Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Die Wüste.

Genoveva. Ich höre Hörner und ein wildes Schrein,
Was nie in diesen Felsen noch gehallt:
Ists Krieg, ist Jagd, was soll es doch wohl sein?
Es kömmt herauf da unten aus dem Wald.
O käme nur mein Schmerzenreich herein!
O Gottes Schutz, du über ihm doch walt!
Daß nicht mein armes Kind verloren gehe,
Das wäre mir das letzt' und größte Wehe.

geht in die Höhle.

Die Hirschkuh kömmt gelaufen und eilt in die Höhle.

Siegfried tritt schnell herein.

Siegfried. Das Wild floh in die Höhle. – Jesu Christ!
Was seh' ich da? Im Berg dort ein Gespenst; –
All' gute Geister loben Gott den Herrn –
Es wankt nicht, und sitzt unbeweglich da –
Bist du ein gut Geschöpf, so komm heraus!

Genoveva drinnen.
Ave Maria, heil'ge Mutter Gottes!

Siegfried. Bist du von Gott, so zeige dich am Licht.

Genoveva. Ich bin von Gott, doch darf ich mich nicht zeigen,
Ich bin ein arm, nackt, schwach und elend Weib,
Wenn ich soll zu euch kommen, werft mir erst
Den Mantel zu, muß mich sonst vor euch schämen.

Siegfried. Da ist der Mantel. – Komm heraus und sprich.

Genoveva tritt auf im Mantel eingehüllt. Die Hirschkuh folgt ihr.

Siegfried. Nun beim allmächt'gen Gott, ich bin erschrocken.
In aller Welt wer bist du, also krank
Und nackt in dieser wüsten Höhle, einsam,
Wo nie ein Menschenfuß die Steine tritt?
Und was ists doch, daß dir dies Wild gehorcht
Und wo du bist, auch neben dich sich stellt?

Genoveva. Ach, lieber Herr, ihr wollet mir verzeihn –
Auch ich erschrak vor eurem Anblick sehr;
Nie kam ein Mensch in diese Wüstenei,
Nun fügt es Gott und schickt mir eben euch.

Siegfried. Wer bist du denn? Und wie ist denn dein Name?
Hast du von je in dieser Wüst' gewohnt,
Wie, oder bist du sonst ein Mensch gewesen
Wie andre auch, und kanntest beßre Zeiten?
Vor Mitleid, daß ich dich so vor mir sehe,
Kann ich mich kaum der Thränen mehr enthalten.

Genoveva. Ach freilich kannt' ich beßre Zeiten einst,
Aus Brabant bin ich, floh in diese Wüste,
Weil man mich unverschuldet tödten wollte
Und mit mir auch mein armes schönes Kind.

Siegfried. Wie kam dir das? Wie lang ist das nun her?

Genoveva. Ich war mit einem werthen Herrn vermält,
Der warf auf mich Unschuldige Verdacht
Als hätt' ich ihm die Ehetreu gebrochen;
Im Zorn befahl er seinem ersten Diener,
Zu tödten mich und auch sein liebes Kind,
Das ich von ihm empfangen. Aus Erbarmen
Erhielt ich von den Mördern noch mein Leben,
Versprach in eine Wüstenei zu gehn,
Und meinem Herrn vor Augen nie zu kommen,
Zu dienen Gott: – Dies sind nun sieben Jahr.

Siegfried. Es ist nicht möglich! – Wie ich euch betrachte –
Ihr seid mir fremd, ich hab' euch nie gesehn, –
Es kann nicht sein, – nun sagt mir euren Namen
Und auch den Namen eures Eheherrn.

Genoveva. Mein Eheherr, – ach Gott, er heißt Herr Siegfried,
Ich Unglücksel'ge heiße Genoveva.

Siegfried stürzt sinnlos nieder.

Genoveva. Ist er gestorben an dem harten Wort?
O Siegfried! theures Herz! ermanne dich.

