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Hebbel an Elise Lensing in Hamburg

Hebbels Weg führte von Elise Lensing, einem furchtbaren tragischen Liebeskampf, in ein freundliches, liebliches Altersglück, zu Christine Enghaus. Was der Mensch Hebbel in der Tragödie gefehlt haben mag, der Dichter erwirkte ihm Verzeihung dafür. S. Friedrich Hebbel, Briefe, Berlin 1904ff. S. 263. Der prachtvolle Plauderer in Bismarck offenbart sich auch in diesen Briefen, sie atmen in aller unromantischen Tatsächlichkeit eine warme gläubige, sich geborgen fühlende Liebe. S. Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin. Stuttgart 1900. S. 268. Der Brief von Uhlands Gattin offenbart eine Ehe voll innigen Aufeinandergestimmtseins. Emilie Uhland, Ludwig Uhland.

Heidelberg, am 1. Ostertage 1830.

Meine teure, gute Elise!

Soeben habe ich von meinem Logis Besitz genommen und fühle jetzt kein anderes Bedürfnis, als Dir zu schreiben. Ich bin so sentimental, wie ein junges Mädchen, welches zum erstenmal empfindet, daß es ein Herz hat; ich könnte mich sogleich auf den Postwagen setzen und nach Hamburg zurückfahren, Berge sind ein schlechter Ersatz für geliebte Menschen. Dies wird vorübergehen und muß vorübergehen; aber wahr ist es, der Abschied ist ein bloßes Fegefeuer und die Hölle beginnt, wo die Reise aufhört und der neue Lebenskreis anfängt. Könnte ich jetzt eine Stunde mit Dir in Deinem kleinen Kämmerlein sitzen, so läge darin mehr Lebensgenuß als meine ganze Universitätszeit mir bieten wird. – – – –

– – – Ich schreibe allerlei tolles Zeug durcheinander und muß den Brief schließen, wenn ich ihn nicht zerreißen soll. Es gibt Dinge, die man, wenn sie einmal schlecht geschrieben sind, nicht besser schreiben kann, dahin gehören Reisebeschreibungen.

Ich grüße und küsse Dich tausendmal und nenn Dich meine gute, teure, einzige Elise! Sei nicht grausam und laß mich nicht allzu lange auf einen Brief von Dir warten, ich schmachte darnach. Das verfluchte Papier ist zu Ende, aber ich kann den Brief noch immer nicht schließen, leichter war mir's ehemals, aus Deinem Hause fortzugehen, ich konnte ja wieder kommen sobald ich wollte. Nun, jedenfalls soll's nicht sehr lange werden, daß wir uns wiedersehen; ich hoffe – obwohl ich in diesem Augenblick mit meinen Produkten unzufriedener bin wie jemals – in lit. Hinsicht etwas zu verdienen, und die ersten paar Taler, die ich übrig habe, verwende ich auf eine Reise zu Dir. Ach, das verfluchte Geld! Hätte man den Bettel, wie glücklich könnte man sein. Jetzt fühlt man sich auf jeden Schritt eingeengt und beschränkt. Noch einmal, mein teurer Engel, lebe wohl!

Dein Friedrich.

Grüße Deine Eltern.

Adr.: Lit.: D, Nr.: 146, bei Herrn Knopfmacher Neuer, Unteregasse. Zimmer Nr. 3.

Ich will den Brief heute zur Post tragen und sage Dir, Du treue Seele, noch einmal guten Morgen. Wäre das Wetter nicht so schlecht, so würde meine Stimmung besser sein, aber jetzt, wo ich beständig zu Hause sitzen und mich dabei erinnern muß, daß ich nicht hinüber gehen kann zu Dir, verfluche ich Süddeutschland und besonders mich selbst. Freilich, so, wie wir's in Hamburg hatten, konnte und durfte es nicht länger bleiben, aber, bei Gott, der Faden ist nur darum abgerissen, um ihn sobald wie möglich fester wieder anzuknüpfen. Du bist nicht die Erste in Schönheit und Jugend, aber Du bist in Deiner grenzenlosen Liebe und Hingebung das einzige weibliche Wesen auf Erden, welches mich noch mit Glück und Freude zusammenknüpfen kann. Wie steht's mit Deiner Gesundheit? Und wie denkst Du Dich gegen Deine Eltern zu stellen? Ich bitte Dich, schreib' mir hierüber ausführlich!

