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Johann Heinrich Voß an Ernestine Boie

Ernestine Boie war die Schwester von Voß innigstem Freund Boie, das spätere Vorbild der »Luise«. Nachdem es den Liebesleuten gelungen war, der größten Schwierigkeiten vor und nach dem Verlöbnis Herr zu werden, wurde ihnen eine musterhaft glückliche Ehe bescheert. S. Wilh. Herbst, J. H. Voß, Leipzig 1872.

Den 3. Februar 1774.

Guten Morgen, Ernestinchen! Ich wollte, daß Sie in diesem Augenblick so aufgeräumt wären wie ich. Die liebe Sonne scheint auf meinen Schreibtisch. Ich kann die Gardinen nicht herunternehmen, ob es mich gleich ein wenig blendet. Heida! nun gehn wir dem Frühlinge mit starken Schritten entgegen. Dann pflück' ich Blumen, und denke bei der ersten an Ernestinchen! Dann les' ich Kleists Frühling unter einem blühenden Apfelbaum. Dann hör' ich die liebe Nachtigall! O wie schön, wie schön! freun Sie sich, Ernestinchen? – wo ist meine Pfeife? Ich muß eine mit Sonnenfeuer ausrauchen. Eine neue Pfeife, die noch keine Flamme des Heerds entheiligt hat. – – Sie brennt! So schön hat mir in drei Monaten keine Pfeife geschmeckt! Ja, es hilft nichts, Sie müssen meinen ganzen Ungestüm anhören. Wenn sich die Natur verschönert, dann bin ich nicht zu halten. Miller und ich wir haben die besten Stuben. Wir sehen die Sonne und den Mond. Geht Ihre Stube auch gegen Süden? Dann freuen Sie sich auch anjetzt, und denken vielleicht bei Ihrer Freude an mich! Aber jetzt sind Sie wol nicht auf Ihrer Stube. Es ist halb neun; jetzt trinken Sie unten Ihren Kaffee. O ich sehe Sie am Kaffeetische. Eben jetzt schenken Sie ein. Unser lieber Vater (verzeihn Sie, daß ich ihn so nenne) raucht mit eben so vielem Vergnügen wie ich. Rudolf sitzt bei Ihnen. Er spricht zwar nichts, aber seine Miene sagt: Ach! ein schöner Tag! Nun kömmt der Frühling bald. Dann reis' ich nach Göttingen, und umarme meinen Voß. –

28. Juli 1774.

Unaussprechlich lieb ich Dich, meine Theure! Mein ganzes Leben sei Dein! und wenn ich sterbe, so sei mein letztes Stammeln zu Gott der Dank, daß er mir Dich geschenkt hat! O der liebe Gott muß uns beiden gnädig sein! Wie oft steigt unser Gebet wohl zugleich vor seinen Thron und bittet um Einerlei! Ich habe ein so festes Vertrauen auf seine Güte, daß ich mit der größten Freudigkeit in die Zukunft hinaussehe. Und nach dem Tode eine Ewigkeit voller Freuden, ohne Wechsel des Glücks, ohne Trennung und Abschiedsthränen, in paradiesischen Hainen, von Engeln begleitet – wer wollte Gott nicht lieben!

Göttingen, 1. Januar 1775.

Ich bin mit einer feierlichen Heiterkeit aufgestanden, habe alle meine Schicksale im vergangenen Jahr durchdacht, und Gott gedankt, der mich so wunderbar und so gnädig geführt hat; ich habe geweint und neue heftige Entschlüsse für Tugend und Vaterland gefaßt; was kann ich nun eher thun, als mich mit Dir, mein Alles nach Gott und Vaterland, zu unterhalten! Durch Dich, einzig durch Dich ist mir dies stürmische Jahr, mit allen seinen Thränen, mit allen seinen Todesschrecken, ein Sabbath Gottes; und alle Freuden aller vorhergehenden Jahre, da ich Dich noch nicht kannte, da ich noch nicht wußte, welche schöne Engelseele für mich aus den Händen des Ewigen geschwebt war und unter Blumen, von ihrem Seraph begleitet, geheime Ahndungen unsrer künftigen Liebe entgegenlächelte, alle jene geschmacklosen Freuden der stumpfen Einsamkeit sind Spreu gegen eine Thräne, die das selige Gefühl Deiner Liebe meinem Herzen entpreßte!


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