Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Zimmer.

Wolf auf dem Bette, ein Diener.

Wolf. Er wollte kommen?

Diener. Sogleich.

Wolf. Nun geh' und laß mich allein.
        Diener ab.
Bald wird die Seele sich vom Leibe lösen,
Der Leib wird in der Erden dann verwesen,
Hat Fegefeu'r mich hell und rein gebrannt,
So ist mein Lauf dem Himmel zugewandt,
Kein Glück mag auf der trüben Erden dauern,
Hier ist nur Sorge, Kummer, Angst und Trauern.

Golo kommt.

Wolf. Da kommt, der immer meine Freude war,
Der jezt mich machet aller Freuden baar,
Deß Auge mir sonst neue Jugend gab,
Deß Blicke jezt verbittern mir mein Grab,
Von dessen Mund mir Trost und Hülfe kam,
Der jezt in mir erregt die herbe Schaam,
Daß ich zum Bösewicht ihn auferzogen,
Daß ich mit Vaterliebe ihm gewogen,
Daß er als Kind und Knabe mich ergötzt,
Daß ich auf ihn die Wohlfahrt mein gesetzt. –

Golo. Was soll's, warum habt ihr mich rufen lassen?

Wolf. Und doch kann ich den Bösewicht nicht hassen.
O Golo, bist du's noch? kannst du es wagen
Und noch den Blick des Biedermanns ertragen?

Golo. Was wollt ihr? Warlich ich versteh' euch nicht.

Wolf. Komm her mein Kind, komm gieb mir deine Hand. –
Sieh her, ich sterbe, sei mein Trost im Tode.
Als ich dich zu dem mein'gen machte, dacht' ich,
Er wird dich nie verlassen; dunkeln deine Augen,
Ist er die Sonne, die sie helle macht;
Er sitzt bei deinem Bette, ist dein Kind,
Ihm kannst du deinen ganzen Segen lassen.
Ach Golo, Golo, warum ist es denn
Nun so gekommen?

Golo.                               Ich versteh' euch nicht.

Wolf. O stell' dich taub, o bleibe nur verstockt;
Der Satan hat vom Guten dich gelockt.
Beim Himmel, nie hast du von mir gelernt,
Wie man sich von der Redlichkeit entfernt.
Du bist entartet, meiner Art zum Trotz,
Und lieblos bist du, aller Lieb' zum Trotz,
Undankbar, wie die Hölle, Gott zum Trotz.

Golo. Was wollt ihr mir? fahrt ihr so fort: ich gehe.

Wolf. Ha! geh nur fort, ich rufe: wehe! wehe!
Ja, wehe dir! dich hat dein Gott verlassen,
Die guten Engel sind es, die dich hassen.
Ach Golo, denke doch, wohin das führt,
Wie ungern man die Seele doch verliert!
Bedenke doch die lange Ewigkeit,
Doch hilft es nichts, daß dich zu spät gereut,
Dann bist du in die Finsterniß gestoßen,
Zum Licht ist alle Rückkehr dir verschlossen,
Dann ringst du wohl die Händ' und rufst: vergebe,
Mein Vater, daß ich dir ins künft'ge lebe!
Doch wie du jezt nicht hörst dich zu bekehren,
Wird er auch dann auf dein Geschrei nicht hören.
Geh in dich, beßre dich, mein lieber Sohn,
Hab' doch vor Augen deinen Himmelslohn,
Mir wirst du doch die Mähr' nicht sagen wollen
Von Genoveva? das ist für die Tollen;
Ich weiß, sie ist von Sünden wohl so ferne,
Wie von der Erd' des hohen Himmels Sterne,
Sie ist so keusch, so tugendlich und rein,
Wie's immer sind des Herrgotts Engelein,
Sie darf getrost das glüh'nde Eisen fassen,
Es wird sie Gottes Zeugniß nicht verlassen.
Nicht wahr, du wurd'st bethört in deinen Sinnen,
Und wolltest, weiß doch selbst nicht was, gewinnen?
O geh' zurück, gesteh' dein Uebereilen,
Es läßt der Schaden sich noch immer heilen;
O thu' es, Kind, noch eh' dies Auge bricht,
Dann sterb' ich in dem Herrn mit Zuversicht.