Dein Fr.

München, den 19. Dez. 1836

Heute mittag, liebe treue Elise, wird mir Dein Brief gebracht, als ich gerade im Begriff bin, meines Viktualien-Einkaufs wegen, auszugehen; ich bezwinge mich, ihn bis zur Zurückkunft uneröffnet zu lassen und hab' ihn nun eben bei meinem Kaffee gelesen.

Den letzten Punkt beantwort' ich zuerst. Meinen Ansichten über die Ehe wünsch' ich keinen Beifall, am wenigsten unter dem weiblichen Geschlecht. Sie gehen überhaupt nicht auf die Ehe selbst, sondern auf mein Verhältnis zur Ehe. Mir wird alles Unveränderliche zur Schranke und alle Schranke zur Beschränkung. Die Ehe ist eine bürgerliche, physische und in unendlich vielen Fällen auch geistige Notwendigkeit. Der Notwendigkeit ist die Menschheit unterordnet; jede aber ist mit Regalien verknüpft. Das Individuum darf sich der Notwendigkeit entziehen, wenn es Kraft hat, den Freibrief durch Aufopferung zu lösen, darin liegt seine Freiheit. Ich kann alles, nur das nicht, was ich muß. Das liegt zum Teil in meiner Natur, zum Teil in der Natur des Künstlers überhaupt, wenn ein Genie sich verheiratet, so geschieht immer ein Wunder, so gut, als wenn ein anderer sich nicht verheiratet. Nimm es als den höchsten Beweis meiner Achtung auf, daß ich Dir diese dunkelste Seite meines Ichs entschleiere, es ist zugleich unheimlich und gefährlich, wenn ein Mensch zum Fundament seines Wesens hinuntersteigt, und er tut gar wohl, wenn er niemals daran rüttelt, denn drunten lauern die Finsternis und der Wahnsinn. Neu kann Dir das alles freilich nicht sein, denn oft genug hab' ich mich über jenen Punkt ausgesprochen, aber hier ist's zusammengefaßt. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Am Weihnachtsabend werd' ich bis 12 Uhr nachts Kaffee trinken und ein Phantasiestück schreiben, um 22 Uhr aber in eine katholische Kirche gehen und die schöne Weihnachtsmusik hören. Redlich und gern werd' ich Dein gedenken.

