Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Im Schlosse.

Genoveva, Drago.

Drago. Ihr seid wohl eine fleiß'ge Leserin?

Genoveva. Mich ziehet an die Schrift gar wunderbar,
Und hab' ich eine heilige Legende
Begonnen, kann mein Herz nicht eher ruhn
Bis sie geendet ist, ich lebe dann
In jener Welt, die uns geschildert wird,
Mit allen meinen Sinnen wie mit Netzen
Hält mich die süße Vorstellung verstrickt,
Ich muß mich wie ein Wild gefangen geben:
Drum ist es nicht so Andacht, die mich treibt,
Wie inn'ge Liebe zu den alten Zeiten,
Die Rührung, die mich fesselt, daß wir jezt
So wenig jenen großen Gläub'gen gleichen.

Drago. Ihr lebt und handelt ganz in frommer Weise,
Ihr dürft euch wohl der Edelsten vergleichen.

Genoveva. Wir sind doch allzumal nur schwache Sünder,
Nur guter Will' ist das, was wir vermögen.
Nun geht voran in mein Gemach, mein Lieber,
Ihr sollt mir manches aus dem Buch erklären,
Das mein einfält'ger Sinn nicht ganz verstanden,
Es sind da oft lateinsche Redensarten,
Die mich verwirren.

Drago.                           Wie ihr mir befehlt. ab.

Ein Diener kömmt mit einem Gemälde.

Diener. Hier ist das Bildniß, edele Frau Gräfin,
Das ihr den fremden Maler malen ließet.

Genoveva. Schön ist die Rolle, und es soll sogleich
Ein feiner Schrein dazu gezimmert werden,
Der es vor Staub und vor der Luft bewahre. –
Laß ihm von Golo die Bezahlung reichen.
        Diener ab.
Dies ist mein Bild, dies ist mein Angesicht,
Ich weiß nicht, welche Eitelkeit mich trieb
Im Conterfei das schnell vergängliche,
Das oft ein Hauch zerstöret, zu besitzen.
Wir können nie der Welt so ganz ersterben,
Daß wir sie nicht in Stunden und in Tagen
Lebendig frisch in unserm Herzen fühlen.
Doch wie ich gern das Menschenantlitz liebe,
In fremder Bildung und mit Wohlgefallen
Die reinen Züge und die Schönheit schaue,
So will ich auch dies Bildniß mir bewahren,
Ein Angedenken für mein Alter.
        Goto tritt ein.
                                                      Seht,
Das Bildniß, Golo, ist gekommen; hat
Der Maler sich als Meister nicht gezeigt?
Zwar hat er mir geschmeichelt, aber sonst
Scheint mir dem Bilde nichts zu fehlen.

Golo.                                                               Nichts?

Genoveva. Schaut es nur selber an.

Golo.                                                     Das geht ihm ab,
Daß es nicht lebt und eigen mir gehört.

Genoveva. Wie meint ihr das, wie kann ein Bildniß leben?

Golo. Daß es nicht leben kann, das ist mein Tod,
Sonst ruht' ich nicht, bis es mein eigen wäre,
Und sollt' ich auch dem Tempel es entwenden
Und sollt' ich drum den Pfaffen selbst erwürgen.

Genoveva. Golo, ihr ras't; woher der wilde Sinn?

Golo. O Genoveva, zeigt mir milden Sinn,
Geheilt bin ich von aller Raserei.

Genoveva. Was wollt ihr mir? besinnt euch, theurer Golo,
Ihr sprecht im Fieber; soll ich Aerzte rufen?

Golo. Ja höhnt mich nur, verwerft mich, stoßt mich von euch,
O eitles Streben, denn in eurem Busen,
In eurem eignen Herzen wohnt mein Geist,
Da ist er fest im allerholdsten Kerker;
O gebt mich frei! gebt meine Seele los,
Hier fleh' ich auf den Knien, seid barmherzig,
Sei gütig böser, holder, liebster Satan,
Du Gottheit mir, gebenedeite Jungfrau,
Nein Hölle mir, die meine Seele peinigt
Mit ew'gen Flammen, mit rastlosen Flammen,
Mit güt'ger Schadenfreude, mit dem Lächeln,
Mit Augen, deren Glanz das Mark mir aussaugt,
Mit Lippen, deren Röthe aus dem Herzen
Wegtrinkt mein rothes Blut! o Zauberin,
Du hast mein Leben mir durch Kunst entführt!

Genoveva. Was denkt ihr denn? Was wollt ihr denn von mir?
Erwacht, denn ihr verkennt so euch, wie mich,
Ich bin es, Genoveva, die jezt spricht,
Gemalin euers Herrn, des Grafen Siegfried,
Der dies Betragen, wenn er kommt, erfährt.