Golo. Soll ich vor euch Verantwortung bestehn?
Mein Herr ist's, dem ich Rede geben muß,
Eu'r Fabeln rührt vom großen Alter her,
Ihr wißt nicht was ihr sprecht, drum sei's verziehn.
Auf meinen Kopf, was ich verfehlen mag.

Wolf. Auf deine Seele, ungerathner Schelm.
Ich hätt' es denken sollen, daß ein Bastard,
In schnöder sündhafter Lust erzeugt,
Von Art nicht läßt und wieder sündhaft wird.
Bist du mir das geworden? mir ein Herr?
Darfst du die Rede führen? hätt' ich dich
Ersäuft, als du noch kaum mich nennen konntest,
So wär' ich jezt zufrieden und die Frau
Erlitte nicht so große Schmach und Unrecht.
Sonst hab' ich dich gesegnet, heute aber
Verfluch' ich dich mit meinen schwersten Flüchen.
Sei ohne Ruh und Rast umhergejagt,
Erzittre, wenn es Nacht und wenn es tagt,
Leb' ohne Glück, und wen du erst betrogen,
Von dem sei auch zuletzt und arg betrogen!
Die Todesstunde komme unversehn,
Und ist sie da, sei keiner beizustehn,
Wie ich jezt einsam ohne Hülfe liege
Und mich in dir, der vorgen Liebe, triege;
Kein' Hoffnung soll dir mehr auf dieser Erden
Und jenseit keine Seligkeit dir werden.

Golo. Nun, alter Wolf, es mag dem also sein,
Ich bin so kalt und taub wie Erz und Stein.

Wolf. Ach nein, mich reut, mein Golo, was ich sagte,
Sieh ich vertilge, was ich dir verflucht,
Drum läßt es Gott der Herr nicht in Erfüllung;
Nein Liebster, sieh den Fluch hab' ich gesagt,
So kann ihn meine Lippe auch vertilgen;
Du bist berückt, doch kehrst du wieder um.
Kenn' ich nicht dieses Antlitz, die Gestalt?
Wie oft hat mich die liebe Hand gestreichelt,
Wie oft hast du mich Vater nicht genannt.
Und dich, dich sollt' ich in der Hölle wissen?
Ach liebster Sohn, ich kann, ich kann nicht sterben, –
Sieh, wie die Seele erdwärts bangt, da du
Auf Erden bist und nicht auf Gottes Wegen.
Ich habe wild mein Leben hingebraust,
In deinen Jahren war ich so wie du
Ein hitziger Bursche; biegen oder brechen
War meine Losung; sicher war kein Mädchen, –
Schwer sind die Sünden mir in dieser Stunde, –
Ich dacht' auf keine Gattin, hielt's für Thorheit;
So war die Zeit der Jugend mir vorüber,
Ich wußte selbst nicht wie, nun wars zu spät:
Da dacht' ich, mußt doch auch zwei Augen haben,
Die nach dir sehn, zwei Lippen, die dich ehren
Als Vater, Hände, die für dich auch beten.
Da sah ich um nach einem armen Kinde,
Und wie ein Engel schienst du mir entgegen:
So hatt' ich einen Knaben stets gewünscht. –
Sieh, wie ich arm bin, wenn ich dich verliere, –
Bekehre dich, mein Sohn, – ich kann nicht mehr –
Das Auge, – gehst du fort? Ich seh dich nicht –
Jesus Maria, nimm nun meine Seele. stirbt.

Golo. Die Nacht bricht dunkler, dunkler noch herein,
Abwärts entflieht das Licht mit seinem Schein,
Ich muß in unterird'schen Höhlen sein
Und nach dem längst verloschnen Funken schrein.
Kein Laut kömmt mir aus ferner Welt entgegen,
Kein Wandersmann auf meinen finstern Wegen,
Ich darf nicht Trost, und nicht mehr Hoffnung hegen; –
In Furcht soll sich dies Herz nicht länger regen! ab.



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