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Levin Schücking an Annette von Droste-Hülshoff

In der Verhaltenheit der Briefe Annettes, die um 17 Jahre älter ist als Levin, öffnet sich ein rührendes, unendlich zartes Herz.

Donnerstag. Münster, den 9. Nov. 1840.

Es ist acht – nun sind Sie doch allein, mein liebes, liebes Mütterchen, daß ich etwas mit Ihnen plaudern kann, – ich wollte, es könnte Sie so aufrichten, wie ich es möchte, so recht Ihnen allen Kummer für eine halbe oder ganze Stunde fortschwatzen – es ist heute Ihr Namenstag ja, ich denke deshalb auch, Sie sind heute in einer Stimmung, die so ernst beschaulich und großartig ist, daß alles Unangenehme um Sie her nicht mehr auf Sie wirken kann, daß es zu Ihrer Höhe nicht hinauf kann; halb freue ich mich, daß Sie diesen Abend nicht schon diese Zeilen zu lesen bekommen, denn ich bin bange, mein Geschwätz käme auch nicht bis zu Ihrer Stimmung hinauf. Soll ich Ihnen Glück zu Ihrem Namenstage wünschen? Das würde sich schön machen, lächerlich in Ihrem Trubel, Ihrem Schmerz um die Ihrigen, egoistisch von mir, der sich selber damit Glück wünschete – soll ich Ihnen was schenken? Ich habe kaum den Mut – doch, einige vertrocknete Blumen, womit es also zusammenhängt: sie sind gestern, Mittwoch, schon aus dem Schloßgarten geholt, ich wollte heute morgen sie Ihnen schicken, wenn keine Gelegenheit wäre, expreß, da höre ich gestern abend von der Bornstedt, daß Ihr armer kleiner Ferdinand tot ist, und nun hatte ich keinen Mut mehr, so gern ich auch mit Ihnen geplaudert hätte – ich bin so bange, daß Sie sich zu sehr abäschern und plagen und als einzige Person, die den Kopf frei behält in jeder Lage, für alle und alles nun sorgen müssen. Um Gottes willen, Mütterchen, Sie sollen sich etwas mehr schonen, meinetwillen schon, darf ich das nicht fordern? Und weil ich mich immer mehr anlasse, als hätte ich die Literatur im Münsterlande allein gepachtet, so verbiete ich Ihnen hiermit irgend etwas jetzt zu schreiben, außer Briefen an mich.

Annette von Droste Hülshoff an Levin Schücking.

Meersburg, den 4. Mai 1842

... Ob ich mich freue nach Hause zu kommen? Nein, Levin, nein – was mir diese Umgebungen vor sechs Wochen noch so traurig machte, macht sie mir jetzt so lieb, daß ich mich nur mit schwerem Herzen von ihnen trennen kann. Hör, Kind! Ich gehe jeden Tag den Weg nach Haltenau, setze mich auf die erste Treppe, wo ich Dich zu erwarten pflegte, und sehe, ohne Lorgnette, nach dem Wege bei Vogels Garten hinüber. Kommt dann jemand, was jeden Tag ein paarmal passiert, so kann ich mir, bei meiner Blindheit, lange einbilden, Du wärst es, und Du glaubst nicht, wieviel mir das ist. Auch Dein Zimmer habe ich hier, wo ich mich stundenlang in Deinen Sessel setzen kann, ohne daß mich jemand stört, – und den Weg zum Turm, den ich so oft abends gegangen bin, – und mein eigenes Zimmer mit dem Kanapee und Stuhl am Ofen – ach Gott, überall! – kurz, es wird mir sehr schwer, von hier zu gehn, obendrein noch zweihundert Stunden weiter als wir jetzt schon getrennt sind. Solltest Du es wohl recht wissen, wie lieb ich Dich habe? Ich glaube kaum.

... Lieber Himmel, warum habe ich einen so schönen Tag ohne Dich genießen müssen! Ich habe immer, immer an Dich gedacht, und je schöner es war, je betrübter wurde ich, daß Du nicht neben mir standest und ich Deine gute Hand fassen konnte und zeigen Dir – hierhin – dorthin – – Levin, Levin, Du bist ein Schlingel und hast mir meine Seele gestohlen; Gott gebe, daß Du sie gut bewahrst. Aber Du hast mich auch lieb und denkst auch an mich an Deiner Donau, – suchst Muscheln, die wahrscheinlich nicht da sind, und hast schon Pflanzenabdrücke und zwei Steine für mich zusammen gehütet, – so ist's recht! und wären es am Ende auch simple Kiesel, so soll man immer für einander denken und schaffen, um die Liebe in sich selbst frisch zu erhalten; ich will auch für Dich zusammenscharren, geschnittene Steine, Pasten, Rokoko, wie ich nur kann. Sobald man soviel zusammen hat, daß man es auf die ordinäre Post geben kann, ist es das Porto immer leicht wert, und es ist eine gar zu große Freude, das Empfangen wie das Geben. Du altes Herz, Deine Müschelchen, die Du mir hier gesucht und in den Schwefelholzkästchen gegeben hast, kann ich kaum ohne Tränen ansehen und sie sind mir lieber wie alle die schönen, seltenen Meermuscheln in meinem Glasschrank zu Rüschhaus. Adieu, Levin, behalte Dein Mütterchen lieb, stelle Dir oft vor, daß ich bei Dir wäre und Du mir alles erzähltest und vertrautest, wie da wir zusammen waren; bitte, denk das oft, da wird in Deinem Herzen nie eine Falte gegen mich kommen; ich will Dir auch immer alles sagen. Adieu, lieb Herz. was Du von der Beichte und Kommunion sagst, ist gewiß sehr richtig, und es liegt ein großes, tiefes Heil in dieser unumwundenen Selbsterforschung und Anklage; meinst Du, ich fühlte das nicht? An der Heilsamkeit habe ich nie gezweifelt, und auch der Glaube an die Heiligkeit kommt häufig wie eine unwiderstehliche Gewalt über mich. Adieu! –

Rüschhaus, den 11. September 1842 .

– – Mein altes Kind! mein liebes, liebstes Herz! Ich denke in meiner Einsamkeit alle Tage wohl zehnmal an Dich und wette, Du Schlingel denkst alle zehn Tage kaum einmal an mich; darum mag ich es Dir garnicht sagen, wie lieb ich Dich habe, denn »Spiegelberg, ich kenne Dir!« Ich bin zwar eine unvergleichliche Person, und Rüschhaus ist ein höchst grandioses Schloß, aber die zuletzt aus dem Nile gestiegenen Kühe Pharaonis fraßen auch die alten auf, so hundsmager und schäbicht sie selbst waren und so schön fett und gleißend die andern. – –


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