Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Wüste.

Der heilige Bonifacius tritt ein.
So hat es sich an Siegfrieds Hof begeben,
Vernehmet die denkwürdige Geschicht'
Von unsrer Genoveva heil'gem Leben,
Und haltet nicht die Sache für Gedicht.
Gar bald muß sich der Unterdrückte heben
Und Gott geht mit dem Bösen ins Gericht,
Denn lange zwar bleibt Bosheit oft verschwiegen,
Doch immer wird gerechte Sache siegen.

Graf Siegfried sieht gar wunderbare Zeichen,
Die seine Zweifel nur noch stärker gründen,
Die alte Lieb' zur Gattin will nicht weichen,
Und bald muß er noch andre Sachen finden,
Die jeden Argwohn aus der Seele scheuchen,
Ihm zeigen ganz das Maaß von seinen Sünden,
Daß er die reine Gattin hat getödtet
Und mit unschuld'gem Blut die Hand geröthet.

In einer Nacht, er kann in Angst nicht schlafen,
Da, dünkt ihm, tritt ein Wesen in die Kammer,
Es hebt die kalte Hand ihn zu bestrafen,
Sein todter Blick verkündigt Pein und Jammer;
Es wälzt sich in das Bett zum bleichen Grafen,
Und legt sich an ihn, er ruft in die Kammer
Die Diener sein, daß sie ihm Hülfe bringen,
Indeß den Geist die Wände in sich schlingen.

Die Diener gehn, er richtet sich zum Beten,
Doch plötzlich hört er Eisenketten klirren,
Und das Gespenst erscheint an selber Stätten,
Um ihm so Sinn wie Glauben zu verwirren,
Er sieht es wieder nach dem Bette treten,
Ihm schauderts kalt, der Geist läßt sich nicht irren,
Er starrt ihn an mit seinen todten Blicken,
Bleibt kühnlich, und will nicht von dannen rücken.

Da sprach der Graf: Wer bist du, Jammerbild,
Daß du so darfst des Schlosses Ruhe stören?
Sag an, was du von uns verlangen willt,
Wir wollen deine Bitte gern gewähren,
Wenn irgend was dich zu erlösen gilt,
So zeigs uns an, wir lassen uns belehren,
Daß man dir irrem Geist Erquickung brächte,
Und du nicht stören magst die Ruh der Nächte.

Und das Gespenst erhebt die weißen Finger
Und winkend fängt es an hinwegzuschleichen,
Die Bangigkeit des Grafen wird geringer,
Er folgt des Nachtgeists unverstandnem Zeichen,
Der führt ihn tief in seines Schlosses Zwinger,
Dort bleibt er stehn, und eh er will entweichen,
Legt er die Hand und Kette auf die Erde
Und schwindet mit entsetzlicher Geberde.

Die Diener kommen auf des Grafen Schrein
Und finden ihn an diesem dunkeln Ort,
Er sagt, wie er gekommen da hinein
Und wie er ahnde unbekannten Mord.
Die Erde muß hier stracks geöffnet sein!
So heischt sein laut und ernstgebietend Wort;
Sie graben gleich und was sie unten finden,
Ein Leichnam ists, den Ketten schwer umwinden.

Der Drago wird von ihnen gleich erkannt,
Man sucht ihn schnell zum Grabe zu bestatten.
Der Graf ersieht hierin des Himmels Hand,
Die Seelmeß wird gesungen Dragos Schatten;
Nach Golo, Benno wird alsbald gesandt,
Die lange schon sein Schloß verlassen hatten.
Er ruft, sie kommen nicht, nun sieht er frei,
Daß Drago, Genoveva sündenfrei. –

Sie führt indeß ein tief betrübtes Leben,
Nur Andacht kann den Kummer ihr erheitern;
Sie hat sich ganz in ihren Gott ergeben,
Und will die Brust von allem Ird'schen läutern;
Sie fühlt um sich die Kraft der Engel schweben,
Und wie sich Sinn und Herz und Glaub' erweitern:
So sitzt die treue liebevolle Seele
Und schaut hinauf aus ihrer engen Höhle.

Die Hirschin täglich kam das Kind zu säugen,
Sie war der Genoveva einz'ger Trost;
Die Gräfin selbst muß sich dem Elend beugen
Und Gras und Wurzeln sind die einz'ge Kost;
Wie mußte sie so tief hinunter steigen,
An Glück gewöhnt, an Füll' und süßen Most,
Jezt kann die Erd' ihr selbst nicht das gewähren,
Was sonst die ärmsten Bettler nicht entbehren.