Siegfried, niederknieend.
O Genoveva! Genoveva! Ihr?
Ach höchster Gott! O habt ihr mir verziehn? –
Nein, nein, laßt mich auf meinen Knieen sitzen,
Nicht aufstehn, nicht mich trösten, – so euch sehn?
Die nackten heil'gen Füße will ich küssen, –
So gar vermagert? – Ach du liebster Gott!
Wie kann mich Bösewicht die Erde tragen?
Wie könnt ihr mir verzeihn? Nein nimmermehr!
Ich bin die Schuld von eurem großen Elend;
Ich bin es, der die herrliche Gestalt
Also entstellt, in große Noth gebracht.
Ihr hier? – O ich kann kaum den Sinnen trauen!
Wie will ich euch versöhnen? stünd' ich auch
Zehn ganzer Jahr in lichten Schwefelflammen,
Litt ich auch Durst und Hunger, Frost und Blöße,
Ja wohnt ich unter Schlangen und Skorpionen,
So könnt' ich nimmer das vergelten, was ihr mir
Gelitten habt. Ja fließt nur, heiße Thränen,
Zu ihren Füßen fließt. O Genoveva!
Darf ich noch euren theuren Namen nennen?
Ists mir vergönnt die Augen aufzuschlagen?
Stoßt ihr mich nicht mit diesen Füßen fort?
Speit ihr nicht an den Mörder, den Verruchten?
O um der Wunden Jesu Christi willen,
Um die fünf Wunden, die er hat erlitten,
Um seiner Leiden willen, ach vergebt!
Nicht eh erheb' ich mich, ich kann nicht aufstehn,
Bis ihr mir habt verziehn, und sollt' ich ewig
Hier liegen, sollte hier mein Körper wurzeln;
Erbarmt euch doch des alten Bösewichts,
Auch sterben darf ich nicht, vor Gott nicht treten,
Wenn ich nicht sagen kann: sie hat verziehn.

Genoveva. Ich mische meine Thränen mit den euren, –
Nicht so betrübt euch, – ach! ich kann vor Schluchzen
Nicht sprechen, – nicht betrübt euch, theurer Siegfried,
Nein nicht betrübt euch also sehr, mein Herz –
Mein armes Herz muß brechen, wenn ich euch
So weinen seh, und von dem greisen Bart
Die Zähren rinnen, – sammelt euch, steht auf.
Es war nicht eure Schuld, der Himmel fügt' es,
Daß ich in diese Wüste kam, zum Heil
Der Seele, – gern verzeih' ich euch und längst
Hab' ich euch schon verziehn, – Gott woll' uns beiden
Vergeben unsre Schuld, zukommen lassen
Sein Reich und seine Gnade, drum erhebt euch.

Siegfried. .Ich fasse sie die theure, theure Hand,
Und stehe auf, und schau das Antlitz an. –
Ach nein, so lang' ich lebe, kommt kein Trost
In meine arme Brust. Sind dies die Mienen,
Die sonst den Engelsbildern himmlisch glichen?
Wo sind die Rosen auf den Wangen? Wo
Die schönen Lippen? Was habt ihr gelitten? –
Ich mag nicht Du zu dir, o Heil'ge, sprechen,
Vergönnst du's mir, das vorge Wort? die Liebe?
Willst du mich nicht verwerfen? – Und das Kind,
Das arme Kind, – wo ist es denn geblieben?
Hat Gott es auch so wunderbar erhalten?

Genoveva. Ja durch ein Wunder hat es Gott erhalten,
Denn anfangs in der Wüsten wollt' es sterben,
Und mir entging aus Mangel alle Milch:
Wie es im Jammer war, im Aengstigen,
Da schickt' ihm diese Amme Gott der Herr,
Die fromme Hirschin hat es groß gesäugt.

Schmerzenreich kommt mit Wurzeln und Kräutern.

Schmerzenreich.
Bring Essen dir, mein liebes Mutterlein.
– Ach Mutter sieh, – was soll das Bild doch sein?
Ich fürchte mich, wie es so bei dir steht.

Genoveva. Nicht fürchten mußt du dich; nein komm herzu,
Komm her, es thut der Mann dir nichts zu Leide.

