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Wilhelm von Humboldt an Johanna Motherby

Von Johanna Motherby bekommt man nur aus den an sie gerichteten Briefen, dem leidenschaftlichen Werben Humboldts und dem exaltierten Liebesverlangen Arndts eine Spiegelung.

Berlin, den 7. März 1810.

Mir ist ein Wesen, wie Sie, nie erschienen; Sie haben wieder Gefühle in mir erschlossen, die ich für tot und abgestorben hielt; ich bin auch so unendlich gewiß, daß das immer gleich und unverändert in mir bleiben wird, daß ich die Erinnerung dieser Vergangenheit und die Hoffnung selbst einer gleich schönen Zukunft nicht mehr von meinem Dasein abtrennen kann. Auch in Ihnen, Liebe, muß jeder Zweifel deshalb verbannt sein. Sie müssen gefühlt haben, daß jeder meiner Blicke, jedes meiner Worte tief aus meinem Innern hervorkam, daß die Gefühle, die ich mich nicht scheue, einzugestehen, mit allen übrigen tief und fest in mir gewurzelten harmonisch verbunden waren, daß ich nie von Ihnen etwas forderte, ja nie gern in Ihnen nur geduldet hätte, was die gleiche Harmonie in Ihnen hätte stören können. Und Sie sehen jetzt, daß es ebenso auch, da ich abwesend bin, in mir geblieben ist. Auch in der unbeschränktesten Freiheit, die man der Empfindung ewig erhalten muß, gibt es ein immer die Unveränderlichkeit verbürgendes Gefühl und wieder ein Zusammenstimmen der Wesen, über das hinaus es nun kein höheres mehr geben kann, Ein wunderbarer Zufall oder vielmehr ein Schicksal, dem ich immer dankbar sein werde, hat mir Sie zugeführt, es ist durch Sie vieles in mir entstanden, daß ich nie gedacht hatte, und nichts, was ehemals in mir war, hat sich gehemmt und unterdrückt gefühlt; ich gäbe mein Leben darum, Sie zufriedener und glücklicher zu machen, ich weiß auch, daß ich nicht leicht je aufhören kann, in Ihr Empfinden und Denken verwebt zu sein, ich fühle noch lebendiger, daß ich Ihnen noch viel sein kann, wenn Sie nur in sich den Glauben an mich erhalten, und so bin ich, seit ich Sie kenne, unendlich reiner mit mir selbst, abgeschlossener in allen Wünschen und Erinnerungen, oft weniger glücklich, aber doch mehr eins mit mir und allem, was mich umgibt. Das weniger glücklich muß Sie nicht schmerzen, liebe Freundin. Es gibt leidenschaftliche Augenblicke, von denen Ruhe und Glück fern sind, die aber, wer das wahre Leben versteht, nie aus sich wegwünscht. Es ist nicht notwendig, glücklich zu sein, aber unerläßlich, seine eigentliche, tiefe Bestimmung zu erfüllen; auch der Seidenwurm mag nicht glücklich sein, wenn er sich einspinnt, aber es gibt ein Gefühl, das weit mehr als Glück ist, die Ruhe der Wehmut, und die geht allemal aus der Erfüllung der Bestimmung hervor. Die Bestimmung aber ist in jedem Menschen eine eigene, auch findet man sie nie, wenn man danach sucht; aber in Momenten der Rührung, im Zusammensein mit Gleichgestimmten, oder in der Einsamkeit mit sich selbst, geht sie hervor, wie eine Flamme im Dunkel, und wer nicht willkürlich die Augen verschließt, verkennt sie nie. Daran halten auch Sie sich, meine Liebe, wenn Sie sich verlassen fühlen. Eigentlich sind Sie es nie. Es gibt Gedanken, die Sie immer umgeben, und Gedanken stärken auch in der Ferne – – –

An dieselbe.

Dann werde ich Dich immer tiefer erkennen, immer mehr anbeten und lieben, wenn ich es mehr könnte. Und das ist das Wunderbare der Liebe, daß man es immer kann. Ich zähle die Stunden, bis ich Deinen ersten Brief habe. Dann kann ich jeden achten Tag auf einen neuen rechnen. Welche Seligkeit. Es gibt nur zwei unwandelbare Dinge: die Sterne im Himmel und die Liebe und Treue des Weibes auf Erden. Gott! wenn Du einmal nicht schreiben, wenn Du es vergessen, etwas anderes vorziehen, es unterlassen könntest, weil ich geschwiegen hätte. Aber verzeih' den sträflichen Gedanken. Es kann nicht sein. Du bist treu und liebend. – Ich muß Dir sehr sonderbar vorkommen, aber ich bin einmal anders wie andere, und Du hast mich gewollt wie ich bin, sonst hättest Du nie meine innersten Gefühle beschworen. Wenn Du es verlangtest, konnte ich mit Dir sein wie mit andren Menschen und in der Brust verschließen, was höher und würdiger ist. Es hat nie ein Mensch solch eine unendliche Gewalt über mich besessen, und keiner das eigne Glück mehr verschmäht. Aber es ist mir zurückgekommen, wie verschmähte Liebe sich anschmiegt, und wenn der glücklich ist, der nichts in und um sich abändern möchte, der genießend hängt am Gelungenen und Heitren und an des Schicksals Mißgunst und dem Schmerz, der immer eins ist mit sich und nie zürnt mit dem Schicksal, der nie einem andren, auch keinem Kinde ein Haar krümmte und, wo er Schmerz machte, mit Liebe zahlte, so habe ich nichts zu wünschen übrig. Auch glaubst Du nicht, holdes Kind, wie ruhig ich des Todes gedenke. Er kommt mir nicht anders vor, als ein ruhiges Ausstrecken und ein sorgenloses Liegen in freundlicher Erde. Aber ich weiß nicht, was ich habe, daß ich immer auf Gedanken mit Dir komme, die sich tiefer bewegen müssen. Ich möchte Dir heiter und leicht schreiben, um Dich froh und heiter zu machen. Aber es will mir nicht gelingen, meine Gefühle sind zu tief, daß ich – – – –

Ich umarme Dich tausendmal. Lebe wohl!


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