Mögest Du an jenem Abend recht klar und innig fühlen, daß wir uns wiedersehen werden, und daß Du in mir ewig Deinen wärmsten Freund haben wirst, der Dich an seinem höchsten würdigsten Leben Anteil nehmen läßt und Dir den Blick in die Tiefen seiner Seele freistellt, dafür denn aber auch wohl verlangen darf, daß Du nimmer von ihm forderst, was er, als all seinem Denken und Empfinden widerstreitend, nicht gewähren kann. Was Deine Zukunft betrifft, so ist sie freilich nicht sicherer, aber jedenfalls eben so sicher, als die meinige, und wenn ich einst etwas hab', so werd' ich gewiß nicht vergessen, daß Du mit mir teiltest, als Du hattest. Dies ist mein Männerwort. Das zwischen uns bestehende Verhältnis ist auf einen sittlichen Felsen, auf gegenseitige Achtung gegründet; trat ein Sinnenrausch dazwischen, so wollen wir das nicht bedauern, denn es war natürlich, ja, bei der Lage der Dinge, unvermeidlich, aber noch weniger wollen wir's bedauern, daß er vorüber ist. Wie in der physischen, so gibt es in der höheren Natur, wie wär's bei der Ökonomie, die der Welt als erstes Konstitutionsgesetz zu Grunde liegt, auch anders möglich? – nur eine Anziehungskraft, die Menschen an Menschen kettet; das ist die Freundschaft, und was man Liebe nennt, ist entweder die Flammen-Vorläuferin dieser reinen unvergänglichen Vesta-Glut, oder der schnell aufschlagende und schnell erlöschende Spiritus unlauterer Sinne. Die Metamorphosierungsperiode mag, da die edlere Seele dann ihren eigenen Groß-Inquisitor machen und sich Wankelmut, Unbeständigkeit, wenigstens innere Unzulänglichkeit vorwerfen wird, gar schmerzlich sein; um so mehr wollen wir uns freuen, wenn wir ohne Umweg ans Ziel gelangen können. Ahnst Du, daß über mich am Ende etwas Höheres schwebt, so ahne auch das daraus Folgende, daß ich, ganz anders konstruiert als andere, selbst da Recht haben kann, wo die Welt nicht Unrecht hat! Keinem Menschen in der Welt schreibe ich Briefe wie Dir; Du genießest mit mir mein geheimstes Leben; ja, noch unklar über manche innere Zustände, bringe ich sie selbst erst dann zur An- und Überschauung, wenn ich sie vor Deinen Augen abwickle – – frage Dich einmal ernsthaft, ob wohl innigere Verbindung möglich ist? Mußt Du aber (und es kann nicht anders sein, oder ich wäre Dir nie gewesen, was ich Dir zu sein glaubte und glaube) die Frage mit Nein beantworten, so erfreue Dich Deines Glücks, wenn Du es Glück nennen willst, das erlangt zu haben, warum sich gar viele schon umsonst beworben und noch bewerben werden, Männer wie Weiber.

Mit Bezug auf die Molly hab' ich mir – (ich sag's noch einmal) – nicht das Geringste vorzuwerfen. Noch hundertmal kann ich gegen Mädchen so weit herausgehen und noch hundertmal werd' ich dasselbe sagen. Sie steht geistig nicht tief genug, um nicht einzusehen, daß sie für mich geistig zu tief steht. Der Satz gilt vollkommen. Hätt' ich etwa wider Willen aus Unvorsichtigkeit ein Übel angerichtet, so hätte jener Nachmittag, wo ich ihr mein Christentum präsentiert, alles gutmachen müssen. Ich gehe noch einmal auf die Sache ein, um Dir zu zeigen, daß sie mir nicht so gleichgültig ist, als die Person...

