Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Siegfrieds Schloß.

Golo, Benno.

Golo. Wo ist die Gräfin?

Benno. In ihrem Zimmer, mit dem alten Kaplan in einer Andachtsübung.

Golo. Die edle Frau! Immer denkt sie nur an ihren fernen Gatten; wollte Gott, wir könnten etwas ersinnen, ihren Gram zu zerstreuen.

Benno. Wenn ihr sie nicht fröhlich machen könnt, so ist es der ganzen Welt unmöglich.

Golo. Wie meinst du das?

Benno. Je nun, ich meine, daß euer lustiger vergnügter Umgang, euer helles Auge, euer wackres Ansehn dem traurigsten Menschen das Herz erfrischen müssen. Wenn ihr so drein schaut und lacht einem entgegen, so fühlt jedermann einen frischen Muth in seiner Brust.

Golo. Du schilderst mich wie einen leichtsinnigen Thoren.

Benno. Bewahre, gnädiger Herr, ich kann die Worte freilich nicht so recht setzen, –

Golo. Nimm! ich weiß, du trinkst gern; – wo ist der Hausmeister Drago?

Benno. Er sitzt mit dem Wendelin drinne ob einem heilgen Buche, ich weiß aber nicht, wovon es handelt. – Gehabt euch wohl, ich will einen Krug Wein auf eure Gesundheit leeren. geht ab.

Golo. Was willst du hier? Weiß ich doch warlich nicht
Weswegen ich hieher gekommen bin;
Wie unsichtbare Mächte hält es mich
Umstrickt und lenkt die Schritte, wenn ich träume
Hieher, und wie ein Nachtwandler erwach' ich
Und finde mich, wo ich am mindsten dachte.
Was soll es denn, daß ich mich nicht beherrsche?
Ich fühl's, das leichte Leben nimmt den Abschied,
Es schleicht das Blut in meinen Adern, nimmer
Will Wein mir schmecken; keine Fröhlichkeit,
Gesellschaft, nichts will mich fortan erquicken;
Mein schönes Roß ist mir zuwider, alles,
Was sonst mir auf den andern Tag so Freude
Wie Lust versprach, ist mir dahin geschwunden.
Zu träge bin ich Waffenwerk zu treiben,
Zu trübe, Lieder zu dichten und zu singen,
Nicht Weis' und Reim will mir wie sonst gelingen.
Es muß sich ändern! soll in jungen Tagen
Mein Leben mir so ungenossen schwinden?
Ich möchte mich mit eignen Fäusten schlagen;
Die alte Kraft, sie soll sich wiederfinden!
Ich will, du goldner Wein, zu dir mich flüchten,
Ich muß die alten Liebesreime singen,
Ich will in frischer Jugend wieder dichten,
Auf meinem Roß über Bach und Gräben springen!
O fern von mir, trübselige Gedanken,
An euch will ich wohl nimmermehr erkranken.

Wolf kömmt herein.

Wolf. He! Golo! bist du im Gemach allein?

Golo. Allein, was willst du mir denn, alter Vater?

Wolf. Ist Genoveva wohl?

Golo.                                   In heiliger
Ergötzung mit dem würd'gen Kapellan,
Da sprechen sie von biblischen Geschichten,
Von Helden aus dem alten Testament,
Die auch einmal, vielleicht noch vor der Sündfluth
Von ihrem Ehgemal getrennt gewesen:
Dann zeigt er ihr den Riß der Arche Noäh,
Und wie viel Säulen standen in Saloms Tempel,
Wodurch sie sich gar sehr erbauet fühlt,
Und neu gestärkt den Herrn Siegfried erwartet.

Wolf. Wie rollt dir denn die Zung' im Kopf so wild?
Hast wieder mal getrunken? Golo, Knabe,
Sei doch besonnen, nimm vernünftge Weis' an.
Wie lange soll die Zeit der Jugend dauern?

Golo. Verzeiht mir, Alter, denn es war nur Scherz.
Habt ihr mir wohl was Ernstes aufzutragen?

