleiben werde. Ich wurde so aufgeweckt, daß ich singend in meinen Papieren zu kramen anfing und Sie auf eine Viertelstunde rein vergaß. Darauf machte ich einen tüchtigen Spaziergang und wurde wieder traurig; und nun schreib' ich an Sie. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie weich und lind mich Ihr Wunsch überkommen hat: daß ich Ihnen unter allen Lebensverhältnissen gut bleiben möchte. Das ist doch halbwegs das, was ich gewünscht habe, eine Heimat in einem edlen und verständnisreichen weiblichen Herzen; und mehr will ich jetzt nicht.

Ach, ich glaub', ich schreibe immer das Gleiche. Das ist ein langweiliger Brief für Sie; aber ich schreibe Ihnen nur für mich, Sie brauchen ihn nicht auf einmal zu lesen, und wenn es Ihnen unbequem ist, denselben aufzubewahren, so verbrennen Sie ihn sogleich. Ich will künftig über andere Dinge schreiben und nicht mehr so viel. Heut abend will ich zu Hettners gehen, damit ich doch etwas von Ihnen sprechen höre. Wenn man Durst hat, so ist schlechtes Wasser besser als gar keines. Sie werden jetzt in Stuttgart sein. Leben Sie recht wohl!

Den 11. Dezember.

Ich weiß noch nicht, wenn dies Papier fortkommt, und will es noch vollschreiben. Ich war seit Ihrer Abreise schon zweimal in Ihrem elterlichen Hause, habe nur Ihre Mutter gesehen, indem Ihr Vater, von früheren Besuchen ermüdet, auf seinem Zimmer war, und ich ihn durchaus nicht stören mochte. Ihre Mutter spricht zu meinem großen Vergnügen sehr viel von Ihnen.

Bei Hettners habe ich letzthin schlechte Geschäfte gemacht. Ich traf Moleschotts dort. Herr Moleschott las einen Abschnitt aus einem diätetischen Werke vor, das er schreibt, das Kapitel über Hunger und Durst. Es kam darauf hinaus, daß man sterben müsse, wenn man nichts mehr esse und trinke, was mich sehr frappierte. Allerlei häßliche physiologische Ausdrücke trug er, um die Pille zu vergolden, mit einer Sorte von süßem Pathos vor, welche mir, trotz meines Elendes, einen abscheulichen Lachkrampf verursachte, was mir fast übel bekam. Von Ihnen aber wurde kein Wort gesprochen, als einmal flüchtig, daß Sie nun in München sein werden; und als ich sagte, Sie seien erst heute fort, so bedauerten sie, nicht noch einen Besuch bei Ihnen gemacht zu haben. So mußte ich durstig wieder abziehen, und die guten Leute haben mich unbewußt am besten bestraft für meine geheime Feindseligkeit und für meinen Undank.

Für Ihre Veilchen danke ich herzlich; sie liegen in Ihrem Brieftäschchen, und wenn der Ort, wo dieses liegt, eine Ruhestätte genannt werden kann, so haben die Blumen allerdings eine solche gefunden. Ich hatte sie dazumal in einer melancholisch widerspenstigen Stimmung fast absichtlich auf Ihrem Fenstersims liegen lassen und es nachher sehr bereut; nun habe ich sie doch noch bekommen. Ich mache mir manchmal Vorwürfe, und ich weiß nicht, ob ich sie meinem ganzen Geschlecht machen soll, daß ich so wenig Geschick für einen unbefangenen anmutigen Verkehr habe, daß ich erst durch bittere Schmerzen lernen mußte, mein Gefühl in Bande zu legen und mich einer schönen Freundschaft froh zurechtfinden, statt gleich Liebe zu begehren und geben zu wollen.

Es kommt übrigens vielleicht von dem verhältnismäßig kleinen Begriff, welcher sich in Beziehung auf Freundschaft überhaupt nach und nach in mir ausgebildet hat.

Ich muß wirklich offen gestehen, daß mir die Freundschaft keine große Lücke in meinem Leben ausfüllt. Es versteht sich bei mir von selbst, daß alle tüchtigen und offenherzigen Leute sich gegenseitig gut sind, daß die Gleichgesinnten zusammenwirken, daß man sich hilft, wo man kann, sich duldet und seine Meinungen liebevoll austauscht, was aber hierbei für die tiefsten und innersten Herzensbedürfnisse Genügendes herauskommt, das seh' ich nicht recht ein. Man wird so oft getrennt; ich erwerbe mir neue Freunde, welche mir so lieb werden, wie die früheren; diese ihrerseits tun das Gleiche und so entsteht ein großes Gewebe von guten und mannigfachen Charakteren, welche voneinander hören und oft eine gemeinschaftliche Sympathie haben. Aber gerade dadurch wird die Freundschaft mehr öffentlich, sozial, und mich dünkt, das, was sie sein soll und am besten ist. Es mag eine Zeit gegeben haben, wo die großen leidenschaftlichen und idealen Freundschaften gerechtfertigt waren; jetzt aber, glaube ich, sind sie es nicht mehr. Unter den Männern wenigstens scheint es mir je länger je mehr unpassend zu werden, wenn zwei so etwas recht Besonderes und Exquisites unter sich haben wollen; es ist unbürgerlich und unpolitisch. Es ist schön, wenn sich Jugendfreunde ihr ganzes Leben durch so lang als möglich aufmerksam und treu bleiben; aber der innerste heiße Hunger des Herzens hat davon nichts, bei mir wenigstens nicht.

In Beziehung auf Frauen ist es etwas anderes; aber auch da muß ich, wenn ich für eine einzelne eine recht hingebende Freundschaft bekommen soll, zuerst geliebt haben, oder vielmehr ich kenne hier keinen Unterschied zwischen beiden Neigungen; und das Wohlwollen, das ich für die Frauen im allgemeinen empfinde, ist durchaus keine Freundschaft, wenn sie mir auch noch so nah stehen; es ist nur Artigkeit. Zu meinem Nachteil vermisse ich leider eine gesellschaftliche Tugend, jenes unschuldige Kokettieren und Freundlichtun bei kaltem Blute, womit viele junge Leute sich sonst das Leben angenehm machen.

O je, was ist das für eine langweilige Predigt! Es ist, wie ich es überlese, doch nicht alles wahr! Aber ich kann mich jetzt nicht recht ausdrücken. Ich danke sehr für Ludwig Feuerbachs Gruß. Bei diesem Anlaß möchte ich Sie bitten, nicht so entschieden resigniert in die Zukunft zu blicken; zwei, drei nächste Jahre können solche Veränderungen und Umwälzungen in weiten wie in engeren Verhältnissen hervorbringen, daß viele Rücksichten von selbst schwinden, andere aber zur Seite werfen, die erste Pflicht werden kann. Es kann einen solchen Durcheinander geben, daß alles, was sich liebt, fest aneinander klammern muß, ohne daß die andern deswegen schlimmer dran sind. Nur die Halbheit hat gar keine Zukunft. Legen Sie mir dies nicht als Leichtsinn aus, ich bin eben sehr bekümmert für Sie! Leben Sie so glück- und heiter als möglich, Sie können es gewiß und sagen es ja selbst. Ich hoffe bald von Ihren Fortschritten in der Kunst zu hören; ob ich wohl jemals etwas von Ihnen zu sehen bekomme?

Ihr ergebenster Gottfried Keller.

Ich fühle wohl, warum ich Dich,
O teures Weib, so sehr geliebt!
Und besser ging ich, als ich kam,
Von reinem Feuer neu getauft,
Und hätte meinen reich'ren Gram
Nicht um ein reiches Glück verkauft.


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