Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Schloßhof.

Else. Ich kann nicht mehr. Meine Mutter krank und im irren Wahnsinn, der wilde Golo mit entsetzlichen Befehlen von unserm Grafen zurückgekommen! Wohin ich nur geh', wanken mir die schrecklichen Bilder und Gedanken nach. – Wie mag es mit dem Drago stehn? Man hört nichts mehr an seinem Thurm; letzt winselte und schrie er gar kläglich, seitdem ist es still, er mag wohl schon todt sein. Und morgen, – morgen in der Frühe soll auch sie sterben. Ach du gute liebe Gräfin, weinen muß ich über dein unglückliches Schicksal und kann dir doch nichts helfen; meine Thränen, meine Klagen können dir zu keinem Trost gereichen. – Durch dies kleine Fenster kann man tief in ihren Thurm hinunter schauen. – Ach du liebster Jesu Christ, da säugt sie das arme Kind an der Brust: wie ist sie blaß und abgefallen! ich kenne sie kaum wieder! wie schlecht und zerrissen ihr Anzug! Wie alt ist sie geworden!

Von unten. Else, bist du da?

Else. Ich fürchte mich. – Es sieht da unten gräßlich aus. Soll ich fortlaufen? soll ich bleiben?

Von unten. Else!

Else. Ach, liebe Gräfin, ich bin es. Ich sitze hier oben und weine über euch und euer Kind; der Golo ist vom Herrn zurückgekommen mit strenger Botschaft. Morgen früh müßt ihr und euer Kleiner sterben.

Von unten. Else, wenn du mich lieb hast, so schaff mir ein Blatt Papier und eine Feder.

Else. Sogleich will ich es euch von meiner Mutter holen. Die will auch sterben. Gott sei ihr gnädig. Aber was wollt ihr mit den Sachen machen?

Genoveva. Ich will einen Brief an meinen lieben Gemal und Herrn zurück lassen, und Abschied von ihm nehmen.

Else. Ich gehe, euch die Dinge zu holen.



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