Die Wüstenei anstatt ihr schönes Haus,
Statt ihres Prunkgemachs die finstre Kluft,
Statt Diener gingen Thiere ein und aus,
Statt schöner Speisen Kräuter in der Gruft,
Statt reicher Betten Aengstigen und Graus
Auf dürren Reisern in der kalten Luft,
Der edlen Perlen mußte sie entbehren,
Statt deren dienten ihre heißen Zähren.

Wie mußte sie dies Elend doch empfinden
Die Herzogs Tochter, gräfliches Gemal!
Wann Sommerlüfte spielten in dem linden
Geblüm, so trug sies leichter noch zumal;
Doch wenn der Winter kam mit scharfen Winden,
Dann erst begann der armen Frauen Quaal;
Ach Gott, wie mußt' sie ob dem Kind sich härmen,
Wie mocht' sie sich, ihr Kindlein auch erwärmen?

Im Dürsten nahm sie Eis in ihren Mund,
Bis es von ihrem Hauch geschmolzen war,
Im Hunger grub sie in den harten Grund
Und machte ihn zuvor des Schnees klar,
Ihr Hölzlein fand nach mancher bittern Stund
Die Wurzeln in dem Schooß der Erde baar;
Dann mußte sie des grimmen Frostes wegen
Die Händ' und Arm' zur Wärme schnell bewegen.

Wie lang erschienen ihr die Winternächte!
Wie hat sie wohl nach Sonne ausgesehn,
Die ihr den lieben hellen Morgen brächte,
Das klare Licht, die Tagesstunden schön;
Wie rief sie an die Jungfrau, die Gerechte,
Ihr doch bei ihrem Kinde beizustehn,
Damit es ja zu ihr und Jesu Ehre
Ein frommes Christenkind erfunden wäre.

Sie drückt es oft mit Zähren an die Brust,
Damit die Gliederlein ihm nicht erfrieren,
Und wenns vor Kälte zittern dann gemußt,
So konnte sie den Schmerz oft nicht regieren.
Es ist in wilder Wüst' all ihre Lust
Und fürchtet, es so schrecklich zu verlieren;
Du leidest mit mir, hat sie dann gesprochen,
Du wirst gestraft und hast noch nichts verbrochen.

Sie dachte wieder dann an Jesu Wunden
Und was er für der Menschen Sünd' erlitten,
Dann fühlte sie so Herz wie Geist gesunden,
Und muth'ger ward der Kampf alsbald gestritten: –
Also verschwanden ihr gar viele Stunden,
Und Monden, Jahre, unter brünst'gen Bitten
Und heil'ger Andacht, ihres Kind's Erziehen,
Indessen sieben Frühling' auferblühen.

Einst lag sie da bei ihrer Höhle knieend,
Die Augen starr zum Himmel hingewandt,
Da sieht sie aus der Höhe niederfliehend
Ein Engelsbild, es trägt in seiner Hand
Ein Crucifix, von Elfenbeine blühend,
Daran der Jesu Christ gekreuzigt stand,
Das Antlitz, die Gestalt so innig rührt,
Man sieht, daß Engel es gefigurirt.

Kein Auge sah das Bildniß ohne Thränen,
So schön gebildt war Christi großes Leiden,
Die Brust ward anerfüllt mit tiefem Sehnen
Inbrünst'ger Angst und goldnen Herzensfreuden:
Der Genoveva gab er diesen schönen
Geformten Christ, die Seele dran zu weiden;
Er sprach: ich bring' ihn aus den Höhn, den lichten,
Daß du vor ihm magst dein Gebet verrichten.

Und bist du nun zum Tode tief betrübt,
So schau mit Aug' und Herzen auf dies Kreuz,
Und wenn dich Drangsal um und um umgiebt,
So richte Flehn und Herze nach dem Kreuz;
Wann Ungeduld den Seelenfrieden trübt,
Denk' deß Geduld, der dorten hängt am Kreuz,
Dann steht dies Kreuz als Schirm den Feinden vor,
Ein Schlüssel ist es zu des Himmels Thor.

