Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Waldgebirge. Nacht und Mondschein.

Golo, Benno.

Golo. Höher, herauf zu mir!

Benno. Wo klettert ihr hin? Mir schwindelt. Hol' der .Henker dies nächtliche Umherstreifen.

Golo. Jezt bin ich oben, auf dem letzten Gipfel.

Benno. Ich kann euch nicht nach, mir wirbelts in all' meinen Sinnen. Ich fürchte unten in den Strom zu fallen.

Golo. Halt dich an dem vorragenden Gestein.

Benno. Mir zittern Händ' und Füße: die Steine glitschen unter mir ab, das Moos ist glatt.

Golo. Klimm herauf, feiger Knecht! so, da bist du nun.

Benno. Was habt ihr nun davon, hier oben zu sitzen?

Golo. Hör' wie der Waldstrom unten braust und schäumt,
Wie golden sich des Waldes Wipfel säumt,
Wie die Strahlen hinunter klimmen,
Im Schein die Fichten flimmen.
Wie das Gebirg, in seinen Klippen gespaltet,
Gar wunderbar im Mondschein sich gestaltet,
Wie die Wälder sich rauschend neigen,
Da unten die engen Thäler schweigen,
Aus Felsenritzen Nebelwolken steigen:
Wie die Sterne über uns stehn,
Schwimmende Wolken darunter gehn;
Wie die Nacht mit ernstem Angesicht
Hoch in den Himmel stehet aufgericht.
Hier bin ich sicher und froh in meinem Muth,
Kein Gedanke mich hier erreichen thut.

Benno. Laßt uns zurück nach Hause, nimmermehr
Gehts gut, ihr werdet so einmal verrückt.

Golo. O Thor! Mich kann nun keine Furcht bezwingen,
Sieh wie die Geister aus Bergen zu uns dringen,
Wie Himmel und Erd' in ihrer Gewalt uns hegen,
Die Sternenkreis' um uns Gewinde legen,
Allseitig in Ketten der hohen Natur geschlagen,
Welche Kraft will sich durch all' die Netze wagen?
Sieh, der Bär im Walde sich nicht regt,
Sich keine Creatur bewegt,
Kein Baum im Wachsen kann gedeihn,
Sich thürmen mag kein Felsgestein,
Wirkt nicht in ihm der Weltengeist
Und seine Bahn, sein Ziel ihm weis't.

Benno. Von diesen Dingen kann ich nichts begreifen,
Es macht uns toll, so durch die Wildniß schweifen,
Wir sind bereits unsinnig ganz und gar,
Uns umzutreiben so mit Lebensgefahr.

Golo. Meinst du, daß uns die Sterne dort nicht kennten,
Nichts von uns wüßten die Erze in der Erden?
Wenn uns die Geister aus Pflanz' und Lust und Wasser nicht gönnten
Ihr Leben, müßten wir bald verderbet werden.
So ists ein einz'ger Gang,
Der regiert das Leben der mächt'gen Welt,
Nicht der leiseste Klang,
Der nicht hinab zum tiefen Abgrund fällt.

Benno. Mir graut in dieser Einsamkeit allein
Mit euch, wenn ihr so irre sprecht, zu sein.

Golo. Und Genoveva schläft doch sicher im Grund?
Daß sie nicht erscheint bei nächtlicher Stund'?

Benno. Für diese Furcht seid ohne alle Sorgen,
Sie ist im tiefen Felsenthal verborgen.

Golo. Und keinen Gruß an mich hat sie gegeben,
Eh' sie verblutete ihr armes Leben?

Benno. Wie sollte sie dem Mörder Grüße sagen?
Wie könnt ihr doch so wunderlich nur fragen.

Golo. Wie sah sie aus, als sie zum Tode ging,
So blühend noch, ein Wunder anzuschauen?

Benno. Der Kummer hatte sie gar sehr geältert,
Die Wochennoth, das Darben an der Nahrung,
Hätt' ich es nicht gewußt, ich hätte sie
Im Leben nicht erkannt, so war sie anders.
Sie schien wie eine alte kranke Frau
Gar blaß und abgefallen, tiefe Augen,
Doch waren noch die Augen schön und lebhaft.