Golo. Mag es die ganze Welt, der Himmel wissen,
Er weiß es schon, er tadelt mich nicht drum,
Er kennt mein reinstes Herz, die hellen Flammen:
Was ist es denn nun auch, daß ich euch liebe?
Ist Liebe ein Verbrechen, wenn sie keusch bleibt?
Was ist es denn, daß ihr das Weib des Grafen?
Wenn ich euch liebe und mit treustem Herzen
In dieser Liebe Leben, Herz verzehre,
Wen kümmert das? Ja, es ist ausgesprochen:
Ja Genoveva, seit dem ersten Blick,
War ich euch hingegeben, lebt' ich euch,
Nein, starb euch ewig gegenwärtgen Tod;
Erweckt mich nun zum Leben, sagt, ihr haßt
Mich nicht, und all mein Sinnen ist beruhigt.

Genoveva. Ich halt' euch krank und drum verzeih' ich euch,
Sonst gabt ihr mir nie Ursach euch zu hassen.

Golo. Habt ihr denn auch mit meiner Quaal Erbarmen?
Soll mir aus eurem Auge Hoffnung lächeln?

Genoveva. Was wollt ihr hoffen? lebt in Gottes Furcht,
So habt ihr keine ird'sche Hoffnung nöthig.

Golo. So spricht, die allen Himmel in sich trägt,
In der die Wonnen ihren Haushalt haben,
In deren Herz die Engel sich ergötzen:
Warum muß ich es sein, der noch lebendig
Die Quaal des Fegefeuers duldet? Gräfin –
O Genoveva – o daß ich es reden,
Aussagen könnte, Worte finden, Töne, –
Mein Herz möcht' ich aus meinem Busen nehmen –
O Genoveva, – ich bin mein nicht mächtig –
Kommt her an diese Brust – in diese Arme. –

Genoveva. Hinweg! gottloser, ehrvergeßner Mann!

Drago kommt.

Drago. Was ist euch, Gräfin?

Genoveva.                               Kommt zum heilgen Buche,
Mir thut die Andacht noth nach dem Gespräch.

beide ab.

Golo. Wo die stillen Bächlein gehn,
Wo die Weiden sprossen, –
Bald, – Golo! bist du wach? Wie war dir? Ha!
Sind das die alten Tepp'che? die Gemälde?
Bin ich es noch? Ist dies die vor'ge Welt?
So war mirs doch, als sei hier Genoveva,
So wahr ich lebe, sie glaubt' ich zu sehn,
Zu hören und mich trieb die Lust, die süßen,
Die rothen Lippen ihr zu küssen. Nein!
Es war wohl nicht. O Thor, sie ist entsprungen.
Was hielten deine Arme sie nicht fester?
O Bild! o trügerisches Bild! o Heuchelbild!
Wie kannst du frech doch ihre Züge borgen?
Noch lächelst du mit Falschheit mir entgegen?
Sieh, wie ich dich zerfleische, dich vernichte,
Zertrümmre, weil du mir so falsch gelogen,
Ha! bin ich dir nun noch gewogen?
Hinaus! dem Winde sei ein Spiel,
Den Regenwolken und dem Blitz ein Ziel!
Ha, wie es draußen flattert, wie es in den Graben
Hinunterstürzt: – o komm zurück mein Herz zu laben,
O mich zu beglücken,
Es an das Herz zu drücken,
Führt es ihr Wogen, ihr Winde wieder herauf.
Selbst will ich hinunter und es suchen,
Es darf das süße Bild im Strome nicht
Versinken, nicht sich zwischen Schilf verlieren,
Ich lieb' es doch, wenn es mich auch erwürgt. ab.


In der Stadt Avignon.

Zwei Bürger.

1. Bürger. Und müssen wir nun die Christenfeinde in unsern eignen Mauern dulden?

2. Bürger. Es ist uns so von Gott für unsre Missethaten verhängt.

1. Bürger. Draußen sehn wir die Christen liegen, und an diesen Steinen verbluten und wir dürfen ihnen nicht die Thore aufbrechen.

2. Bürger. Die Heiden halten die Kastelle besetzt, ihre Wachen sind aufmerksam.

1. Bürger. Still, laß uns gehn, dort kommt ihr Anführer.

sie gehn.

Ali mit Hauptleuten.

Ali. An diesen steilen Thürmen mögen sie ihre Kräfte versuchen, hier sollen sie liegen und sich aufzehren, daß ihnen ihr Sieg wenig frommt.

1. Hauptmann. Auf diese Nacht hast du einen Ausfall angeordnet?

Ali. Ja, sie sollen uns endlich in ihrem Lager sehen; schon oft haben die Thoren uns gerufen, in dieser Nacht wollen wir ihren Wunsch erfüllen.

1. Hauptmann. Laß mich dabei sein, Feldherr.

Ali. So sei es, wackrer Kriegsmann! Haltet euch wie brave Männer und rächt die neuliche Schmach! – Ich muß über diese einfältigen Franken lachen, die allen Muth, allen Verstand verlieren, wenn sie Mauern mit Thürmen vor sich sehn; wo es nicht gilt, gerade drein zu schlagen, wissen sie sich nicht zu geberden. geht ab.



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