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Anzengruber an Fräulein Mathilde Kammeritsch

Aus Anzengrubers wenig von Glück gesegnetem Leben hat sich nur ein Liebesbrief erhalten, jener, den der 26jährige, stellenlos gewordene Vöslauer Episodenspieler an eine schöne Kollegin richtete. S. Bettelheim, Briefe, Stuttgart und Berlin 1902, Bd. 1.

Gainfahrn, den 27. August 1865.

Mein liebenswürdigstes Fräulein!

Da ich schon einmal des Glück genieße, mit Ihnen in Korrespondenz zu stehen und Sie die Güte haben, meine Briefe zu beantworten, so drängt es mich, aus mehr als einer Ursache mich für das liebe Schreiben zu bedanken, das ich von Ihnen unterm 19. d.M. erhielt.

Mein Fräulein, ich stehe an einem Wendepunkte meines Lebens, als Schauspieler steht es mir frei, Österreich zu verlassen, auswärts mir Anerkennung und Existenz zu erringen – aber mein vorwiegend dichterisches Talent möchte gern im vaterländischen Boden wurzeln, mein hiesiges Engagement hat sich plötzlich gelöst, ich stehe, sozusagen, wieder »frisch«; dem wäre abgeholfen, wenn ich in das theaterreiche Ausland zöge – aber ... ich müßte doch vieles lassen, vielem entsagen im Vaterlande, und ich hätte wohl einen tiefen, heiligen Anstoß, der mich alles wagen hieße, um im Lande zu bleiben und – glücklich zu sein. –

Mein Fräulein, wenn einer offen und ehrlich ist, so bin ich's! – Als Mann, der so spricht, wie er denkt und fühlt – hätte ich Ihnen – der Gespielin meiner Jugend, meiner reizenden Freundin und dem fleckenlosen reinen ehrlichen Mädchen etwas zu sagen – was sage ich etwas – vieles, wenn auch in wenigen Worten – vieles – und sei Gott mein Zeuge, keine Silbe, die ein Mädchen von den Lippen eines Mannes erröten machen müßte.

Soweit habe ich mich ausgesprochen – schriftlich; ich bin es Ihrer Ehre schuldig, wenn ich jetzt mit einer Bitte, mit meiner innigen Bitte vor Sie trete, ohne Sie mißtrauisch machen zu wollen. Ich bitte Sie, Ihnen, Ihnen allein das Angedeutete sagen zu dürfen – hören Sie mich, vom 8. September ab bin ich wieder in Wien, sind Sie dem armen Dichter, der bis heute freilich noch sorgend und ringend allein steht, ein wenig gut – so bestimmen Sie ihm Ort und Stunde einer Zusammenkunft, ohne Ihrer durch Arbeit in Anspruch genommenen Zeit Abbruch zu tun – sollte Ihr Herz jedoch bereits versagt und Sie dem Dichter nicht mehr sein wollen, als Freundin, dann seien Sie offen und schlagen Sie mir die Zusammenkunft rund ab.

Um uns gegenseitig jede Peinlichkeit zu ersparen, bitte ich Sie um ein paar Zeilen, die Ihr überlegtes »Ja« oder »Nein« ausdrücken mögen, – mehr nicht –. Ich spreche nichts von meinen Gefühlen, sie sollen stumm sein – lassen Sie Ihr Herz dagegen offen sprechen – ich erwarte die Entscheidung: die Bewilligung meiner Bitte – oder die offene Rückweisung im Laufe dieser Woche. Folgt keine Zeile, dann ist Schweigen auch eine Antwort – aber Ihr Freund verbleibt doch in allen Lagen des Lebens

Ihr treu ergebener

Ludwig Gruber.


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