Siegfried. Mein Geist sagt mir, daß dieser unser Sohn.

Genoveva. Dies ist das arme Kind, daß Gott erbarm!

Siegfried. So nackt? in dieser Haut? o überleb'
Ich diesen Tag, so biet' ich allem Trutz! –
Ach Kind, – komm zu mir, fürcht' dich nicht vor mir,
Willst du den Vater fliehn? Ach wohl, du hast
Wohl Ursach ihn zu fürchten, nicht zu lieben –
Allein die Mutter hat mir schon vergeben,
Vergieb auch du mir, komm in meine Arme,
Komm her, mein Sohn, daß ich dich küssen mag.

Genoveva. Sieh, Schmerzenreich, das ist dein theurer Vater,
So geh nun hin und gieb ihm fromm die Hand.

Siegfried. In meine Arme komm! an meinen Mund!
An meine durst'ge Brust! Ach Herzenskind!
Ach du mein lieb herzgüldnes Herzenskind! –
O schau mich an; wie hast du klare Aeuglein,
Die sind ein Bronn, da schau ich vor'ge Zeiten,
Die vor'ge Genoveva, meine Hochzeit,
All' Lust und Freude, Himmel ist darin,
Wie sollt' ich sie nicht theuer köstlich achten?
Ach du mein Kleinod! Kind und Genoveva
Zugleich gefunden? Ach du Gott im Himmel!
Wie hast du mir mein Herz so leicht gemacht,
Wie schwer zugleich, – soll ich mich freun, soll ich
Laut schluchzen, weinen und den Felsen klagen!
Wir sind hier so allein, ich muß die Menschen
Her rufen, daß sie sich mit mir erfreun,
Daß diese Berge Freude widerschallen.

er bläst in das Jägerhorn.

Wendelin mit andern Dienern und Jägern.

Wendelin. Herr Graf, – wer ist das Kind? und die Gestalt?

Siegfried. Seht sie nur an, betrachtet sie genau.
Kennt ihr sie nicht?

Diener.                           Sie ist uns unbekannt.

Siegfried. Ihr Thoren schaut, sie ist die Genoveva.

Alle. Wie, Genoveva? – O gelobt sei Gott!

Wendelin. Ich küsse eure Füße, theure Frau,
Ich möchte sprechen, kann vor Weinen nicht.

Diener. Seid uns gegrüßt, nach sieben langen Jahren.

Wendelin. O sieben schwere Jahre, ach wie schwer
Sind euch die Zeiten hier im Wald geworden?

Siegfried. Ja, sieben schwere, trauervolle Jahre,
So wie ein ängstigender Traum so schwer.
Wo ist mein Bruder mit den andern Rittern?

Diener. Sie jagen im jenseitigen Walde noch.

Siegfried. Wo ist der Golo?

Diener.                                   Um die Felsenecke
Sitzt er tiefdenkend, kümmert sich um nichts.

Siegfried. Bringt ihn hieher.

Genoveva.                               Den Golo soll ich sehn?

Siegfried. Sagt ihm, ich hätt' ein seltsam Wild gefangen.

Diener ab.

Wendelin. Ich will indeß vom Schloß 'ne Sänfte holen,
Die gnäd'ge Frau bequem drin fortzutragen,
Sammt Frauenkleidern, um sich drin zu zeigen;
Auch für den kleinen Junker will ich sorgen. geht ab.

Siegfried. Ich danke dir, ich denk' im Taumel an nichts.

Golo wird hereingebracht.

Genoveva. Ach güt'ger Gott! Ist dieser da der Golo?
Wie sieht er wild und tief bekümmert aus?

Siegfried. Heran tritt, Golo, kennst du dieses Weib?

Golo. Herr Jesu Christ! so hats mir stets geträumt.

Siegfried. So schau sie an.

Golo.                                     Ich kenn' sie warlich nicht!

