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Anton Matthias Sprickmann an Jenny von Voigts, geb. Möser

Frau von Voigts war die Tochter Justus Mösers, mit dessen herber Lebensrichtung ihre sentimentale Freundschaftsschwärmerei wenig gemein hatte. Daß sie verheiratet war, hielt sie nicht ab, einen Bund schwärmerischer, geschwisterlicher Liebe, eine Seelenfreundschaft, zu knüpfen. Ähnlich, herrnhuterisch, zeigt sich Susanna von Klettenberg in ihren Gefühlstönen an Lavater. S. Zeitschr. für vaterländ. Geschichte und Altertumskunde, 40. Bd. Münster 1882.

7. September 1790.

... Willkommen mir, liebe, liebe Schwester! willkommen mir in diesem 41. Jahre meines Lebens. Seit 2 Uhr in der vorigen Nacht liegen jetzt 41 Jahre auf meinen Herzen und auf meinem Gewissen. Dreißig dieser Jahre leben etwa noch in meiner Erinnerung und diese Zeit, ach ..., wie scheint sie mir so weit und so eng! ... An Erinnerungen von Leiden und Freuden, von Täuschung und Erfüllung, von leidenschaftlichem Streben und Herumschleudern – welch' ein Reichtum in meinem Gedächtniß; und welch eine klägliche Armut an Erinnerungen des stillen, ausgenießenden Genusses, des Tragens in Gehorsam, des Wirkens in Liebe! ... Liebe ..., ich habe, was jeder Mensch hat, meine eigene Welt, und trage diese meine Welt in meinem Herzen an meinen Erinnerungen. Ach! und ich hatte diese Welt lang so lieb, und lebte mit so vielen von diesen Erinnerungen, wie mit Freunden, zu denen ich hineilte, die ich zu mir rief zu Trost und Freude in Stunden der Oede und der Enge! Aber wie ändert sich das! Liebe, wie hat sich das geändert, wie werde ich mistrauisch und kalt gegen so viele dieser alten Freunde, wie flieh ich sie, wenn sie von selbst kommen – seitdem ich der Wahrheit meinen Brautring gab! Wohl sei Wahrheit eine schöne, süße Braut, aber auch eifersüchtig wie keine andere ... Du weißt, Liebe, ich hatte Sinne, sehr heiße, lüsterne, ungestüme Sinne, aber dennoch begann da, wo ich verführt ward, meine Verführung selten in diesen Sinnen ... Was mich verführte, war durchgehends jenes Ideal, das sich früh in der ersten Jugendgluth meiner Empfindung erzeugte: »Ich bin und ich soll werden, was ich noch nicht bin; was der Mensch werden kann, das kann der Mann nicht werden ohne Weib, das Weib nicht ohne Mann! ... Mann und Weib sollen einander geben, was jedes von ihnen hat, von einander nehmen, was jedem fehlt. Das ist Sinn der Liebe! Darum ist Liebe das heilige Kind des Reichthums und der Armut, wie es dem Sokrates seine Seherin sagte; darum soll Liebe den Mann edel verweiblichen, das Weib edel vermännlichen! ... Ich bin! also ist auch Eines unter den weiblichen Wesen, die geschaffen sind, das geschaffenste für mich ... Eine unter allen mein, wie es keine Andere sein kann! für Eine ich, wie es kein Anderer sein kann. So dachte ich früh ... du erinnerst dich wol der Geburt dieses Gedankens aus meiner Lebensgeschichte, erinnerst dich wol eines Briefes im Mornach, der diesen Gedanken ganz entwickelt. So dachte ich früh und glaubte dann, sie vor mir zu sehen, diese Eine, Meine! ... Und ach, sie war's dann nicht, war's nicht ganz, hatte viel, nicht alles! war Eine schwesterliche Zwillingsseele dieser Einen, nicht sie selbst! oder auch sie fand nicht an mir, was sie gesucht hatte ... oder Erdenschicksal trat zwischen uns und riß mich von ihr ab, wie es mich zu ihr hingezaubert hatte. Und ich wurde nicht klüger, lernte mich nicht resignieren, daß ich mir diese höchste Seligkeit dieses Lebens selbst zerstört hatte, daß ich – ach sie nicht mehr suchen durfte, weil ich sie nicht mehr finden durfte ... wähnte wol gar, die höhere Bestimmung dieser Einen hätte mit der Erdenseite der Liebe nichts zu schaffen! ich könnte mein Wesen trennen, auch hier schon – trennen Geist von Sinn! theilen mein Herz zwischen beiden! und so söhnte ich mich dann aus mit mir selbst, mit dem Loose, welches ich über mein Erdenleben geworfen hatte ... Hätte ich Genügsamkeit gehabt, mich zu begnügen mit schwesterlicher Liebe, zu leben mit guten Seelen in Familien-Einigkeit, mit Ehrfurcht für Pflichten, die ich mir selbst aufgelegt hatte – so hätte ich vielleicht glücklich sein können. Aber diese Genügsamkeit ward mir nicht. Jede meiner Leidenschaften hatte immer den Wahlspruch: Alles oder Nichts! ... Liebe ..., ich erkenne jetzt Wahrheit, und erkenne sie noch früh genug, daß ich sagen darf, sie ist keine Geburt des erkaltenden Alters in mir ... Sie soll meine Braut sein und mir geben, was mir durch Liebe nicht werden sollte, ich will ritterlich in ihrer Rüstung kämpfen, und wenn ich einst sagen kann, was ich noch nicht kann, ich habe gesiegt, dann ... wollen wir reisen! Du sollst mit mir sein und ich will abbitten ... Die Idee so einer Reise mit Dir nähre ich gern, sie würde mich auch noch zu mancher lieben Seele führen, an die ich ohne Reue denke ... den Thüren der Hochgelehrten, der Hochberühmten gingen wir vorüber; aber an den Thüren der Lotten und Luisen – Ach, liebe ... was sagst du?«


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