München, den 14. August 1838

Glaube mir, teuerste Elise, es ist mir nicht bloß unangenehm, es ist mir schmerzlich, daß die Briefe, die ich an Dich schreibe, fast alle den Charakter von Geschäftsbriefen tragen. Aber bedenke, daß ich nicht anders kann, daß ich niemanden habe, von dem ich mir über fragliche Punkte Auskunft erbitten könnte; dann wird Dich das nicht verletzen. Ich habe Dich meinen Genius genannt und Du bist es gewesen, Du würdest, selbst wenn die Mutmaßungen, zu denen Dein letzter Brief mir Anlaß gab, sich bestätigt hätten, es ewig in meinen Augen geblieben sein. Mein Brief mochte Dich kränken; ärger, als mich der Deinige konnte er Dich auf keinen Fall kränken. Er war bitter, aber der Deinige war lauwarm, er war die Wirkung, der Deine die Ursache. Du kennst mich, und mußt nicht in jedem vorschnellen Wort ein Echo meines Herzens sehen. Auch das ist ungerecht. Ich sprach von Deinen Vorschüssen und nannte sie eine drückende Schuld; meinst Du, daß sie dies nicht für mich hätten werden müssen, wenn Dein Brief wirklich der Abdruck Deines Innern war, wofür ich ihn denn doch wohl halten durfte? Nun ist es freilich wieder anders, obwohl ich, wenn ich an Deine hilflose Lage denke, Blut weinen möchte, daß ich Dir, wenigstens jetzt, nicht zu helfen und Dir nicht einmal wiederzugeben vermag, was ich von Dir empfing. Ich wäre ein gemeiner Hund, wenn ich anders empfände. Du sprichst davon, Du wollest Deine Einrichtung verpfänden, um mir Geld senden zu können. Ich beschwöre Dich (o Gott, ich kann Dich aus der Ferne ja nur durch Bitten von übereilten Entschlüssen abhalten), dies nicht zu tun; ich bin noch nicht in so großer Verlegenheit, ich habe Kredit, weil ich so lange richtig bezahlte, und brauche wenig; vom Morgenblatt kann ich, wofern nur mein neulicher großer Bericht abgedruckt wird, so viel erwarten, als ich brauche, um die bisher entstandene Schuld abzutragen, dann hab' ich abermals Kredit, und alles wird mir ja wohl nicht schief gehen. Auf keinen Fall würde ich nun doch, da ich Deine verzweiflungsvollen Verhältnisse kenne, einen Heller von Dir annehmen, Du mußt selbst fühlen, daß dies Sünde wäre, schreibe nur ums Himmels willen nicht einer in diesem Falle lächerlichen Empfindlichkeit einen Anteil an dem allein würdigen Entschluß zu, Du würdest mir im höchsten Grade unrecht tun und Dir selbst weh. Sei überzeugt, meine Gesinnungen gegen Dich haben sich nicht geändert und werden sich nicht ändern, Du bist mir eine Freundin, wie ich nie eine zweite finden kann, und wofern ich selbst noch etwas zu hoffen habe, was ich zwar nur in wenig Stunden wage, so wirst auch Du noch dereinst aus Deiner jetzigen zerquetschenden Kümmernis erlöset werden. Also noch einmal: verpfände Deine Sachen nicht, ich brauche kein Geld, könnt ich mir durchaus nicht mehr helfen, so (dies verspreche ich Dir) werd' ich mich Dir vertrauen, jetzt nehme ich nicht um den Preis der Welt etwas an. Ich werde schon durchkommen ...

München, den 12. September 1838.

Ich weiß nicht, liebe Elise, womit ich so viel Liebe verdiene, oder vielmehr, denn das andere ist wohl immer der Fall, ich weiß, daß ich sie nicht verdiene. Eine solche Schuld läßt sich nur mit dem Herzen zahlen, aber mein Herz ist längst bankerott, es ist leer und dürftig, wie eine Wüste, durch die nur selten ein frischer Hauch, der erquickende Tropfen bringt, hindurchzieht. Ich schaudre oft, wenn ich mich dort, wo die eigentlichste Quelle des Lebens entspringt, erstarrt fühle, doch, das Tote beklagen und es wieder erwecken, ist leider zweierlei. Freilich habe auch ich hohe Stunden, wo das Eis schmilzt und die himmlischen Gefühle aus ihrem Schlummer erwachen; dann dünke ich mich reich genug, um jedem, und ob es Gott selbst wäre, zu vergelten, was er an mir getan, dann scheine ich mir ein Brunnen, der nur darum aus allen Adern der Erde die holden Gewässer einsaugt, damit er erquicken kann, was ringsum dürstet und schmachtet. Aber, der leiseste Zugwind tötet diesen treibenden Frühling in meiner Brust, und ein solcher Zugwind ist schon der Gedanke: »Heuchler, bist Du auch mit der Peitsche hinter das Gefühl her, legst Du auch Deinem Herzen Kontribution auf?« Und etwas Wahres ist wohl nicht allein an meiner Empfindung in solchen Augenblicken, sondern auch an jenem Gedanken. Nur dessen bin ich mich bewußt, daß ich niemals eine Heuchelei irgendeiner Art (die sich leider, wenn der Mensch nur aufrichtig sein will, auf tausend geheimen Wegen ins Leben hineinschleicht) wissentlich fortsetze. Ach, es liegt so unendlich viel Zweideutiges in unserer Natur, und ich bin so zusammengequetscht, daß ich nicht weiß, was ich meinem eigenen Ich, und was ich meinen Verhältnissen zurechnen muß. Dies hindert mich ebensooft am Reinigen meiner selbst, wie am Bekränzen und Bekomplimentieren. Der Teufel sage die Wahrheit, wenn er kann, und Gott, wenn er muß, sonst um keinen Preis!