Siegfried. Gottloser Schalk, du kennst sie also nicht,
Die Genoveva nicht, die du verfolgt?
Die fälschlich du verklagt, die du zum Tod
Verdammt? O Mörder! Arger Henkersknecht!
Um dessentwillen sie ins Elend wandern
Gemußt, um dessentwillen mein Kindelein
Die härt'ste Noth erduldet, ich die Trübsal!
O wenn man auch auf Martern wollte sinnen,
Nie wärst du Bösewicht genug zu strafen!

Golo zur Erde stürzend.
Barmherzigkeit!

Siegfried.                 Ihr führet und bindet
Mit Stricken ihn, wir halten dann Gericht.
        Golo fortgeführt.
Komm her, mein Kind, daß ich dich wieder küsse.
Willst gerne bei mir sein?

Schmerzenreich.                   Wenn Mutter mitgeht.

Siegfried. Ja, Genoveva folgt uns nach dem Schlosse,
Da wird für mich der Himmel künftig sein.

Genoveva, vor dem Crucifix.
O güt'ger Gott, er hält ihn in den Armen,
Ich seh', was ich im Traum so oft gesehn,
Die ganze Welt ist Freude, Licht, Erbarmen,
Ich dank dir Christ, daß es also geschehn,
Du schaust mit Huld hernieder zu der armen
Sündhaften Magd, gelös't sind ihre Wehn,
O nimm zum Dank die heißen reinen Thränen,
Ja du verstehst, du fühlst mein innig Sehnen.

Siegfried. Sie kniet am Kreuz; welch brünstiglich Umfassen.

Genoveva. Mit diesen Küssen sag' ich Lebewohl.

Schmerzenreich.
Sie wird ungern das schöne Kreuz verlassen.

Genoveva. Mit diesen Thränen sag' ich Lebewohl.

Schmerzenreich.
Ja hier war alles Lieb' und nirgend Hassen.

Genoveva. Mit meinem Herzen sag' ich Lebewohl.

Schmerzenreich.
Auch mir thuts Leid, aus unserm Haus zu gehen.

Genoveva. Nun lebe wohl, mein Sinn bleibt immer stehen.
Jezt gehn wir fort aus unsrer Wüstenei,
Du führest mich und auch das liebe Kind.

Siegfried. Was ist das für ein seltsamlich Geschrei?

Schmerzenreich.
Das groß und kleine bunte Vöglein sind,
Die flattern alle neugierig herbei.
Wo ist mein Reh?

Genoveva. Das folgt uns auch geschwind.

Schmerzenreich.
Ja immer soll die Hirschin bei uns sein,
Die Vögel bleiben hier im Sonnenschein.

alle ab.


Vor dem Schloß.

Versammelte Dienerschaft, unter ihnen Else, Kinder.

Diener. Und habt ihr die Mähr vernommen?

Andre. Wer wollte nicht? Wer wollte denn nicht? Unsre gnädge Frau mit dem Junker ist wiedergefunden.

Else. O daß mein Heinrich nicht hier ist! er ist mit den Schaafen auf der Weide.

Alle. Da kommen sie, da kommen sie!

Siegfried mit Genoveva und mit Schmerzenreich, beide bekleidet, Wendelin trägt ihn auf dem Arme, andre Diener, Matthias, Kunz und Ritter folgen.

Alle. Es lebe unsre gnädige Frau! hoch! und abermals hoch!

alle drängen sich um sie.

Die Kinder zu Schmerzenreich hinauflangend. Ach lieb' Kindelein! lieb' Kindelein!

Schmerzenreich. Setze mich hinunter. O wie schöne Leute! Wie liebe Kinder!

Genoveva. Ich dank' euch allen, doch ich kann nicht sprechen,
Nur meine Thränen können für mich reden.

Siegfried. Kommt alle mit hinein zu meinem Schlosse,
Denn heut an diesem Tage sei ein Fest,
Die Glocken läuten, Priester singen Messe,
Und bis zum Knecht hinab sei alles glücklich,
Sei alles heut als Bruder mir gegrüßt!

Alle. O Freude! Freude! übergroße Freude!

alle ab.



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