Wolf. O Ernst genug, wenn dein Sinn darnach steht.
Ich sah, wie's meine Sitt' ist, gestern Abend,
Es war die zehnte Stunde, oder später –
Doch laß es nur die zehnte Stunde sein,
Ein wenig auf und ab hat nichts zu sagen, –
Nun also wie gesagt, ich schaut zum Fenster
Hinaus und überhin das grüne Feld,
Der Himmel war von allen Wolken rein,
Ein dunkles Blau umzog die Silbersterne
Und in der Mitte hing der goldne Mond:
Wie ich noch so den blanken Schein betrachte
Und im Gemüth die helle Nacht erwäge,
Die Wunder Gottes preise, kommt vom Walde
Ein leises, leises Rauschen, rührt die Bäume,
Daß sich die vollen Wipfel neigen und nicken;
Währt gar nicht lange, wird das Brausen stärker,
Da fängt der Rhein an seine Ufer zu klatschen,–
So dacht' ich innerlich: ist's doch nicht anders
Als führt das Wasser mit den Bäumen Gespräche,
Was mögen sie sich doch erzählen, die beiden,
Der alte Rhein und diese alten Eichen?
So dacht' ich und gemahnt mich wie ein Kind:
Da hob ich auf den Blick, da zogen Wolken
Dicht um den Mond und immer dichter und dichter,
Und plötzlich waren sie wieder weg, aber um die Scheibe
Lag weit umher ein Meer, so wie von Blut,
Recht dunkelrothes Blut und zum Entsetzen.

Golo. Es spielt der Himmel mit dem Glanz, mit Wolken.

Wolf. Sprich so nicht, lieber Golo, Krieg bedeutet's,
Unglück bedeutet's, ob nun uns, oder ob
Den Sarazenen, das ist nur die Frage.

Golo. Der Himmel wird sein Kriegesheer beschützen.

Wolf. Es geht da in der Natur manch Wunder vor.
So sagen sie auch, nämlich die das verstehn,
Es wäre anjezt in den Sternen große Zwiespalt,
Da kämpfte einer gegen den andern, erboßt
Sind aufeinander die Kräfte der Natur.
Doch schweig davon; mein allerliebster Golo,
Nur dir allein, hab' ich's vertrauen mögen,
Weil ich wohl weiß, du findest dich als Mann.
Noch gestern sprach ich solchen Sternengucker,
Der mir bei seinen Wissenschaften schwur,
Es stehe um das Heer der Christen schlimm,
Er sprach da von Planeten und Cometen,
Von wunderbaren Conjuncturen, siehst du,
Von Auf- und Niedersteigen, daß sich mir
Die Haare aufwärts bäumten; er beschloß
Wir hätten eine blutge Schlacht verloren,
Graf Siegfried sei mit seiner Schaar geblieben.

Golo. Dies sind die nichtgen Träumer, die mit Künsten,
Mit unerlaubten, unsern Sinn betrügen,
Es lehrt uns die Vernunft und unsre heilge
Religion, daß wir dergleichen nicht
Erfahren können durch ein falsches Wissen.

Wolf. Mit Einschränkung, mein lieber Golo, alle
Sind nicht Betrüger. O es wäre viel,
Sehr viel davon zu sprechen, doch du bist
Noch jung, ich will dir nicht das Herz beschweren,
Ich wollte dir nur sagen, was ich wüßte,
Kein andrer weiß hier noch um das Geheimniß,
Verschweig' es, bitte, ja vor Genoveva.

Golo. Sie soll kein einzig Wort davon erfahren.

Wolf. Sie ist ein Weib, zu jung, vielleicht – ich schweige,
Du weißt mein Golo, was ich sagen will,
Da muß man sie um alles nicht erschrecken.
Leb wohl, gieb mir die Hand. Halt reinen Mund! geht ab.

Golo. Du guter alter Mann!
Du Abbild der verfloßnen treuen Zeit,
Wie könnt' ich doch ob deinem Glauben spotten,
Dein kindliches Gemüth doch bitter tadeln?

Genoveva und der Capellan treten auf.

Genoveva. Ihr geht aus meinem Hause nie, ihr laßt
Mir Hoffnung, Andacht hier, als liebe Freunde.

Kapellan.
    Gott kann die Seinen nimmermehr verlassen,
    Im Herzen steht sein Name eingeschrieben,
    Ist dieser nur in uns zurück geblieben,
    Wir schaun ihn an und wissen uns zu fassen.

    Doch wenn wir unser eignes Herze hassen,
    So bleibt uns fern Andacht und frommes Lieben,
    Von neuem aus dem Paradies getrieben,
    Sind wir von Gott und Welt, und uns, verlassen.

    Doch wer den Engel Demuth in sich heget,
    Dem ist die Andacht auch zum Gast gegeben,
    Er sieht im Herzen Christi wahren Zeugen:

    Drum gläubt er fest, so sich auch Trübsal reget,
    Er fühlt die Kraft im innerlichsten Leben
    Und bleibt verfolgt, im Kerker, todt, sein eigen.

Es segne euch der Herr, behüte euch,
Er sei mit euch auf allen euren Wegen! geht ab.

Genoveva. Ihr seid hier, Golo, – eben seh ich euch.