Kopenhagen, den 27. Februar 1843.

Dein Brief hat mich innig erquickt, er war so schön, so voll von stammelnder Poesie (möchte ich sagen), daß ich einer tiefen Dichter-Seele ins Auge zu schauen glaubte, die nur darum nicht singt, weil sie ihr Innerstes durch Blicke auszudrücken vermag. Du hast eine ganze Hand von Perlen gesammelt und sie in meine Brust hinabgeworfen. Was sind alle Schnörkeleien gegen Deine einfach-schönen Darstellungen und Schilderungen. Ganz allerliebst fand ich Dein kleines Männchen; käme es doch, wie freundlich wollte ich es willkommen heißen! Vor allem aber sind Deine Träume (ich meine die früheren) im höchsten Sinne dichterisch, so daß ich den einen ja auch nur ganz einfach in die Judith hineinzusetzen brauchte; es ist kein wüstes phantastisches Durcheinander, sondern jeder ist in sich abgeschlossen und bringt seinen goldenen Rahmen gleich mit. Von keinem Dichter in der Welt würde ich als Dichter das Geringste entlehnen oder borgen, denn je älter ich werde, je mehr lerne ich den hohen Wert der ursprünglichen Erfindung schätzen, je klarer sehe ich ein, daß darin, und nur darin, die eigentliche vis liegt; Du jedoch bist ausgenommen, Deine Edelsteine und Kleinodien werde ich immer gern, ja mit Stolz, in das Gold meiner Form fassen, und warum? weil Du durchaus mit zu meinem Wesen gehörst, weil zwischen uns gar keine Grenzen bestehen. Ob ich Dich glücklich machen, ob ich Dir für so vieles, was Deine Liebe und Dein über die gewöhnliche negative Weiber-Tugend so hoch erhabener Edelmut mir opferte, Ersatz bieten kann, weiß ich nicht, aber dies weiß ich, und darauf soll wenig von mir, aber viel von dem Wesen zu lesen sein, das ich nicht bloß am innigsten geliebt, sondern auch am meisten verehrt habe. Ich sollte dies in einem Brief an Dich nicht aussprechen, ich will es aber, und Du mußt es mir verzeihen!

Paris, den 23. Oktober 1843.

