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Detlev von Liliencron an Helene von Bodenhausen.

Die Liebesbriefe Detlev von Liliencrons, aus einer durch 13 Jahre, zuweilen sehr stürmisch sich hinziehenden Korrespondenz mit seiner ersten (1885 von dem Dichter geschiedenen) Gattin sind herausgegeben von Heinrich Spiero: Unbegreiflich Herz, Detlev von Liliencrons Briefe an Helene von Bodenhausen. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1905.

Kellinghusen, den 4. Juni 1872.

Meine süße geliebte Helene!

Als ich heute abend von einem weiten Spaziergange nach Hause kam – lag in meiner Stube auf meinem Schreibtisch ein Brief. Es war Deine Handschrift. Ich wurde, glaube ich, totenbleich. Als ich ihn aufriß, fand ich Deinen Glückwunsch, Deine Blumen. – Es ist mir wie ein Gruß aus den Höhen des Himmels. Ich kann es nicht fassen. Dieser Brief wird wohl lauter Durcheinander sein – verzeihe es mir – es ist so schwer, mich zu fassen, in diesem Augenblick. Oh, Helene, meine Lenotschka! daß Du auch an mich denkst! Die Menschen – ich selbst – haben mir soviel vorgeredet, welche Sünde es sei – noch weiter Dir zu schreiben oder je in Verbindung wieder zu treten. Viele Briefe an Dich habe ich angefangen, verbrannt oder verwahrt. Ich selbst halte es fast für eine Sünde – Dir zu schreiben. Kalt und streng und herzlos sollte ich Dir gegenübertreten – Dir – Dir, Helene! O mein Gott, mein Gott! – In all meine Leiden und Qualen kommt heute Dein Brief – Deine Blumen. – Und laß es Sünde sein – aber ich muß Dir danken – ich muß Dir sagen – wie ich, wenn es sein könnte überhaupt, mehr und mehr Dich liebe – ich liege zu Deinen Füßen. Ich küsse Deine Hände, Deine süßen, lieben Augen, Deinen Mund, – Helene! – ich liebe Dich mehr wie je – ich habe unsäglich gelitten – mehr als Du je wirst ahnen können. – Auf allen Wegen, in meinen Gedanken und Träumen stand nur Dein Bild vor meinen Augen. – Und Dein Bild nur wird mich bis zum Grabe verfolgen. Nur Du bist meine einzigste, wahre Liebe – nur Dich, nur Dich habe ich lieb. – Ich weiß nicht, was ich schreibe, es ist wohl lauter Wirrwarr und Durcheinander – verzeihe es mir – ich kann nicht anders. – Meine Lenotschka! wie habe ich Dich lieb, so unbeschreiblich, so unsäglich. –

Oh, könnte ich Dir meine Briefe an Dich, meine Tagebücher an Dich zeigen. Oft als wären wir verheiratet und ich wäre nur zufällig weit, weit von Dir entfernt – oft unsinnig und schwärmerisch – oft als wenn wir verlobt wären – aber: doch meistens als wären wir verheiratet – dann schreib ich Dir alle meine Sorgen, meine Freuden und Leiden. – Es ist mir, als wenn ich lange im Gefängnis geschmachtet, und nun die Sonne seit lange wieder zum ersten Male sehe! Und die Sonne, die ewige Sonne bist Du – Du – Helene!

Jetzt habe ich die eine Bitte an Dich. Darf ich Dir schreiben wie vor einem Jahr? Darf ich Dir wieder alles sagen, alles schreiben? Darf ich Dir wieder alle Sorgen, alles das, was mich bewegt, – schreiben? Ich liebe Dich so innig, so dringend; antworte mir darauf in wenigen Worten. – Du bist ja die Einzigste auf dieser Erde, der ich alles sagen kann; Du bist ja die Einzigste, die mich versteht, die Einzigste von allen Menschen.

Dein Fritz.


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