Golo. Ja ihre Augen! hinter ihnen lag Himmelreich,
Das schimmerte herfür gar wonniglich;
Sie stehn in meiner Brust, statt meines Herzens,
Und weinen immerwährend rothes Blut:
Drum kann ich nicht mehr fühlen wie ein Mensch.

Benno. Jezt laßt uns dem Gespräch ein Ende machen.

Golo. Wie konntest du sie, Bösewicht, ermorden?
Wie durftest Hand an ihre Augen legen?
Dich schreckte nicht der helle Blick zurück?
Dich jammert' nicht das arm' unschuld'ge Weib?

Benno. Hatt' ich von euch nicht zu der That Befehl?

Golo. Auf mich willst du die Schuld nun wälzen, Schurke?

Benno. Was wollt ihr mir, daß ihr mich so ergreift?

Golo. Hinab dich stürzen in den tiefen Abgrund.

Benno. So sag' ichs doch, es macht die Nacht euch toll.
Nun laßt mich los, ich werfe euch hinab.

Golo. Jetzt gilts, wer von uns beiden stärker ist.

Benno. Er hat nicht Menschen-, nein, des Satans Kräfte.
Besinnt euch, Golo, denkt doch, was ihr thut.

Golo. Du sollst hinunter, eh' will ich nicht ruhn.

Benno. Barmherzigkeit! Ich wanke, – laßt euch sagen –

Golo. Da fall'!

Benno.             Sie ist nicht umgebracht!

Golo.                                                           Hinab!
        Benno fällt hinab.
Nun hab' ich Ruhe vor dem wüsten Mörder,
Der auch nach meinem Leben stand, der immer
Die schwere Missethat mir wiederholte.
Mich dünkt, ich hört' ihn noch nach Hülfe schrein,
Des Stromes Strudel hat ihn wild verschlungen.

Ein Pilgrim tritt auf.

Pilgrim. Scholl hier die Stimme, die um Hülfe schrie?

Golo. Ich weiß von nichts, ich habe nichts gehört.

Pilgrim. So grüß' euch Gott in Jesu Christi Namen.

Golo. Ich kenn' euch nicht, was wollt ihr hier bei mir?

Pilgrim. Ich bin ein armer Pilgrim, auf dem Wege
Nach heil'gen Wallfahrtsörtern, Wunderbildern,
Um meine schweren Sünden abzubüßen.
Ihr seid der Golo, haust in dieser Gegend?

Golo. Wie kennt ihr mich? Ich hab' euch nie gesehn.

Pilgrim. Ihr denkt darauf, nach Siegfrieds Schloß zu gehn.

Golo. So lang ich klug bin, werd' ich mich wohl hüten;
Zwar schickt er mir zuweilen Botschaft, doch
Ich weiß, daß er mich haßt, mir schaden möchte,
Drum geh' ich aus dem Wege seinem Schlosse
Und halte mich in meiner Veste auf.

Pilgrim. Ach warum zogt ihr nicht vor sieben Jahren
In jenen heil'gen Krieg mit Siegfried aus?
Da stünd' es jezt um euren Zustand anders.

Golo. Ich bin zufrieden, mehr braucht nicht der Mensch.

Pilgrim. O wohl dem Mann, der dieses schöne Wort
Vermag von sich zu sagen; ich kanns nicht.
Mich reut die Jugend mein, so manche Stunde,
Gar manche Sünde, die verborgen blieb!
Wie seid ihr glücklich, daß ihr so bestellt.

Golo. Die Sterne sinds, die unser Schicksal machen,
Und unsre Tugend, unsre Laster, drum
Ist Sorge, Gram und Reue, Thorheit nur.

Pilgrim. Wenns euch gefällt, mit durch den Wald zu gehn,
So mögen wir darüber uns besprechen.

sie gehn.



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