So sprach er, und das Kreuz blieb vor ihr stehen,
Worauf er in den Himmelsglanz verschwand;
Es war ein Felsenaltar in der Nähen,
Worauf das Crucifix von selbsten stand,
Und Genoveva kniet in ihren Wehen
Demüthig nieder, kaum sich unterwand
Die Fromme, zu dem Weltheiland zu beten,
So schwer ist sie bedrängt von seinen Nöthen.

Ihr ist als muß das Herz im Busen springen,
Doch wird sie noch in Liebe mehr verwundt,
Als sie vernimmt in leisen Tönen singen
So heilig wie von einem Engelsmund;
Das Bild streckt seinen Arm in während Klingen,
Und drückt sie an die Brust zur selben Stund.
Nun war das Crucifix ihr ein'ges Heil,
Sie dient ihm, betet zum ihm alle Weil.

Im Sommer sucht sie Blümlein in dem Wald
Und schmückt es bunt, dazu mit grünen Maien,
So wie der Morgen röthet, geht sie bald
Nach Blumen aus, läßt sich nicht Müh' gereuen;
Doch kömmt der Herbst, nach ihm der Winter kalt,
So weiß sie auch das Bild noch zu erfreuen,
Mit Tannenreisern, wilden Distelblüten,
Und dunklem Laub, das die Wachholder bieten.

Einst kam der Schmerz in ihre Seele wieder,
Daß sie in Wüstenei hinausgestoßen,
Da setzte sie sich still zum Kreuze nieder
Und klagte, weil die Augen reichlich flossen:
O Crucifix, o Jesu Christe bieder,
Wie ist das Elend um mich her ergossen,
Daß ich als Ehebrechrin dies erduldet,
Wodurch hab' ich so harte Pein verschuldet?

Da kam ein Stimmlein aus dem elfnen Bilde:
Was hab' ich, Genoveva, doch gesündet,
Daß man mich Menschensohn im Grimme wilde
Ans bittre Holz des schnöden Kreuzes bindet?
Daß man mich mitten in der Sündergilde
Als einen Uebelthäter sterbend findet?
Ich starb, den Menschen Heil und Wohlfahrt gebend,
Und durch mein Sterben ihren Tod belebend.

Denn keiner aller, die auf Erden sind,
Kann durch sein Thun das kleinste Glück erwerben,
Und doch kann jedes sünd'ge Menschenkind
Durch seinen Tod des Himmels Leben erben;
Tod ist ihr Leben, und ihr Sehn ist blind,
Geboren werden sie in ihrem Sterben,
So wer für Gott und Tugend muß erdulden,
Kann diese Leiden nimmermehr verschulden.

Sein Dulden ist ein himmlisch Freudenreich,
Er zieht den Himmel in sein irdisch Herz,
Er deutet, wie man Gotte strebe gleich,
Er macht zur Seligkeit den irdschen Schmerz;
Er wird entblößt an Himmelsschätzen reich,
Ein Cherubim wird schon sein irdisch Herz,
In ihn hernieder Morgenröthe regnet,
Die dort dem großen Morgenroth begegnet. –

Das kam wie Blumen um sie her entsprossen,
In denen Kinder lieblich tröstend lachen;
Das war wie Funken um sie ausgegossen,
Wie Schimmer, die den Regenbogen machen,
Wie Auferstehung, die ihr Herz genossen,
Wie Heil'ge, die zum jüngsten Tag erwachen.
Seitdem erlitt sie still mit Freudigkeit,
Den Frost, die Blöße, Armuthseligkeit.

Der Schmerzenreich erwuchs und lernte sprechen,
Das freute nun gar sehr die Mutter sein,
Sie sah, wie ihm Verstand nicht that gebrechen,
Sein kindisch Reden war ihr Freudenschein,
Doch mußt' ihr Glücke die Betrachtung schwächen,
Daß nackt daherzog dieser Knabe fein;
So mußten sie sich beid' in Blöße zeigen
Und deckten sich mit Moos und grünen Zweigen.

Da kam ein Wolf auf einmal hergegangen,
Im Maule trug er eines Schaafes Haut,
Die warf er vor dem Kinde und der bangen
Pfalzgräfin hin, die innerlich ergraut;
Doch bald nimmt sie mit dankbarem Verlangen
Und wickelt Schmerzenreich in diese Haut;
So war er sicher vor dem schlimmen Frost,
Und so fand Genoveva ihren Trost.

