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Kerner an sein Rickele (Friederike Ehmann)

Es ist bekannt, wie sehr sich der Gründer der Karlsakademie mit Franziska von Hohenheim verbunden gefühlt hat, die erst als seine Favoritin, dann als seine Gemahlin viele Jahre lang in Württemberg großen und guten Einfluß ausgeübt hat. S. Justinus Kerners »Bilderbuch aus meiner Knabenzeit«.
Kerners schwärmerisch dichterisches Gemüt spricht sich in seinen Liebesepisteln aus, in der Liebe Glut schreibt er eine trunkene Prosa, und unversehens quellen ihm Verse unter der Feder hervor.

Dienstag, nachts 11 Uhr, 1807.

Schön ist's, wenn zwei Sterne beieinander stehen, ach, man sieht sie so gerne an, sie geben auch viel helleren Schein. Schön ist's, wenn zwei Blumen beieinander stehen, man freut sich ihrer, sie geben auch viel süßeren Duft. Doch wenn zwei, die sich lieben, beieinander stehen, wie schön ist das! Sie leuchten heller als zwei Sterne, sie duften süßer als zwei Blumen; daß ich Dich wiedersah, Du teueres Mädchen! Deine Liebe macht mich so glücklich. Doch ach, was fühlt dieses Herz? ist es Leiden, ist es Liebe! Ob Liebe Leiden sei, ob Leiden Liebe sei, weiß ich zu sagen nicht, aber ich klage nicht, lieblich das Leiden ist, wenn Leiden Liebe ist. Der Duft ist die Liebe der Blume, die Liebe ist der Duft des Mädchens! Eine Blume ohne Duft, so schön sie auch sein mag, steckt man nicht gern an das Herz. Ein Mädchen ohne Liebe, so schön es auch sein mag, ist ein totes Spielwerk. Duft gibt der Blume Leben und Sprache, Liebe, Leben und Sprache dem Auge des Mädchens. Der Jüngling verhält sich zum Mädchen wie der Stern zur Blume, rastlos schweift der Stern durch Wollen und Stürme. Die Blume duftet still auf häuslicher Flur, an die Mutter, die Erde, gebunden; der Stern, von düsteren Wolken umzogen, verliert seinen hellen Glanz. Die Blume duftet auch unter Stürmen ruhig fort. – Liebe, unser Tagwerk ist vollbracht, laß uns jetzt recht ruhig aneinander denken. Wie fern ist der Stern von der Blume, und doch wird sie von ihm erhellt. Wie fern ist die Blume vom Stern, und doch duftet sie zu ihm empor. Wie fern bist Du von mir, und doch fühl' ich Deine Liebe, ach so innig, als wenn ich Dich an mein Herz gepreßt hätte. Wie fern bin ich von Dir, und doch fühlst Du, ich weiß es, meinen Strahl in Deinem Herzen. Das schwarze Band von Dir trage ich fest auf dem Herzen.

Juli, Mittwoch.

Mein Rickele, mein liebes teueres Mädchen, warum bin ich doch fröhlich, warum nach vielen Tagen wieder. Gott, ich sah so viel Liebe heute in Deinen Augen, darum bin ich so fröhlich. O liebes Mädchen, daß Du mich liebst, es ist ein Traum. Daß ein Mädchen, ach, so was Heiliges in meinen Augen, mich liebt – das ist ein Traum. – du süßer Traum, laß mich nicht erwachen!!

Gundelsheim, den 1. Mai. Deinen Brief habe ich zu Heilbronn erhalten, wohin er mir nachgeschickt wurde. O Rickele, sei heiter und denke, daß du ewig in mir in Liebe und in Schmerz lebst. Nun ist der 1. Mai, Rickele! Ich fuhr durch eine herrliche Gegend den Neckar hinab, an alten Burgen, Klöstern und Schlössern vorüber, das Schiff gleitete so still hin, es war schon Abend, am Ufer schlugen die Nachtigallen. Ich nahm meine Maultrommel, und noch nie tönte sie mir so schön.

Ich mußte hier landen, das Städtlein hat ein ganz sonderbares Aussehen und in den Straßen war alles totenstill und verlassen, als ich darin einging; ich sah nicht einen Menschen, den ich hätte nach einem Wirtshaus fragen können, da hörte ich in der Kirche Gesang, ich ging ein in sie, mischte mich unter die Menge und dachte Dein. – Morgen werde ich weiter zu Schiff nach Heidelberg abgehen. – O Rickele, wo bist Du, o Rickele, komm und träume mit mir!

Hamburg, morgens, 24. Mai.

O Liebe! wie bin ich durch schreckliche Träume ermattet, wie so müde, lebenssatt und voll Trauer! Mir träumte, ich ginge Lustnau zu, da kam mir Nane mit vielem Weinen entgegen, die sagte mir: daß du voll Blut totenblaß daliegest und daß das Blut, das aus deinem Herzen ströme, nicht zu stillen sei. Da ging ich weinend den Berg hinauf und da kam Röslein herab und sagte ganz trocken: du seiest ja schon lange tot: – – Hier ist der Traum etwas unterbrochen.

Nachher kam ich vor ein großes Haus, das wie ein Schloß war, das stund aber ganz verlassen da und man hörte von keinem Menschen außen und innen.

Ich ging eine lange, lange Treppe hinauf, wo jeder meiner Tritte dumpf nachhallte, und wo alte Bilder, die da herumhingen, mich mit schrecklichen Augen ansahen.

Ich ging durch vile Zimmer, die alle verlassen dastunden. Da kam ich vor einen Saal, und wie ich über die Schwelle trat, gab mir eine unsichtbare Hand einen Schlag aufs Herz, von dem es mir ganz wehe wurde. Als ich nun in den Saal trat, da lagst Du ganz totenblaß in einem weißen Kleid (o Kind! so schön!!! –) auf einem schwarzen Teppich tot auf dem Boden und viele Rosen und Lilien um Dich her. O Liebe! wie war mir da!!! – Es kamen keine Tränen aus meinem Auge, ich fühlte keinen Seufzer, ich sank auf Dich nieder, mich störte kein Traum mehr in meinem süßesten Schlaf. – Als ich aber jetzt wieder erwachte, o Kind! wie bin ich ermüdet! wie traurig! ich fühle den Schlag auf meinem Herzen. –

Bin ich wie ein Kind, das seine Mutter
Erst verloren, weinend in der Nacht steht:
Sieh! so bin ich, seit ich fern gezogen.

Stund im Traum' ich heut' auf unsrem Berge,
Blick' ich in das tiefe Tal hernieder.
Such' Dein Haus ich, aber find' es nimmer.

Seh' ich eine einsame Kapelle
Auf der Stelle, wo's gestanden, stehen,
Tret' ich in die heilige Kapelle.

Hallet lange jeder meiner Tritte
Im verlassenen Gewölbe wieder;
Blicken ernst und fragend mich die heil'gen
Bilder an von den geweihten Wänden.

Tret' ich vor den Hochaltar, zu beten,
Knieest Du in einem weißen Kleide
Bleich auf schwarzem Teppich vorm Altare,
Lilien und Tulpen um Dich her.

Steht der Rosenstock zu Deinen Füßen,
Blütenreich vom Lorbeer schön umwunden.
Kehr' ich nie aus der Kapelle wieder.


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