Gestern mittag, als ich um l Uhr sorglos von einem Spaziergange zu Hause kam, fand ich Deinen Brief vor. Ich freute mich, als er so dick war. Wie ward mir zu Mute, als ich ihn öffnete und nur einen Blick hineintat! Es war mir nicht möglich, ich konnte ihn nicht lesen. Ich setzte mich augenblicklich nieder und schrieb Dir im ungeheuersten Schmerz einige Zeilen. Ich wußte nicht, was ich schrieb, ich sah es nicht, vor meinen strömenden Tränen konnte ich meine eigenen Buchstaben nicht sehen. Ich schrieb Dir nichts weiter als die drei Worte: ich komme, Gott tröste Dich! Ich siegelte das Blatt ein und eilte damit auf die Post. Aber sie war schon geschlossen, ich mußte meinen Brief wieder zurücktragen. Es ist gut, daß Du dies Blatt nicht erhältst. Ich sage Dir nichts davon, welch einen Tag ich verlebt habe. Ich irrte durch die Straßen der Stadt, ich sah die Steine an und freute mich, daß sie stumm sind. Erst spät um 5 Uhr hatte ich die Kraft, Deinen Brief zu lesen. Wohl kannst Du denken, daß es nicht in einer Folge geschah. Was ein Vater bei dem Tode seines Sohnes empfinden kann, das habe ich empfunden, das empfinde ich. Ich habe in die Luft gegriffen nach Deiner Hand, aber ich habe nicht das Bewußtsein in mir gehabt, sie zu erfassen, ich fühlte mich allein, schrecklich allein. Oh, mein Max, mein holdes lächelndes Kind! So bist Du dahin? Eins hast Du nun vor mir voraus: Dir kann kein Sohn sterben! Laß mir nur Deine Mutter! Umschwebe sie, flüstre ihr zu, daß ich sie jetzt nötiger brauche als Du!

Nein, ich hatte keine Ahnung, nicht die geringste. Nur Sonnabend abend zwischen 8 und 9 Uhr überkam mich auf einmal eine tiefe Angst, meine Knie fingen an zu schlottern, es überlief mich kalt – war das die Wirkung Deines Briefes, der sich Paris näherte? Oder war es – ich denke mir das Entsetzlichste, ich mag es nicht schreiben! Wenn Gott einen Funken Erbarmen für mich hat, so muß ich mich täuschen.

Ja, Elise, ich zittre jetzt für Dich. Die übermenschliche Kraft, die Du in und nach der Krankheit aufgeboten hast, die mich selbst in Deinem Brief noch mit Schauder erfüllt, läßt mich im Geist vor einem Verlust zittern, gegen den selbst dieser verschwindet, wenn ich noch eine Antwort auf diesen meinen Brief von Dir erhalte, und wenn Du mir schreiben kannst, daß du gesund bist, so will ich meine Hände falten und sprechen: Gott hat mir meinen höchsten Wunsch gewährt, er ist mir nichtmehr schuldig.

Oh, erhalte Dich mir! Auf meinen Knieen flehe ich Dich an: bekämpfe deinen Schmerz! wenn du es nicht tust, so bereitest du mir ein Weh, welches das Deinige noch übertrifft. Dies bedenke! Du bist das einzige Band, das mich an das Leben noch fesselt, nicht das Leben hat Wert für mich, nur das Band. Du weißt, wie ich in Kopenhagen litt, als Dein Brief nur drei Tage ausblieb. Danach nimm das Maß für das, was ich jetzt leide. Aber fürchte nicht für meine Gesundheit; die wird dadurch nicht angegriffen, ich werde nur innerlich immer mehr getrübt.

Paris, den 21. November 1843.

Dein Brief ist so schön, so außerordentlich schön, daß ich Zeile für Zeile küssen möchte, besonders was Du von dem werdenden kleinen Wesen sagst, daß Dir sei, als ob es schon bitten könne. Oh, hätte ich Worte, lind wie Rosenblätter, an denen der Morgentau hängt, um Deine Seele zu kühlen und zu erfrischen! Wenn ich an Dich denke, an das, was Du erlitten und wie Du es ertragen hast, so möchte auch ich noch wieder hoffen, nicht meinet-, sondern Deinetwegen. Sonst ist meine Philosophie jetzt die: es gibt nur eine Notwendigkeit, die, daß die Welt besteht; wie es aber den Individuen darin ergeht, ist gleichgültig, ein Mensch, der sich in Leid verzehrt, und ein Blatt, das vor der Zeit verwelkt, sind vor der höchsten Macht gleich viel, und so wenig dies Blatt für sein Welken eine Entschädigung erhält, so wenig der Mensch für sein Leiden, der Baum hat der Blätter im Überfluß, und die Welt der Menschen. –


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