Golo. So heiligen Gedanken müssen freilich
Die andern all' entweichen, niemals möge
Mein Nam' euch in's Gedächtniß fallen, wenn
Die heilge Sehnsucht euren Geist regiert.

Genoveva. Warum das nicht? ihr seid so gut und edel.
Der edle Mensch ist nur ein Bild von Gott.

Golo. Ja, ihr habt Recht, ihr seid ein göttlich Bild,
Drum muß man euch Reliquien gleich verehren
Mit stummer Inbrunst und aus frommer Ferne.

Drago tritt auf.

Drago. Hier ist das Buch, wohledele Frau Gräfin,
Das ihr befahlt von Straßburg zu verschreiben,
Es ist in schöner Schrift, ein wackrer Mönch
Hat alle Züge rein und klar gezeichnet.

Genoveva. Wie lieb ist mir, daß es nun angekommen,
Ich hegte große Sehnsucht es zu lesen;
Nun ist es da, ich will mich dran erquicken.

Drago. Gar wunderwürdig ist da die Beschreibung
Von Sanct Laurentio, vom heiligen
Sebastian und der heilgen Catharinen,
Nebst andern alt verlaufenen Geschichten,
Die inniglich so Herz wie Geist erregen.
Ich hab ein wenig schon darin geblättert,
Ihr werdet mir verzeihn, wohledle Frau.

Genoveva. Ich kenne deinen lehrbegiergen Sinn.

Drago. Jezt will ich mich zur Abendtafel richten. geht ab.

Genoveva. Ihr seid nicht froh in diesen Tagen, Golo.

Golo. Ich denke oft an unsern edlen Grafen,
An die Gefahr –

Genoveva.               Wohl habt ihr Recht zu trauren. –
Was war es für ein Lied, das ich euch erst
Im Hofe singen hörte, als der Vater
Mit mir im Zimmer war?

Golo.                                     Verzeiht, ein bäurisch
Einfältiges Gedicht, das ich durch Zufall
Vor ein'gen Tagen hörte, und das so,
Ob ich's gleich nicht begreife wie, mich faßte
Daß mein Gedächtniß es mit Widerwillen
Behält und ich es allerwegen singe.

Genoveva. Die Weise ging recht still und traurig fort,
So daß es mich bis in mein Herz bewegte.
Hier ist die Laute, spielt es noch einmal.

Golo. Es kann euch wirklich nicht ergötzen, Herrin.

Genoveva. Doch wünsch' ich mir die sanften Töne wieder
Und daß ihr's ganz so schlicht und herzlich singt.

Golo. Wenn ihr befehlt so muß ich wohl gehorchen.
        er spielt und singt.
    Dicht von Felsen eingeschlossen,
    Wo die stillen Bächlein gehn,
    Wo die dunkeln Weiden sprossen,
    Wünsch' ich bald mein Grab zu sehn.
        er läßt die Laute plötzlich fallen.

Genoveva. Was ist euch, Golo? Wie, ihr weint? Ihr könnt
Vor Schluchzen nicht mehr sprechen? – Faßt euch, Lieber!
Was kömmt euch denn so plötzlich in den Sinn?
        Golo geht fort.
Der treue Mensch, ihm geht der Schmerz von Herzen,
Er liebt den Herrn mit wunderbarer Tugend;
O jeder muß ihn lieben, der ihn kennt.
Die schwarze Nacht kömmt schon vom Wald herauf,
Nun sitzt er wohl mit trübem Blick im Lager
Und schaut nach unsern lieben Bergen her,
Ihn reun im Stillen seine strengen Worte.
Vielleicht ist jezt die wilde Schlacht geendigt,
Man sucht ihn unter den Verwundeten,
Und kann ihm keine Hülfe mehr erschaffen.
O Auge Gottes, das vom Himmel schauet,
Nimm du ihn gern in deinen großen Schutz,
Wer auf den Herrn mit sicherm Muth vertrauet,
Der beut den allerärgsten Feinden Trutz.
O Allmacht, wer auf deine Hülfe bauet,
Der ist verwahrt, geschirmt vom schönsten Schutz.
Dir übergeb' ich ihn und will nicht klagen,
Nicht Wohlgefall' ist dir der Menschen Zagen.

Verworren wandern wir in bunten Reihen,
Und Tod und Unglück gehn durch uns dahin,
Wen du mit deiner Milde willst erfreuen,
Der findet im Verderben den Gewinn;
Er darf nicht drohende Gefahren scheuen,
Er singt: im Tod und Leben dein ich bin:
Du gabst ihn mir, dir sei er übergeben,
Er sei der dein' im Tode oder Leben. – geht ab.



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