Es wurde auch das Wild zur selben Zeit
Mit ihnen gar vertraulich und gemein,
Das liebe Kind hat daran manche Freud',
Daß all' um ihn so schön ergötzlich sein.
Er ritt auf seinem Wolf gar oftmals weit
In Wald, die Hasen liefen hinter drein,
Die Vöglein sich auf Hand und Häuptlein schwungen,
Erquickten ihn und sie, so wie sie sungen.

Gings Kindlein aus, um Kräuter aufzulesen,
So liefen auch die frommen Thierlein mit,
Und schieden ihm die guten von den bösen
Mit ihren Füßen, folgten jedem Schritt;
Dann kehrt' er freudig, war er aus gewesen,
Und brachte seiner Mutter Essen mit,
Dann lehrte sie ihn Vater Unser sagen,
Liebkosend in den schönen Sommertagen.

Doch sprach sie nie, von wem er sei entsprossen,
Damit er nicht zur Welt sich sehnte hin,
Und etwa die einfältgen Spielgenossen
Verachtete mit übermüth'gem Sinn: –
So sind nun sieben Jahre hingeflossen
Und Genoveva hält es für Gewinn,
In dieser Wüst' zu bleiben, stets ihr eigen:
Sie wird sich dort mit ihrem Kindlein zeigen. geht ab.

Genoveva und Schmerzenreich treten auf.

Genoveva. Schön' warmer Tag. Gelobt sei Jesus Christ!

Schmerzenreich.
Lieb' Mutter hör', du lehrst mich immer sagen
Im Beten: Vater Unser, der du bist
Im Himmel; nun wollt' ich dich gerne fragen,
Ob derselb' Herr denn auch mein Vater ist,
Wenn das, so möcht' ich ihm wohl manches klagen.

Genoveva. Er ist dein Vater, wohnt in jenen Höhen,
Wo Sonn' und Mond und tausend Sterne stehen.

Schmerzenreich.
Kennt mich denn auch derselbe hohe Mann,
Und weiß, daß ich hier tief im Berge bin?

Genoveva. Er sieht die Welt mit einem Blicke an,
Streut Licht und Segen über Fluren hin.

Schmerzenreich.
Wenn er so große Dinge machen kann,
Was läßt er denn so tief in Noth uns drin?
Er läßt mich steck'n und mag mich wohl nicht leiden.

Genoveva. Nein Kind, er liebt die Welt und auch uns beiden.
Dies Leben, diese Welt ist nur ein Thor,
Wodurch wir in sein Himmelreich eingehen,
Da kömmt uns Leid und manches Drangsal vor,
Da beißt der Frost, da müssen Stürme wehen,
Doch dann empfängt uns froh der Engel Chor,
Wann wir im hellen Himmelssaale stehen,
All' liebe Kinder wie du selber bist,
Sie folgen unserm Herren Jesu Christ.

Schmerzenreich.
Hat denn mein Vater auch der Söhne mehr?

Genoveva. Gar viele. Wir sind zwar nur hier allein,
Doch giebt es viele, viele Leute mehr,
Die alle hinter jenem Walde sein,
Der ganz weit ab im Scheine glänzt daher;
Da giebt es Städte, Dörfer, Schlösser fein,
Und viele unter ihnen sind die Frommen,
Die auch dereinst in Gottes Himmel kommen.

Schmerzenreich.
Was gehn wir, Mutter, denn nicht zu den Leuten,
Und sitzen hier in unserm Berg' und Wald?
Ich glaube, daß sie sich gern mit uns freuten,
Und wärmten uns, wenn Winde kommen kalt.

Genoveva. Wir gehen darum nicht nach jenen Weiten,
Daß wir in Gottes Reiche eingehn bald,
Damit wir hier, der Einsamkeit ergeben,
Dem Vater führen ein gefällig Leben.

Schmerzenreich.
Ich will nun gehn und dir dein Essen bringen,
Die Thierlein kommen schon mich fortzuführen,
Die Vögelein sind dort mit ihrem Singen,
Die Hasen seh' ich da die Ohren rühren;
Ich weiß, daß sie all' gerne mit mir gingen,
Ich spiele gern mit weichen kleinen Thieren,
Wo Kräuter sind, da setzen sie die Hände,
Daß Schmerzenreich sie desto bälder fände. geht ab.



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