Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zimmer der Gräfin.

Genoveva, Drago.

Drago. Ihr seid so schweigsam heute nach dem Lesen,
Ist euch nicht wohl, liebwertheste Frau Gräfin?

Genoveva. Nicht ganz, und dennoch hab' ich nichts zu klagen,
Wie mir es ist, weiß ich dir nicht zu sagen;
Auch hat mich, was wir in dem Buch gelesen
Und wie es in der vor'gen Zeit gewesen,
Nachdenklich sehr gemacht und tief betrübt,
Daß alle, die so innig Gott geliebt,
Die mit den Seelen nach dem Himmel strebten
Und himmlisch in dem irdschen Leibe lebten,
Daß sie kein stilles Glück allhier genossen,
Daß alle für das Heil ihr Blut vergossen.

Drago. Es hat ja Christus selber uns gelehrt:
Ich bring' den Frieden nicht, ich bring' das Schwerdt,
Ich will euch nicht von dem Gesetz befrein,
Nein mein Gesetz soll doppelt schärfer sein.
Er ist für uns gestorben, als Exempel,
Er selbst zerbrach den gottgeweihten Tempel,
Ergab sich eigen ganz den Menschenleiden,
Den Menschen zu verleihn die Himmelsfreuden,
Ging in den Tod, des Todes Macht zu brechen,
Zur Höll' hinab, des Teufels Macht zu schwächen,
Er gab Verheißung auf das alte Glück,
Bracht' Himmel in das Irdische zurück:
Seitdem ist kein Verwesen und kein Tod,
Im Grabe schläft ein neues Morgenroth.

Genoveva. Seitdem entschwand Beängstigung und Noth,
Wir kennen nun das süße Himmelsbrod.

Drago. Die Jünger Christi folgten seinen Schritten,
Und duldeten wie er so Tod und Pein,
Ihr Glaube und Beglaub'gung wann sie litten
Aehnlich dem auferstandnen Meister sein,
In der Vernichtung, in der Marter Mitten
Ersahn sie schon des künftgen Lebens Schein,
Den Heiland über ihren Henkersknechten,
Der sprach: Getreuen, kommt zu meiner Rechten.

Zwölf Stühle sahn sie oben zubereitet,
In Wolken hoch den Glanz der goldnen Thronen,
Der Tod war nur ein Strom, der über leitet,
Die Marterdornen schimmervolle Kronen,
Die Seele mit dem Blick hinübergleitet
In ihres guten Vaters Haus zu wohnen,
Im Tod als Gottes Schüler losgesprochen,
Zum ewgen Leben durch den Tod gebrochen.

So blieb der Weg mit heil'gem Blut begossen
Den Christensäulen, heil'ge Märtrer gingen,
Wie sie Leib, Blut an Christi Tisch genossen,
So mußten sie zum Dank ihm beides bringen,
So wuchs vom rothen Regen schön begossen
Die Kirche sein, gedieh im großen Ringen,
Je mehr gebeugt, je schöner bald verehret,
Je mehr geschmäht, je göttlicher verkläret.

Bald schien der Tag durchs Land, in weiten Reichen
Saß Glaub und Demuth auf den Fürstensitzen,
Es mußten ehrne Herzen sich erweichen,
Die Fabelgötter wollten nicht mehr schützen,
Die Todten sprachen, predigten die Leichen,
Verstockte fühlten sich vom Geist durchblitzen,
Der Heiland rief, da half kein Widerstreben,
Sie mußten sich ihm all zu eigen geben.

Da meinten sie, der Friede würde kommen,
Doch kann uns nur ein ew'ger Kampf beschirmen,
Wir sehn schon neue Fluth daher geschwommen
Und wildre Wogen sich auf wilde thürmen,
Es hat des Mahoms Reich Ursprung genommen,
Und wüthet gleich den giftigen Gewürmen,
So schickt es Gott, daß wir gewappnet bleiben,
Wir können nur im Kampf an Jesum gläuben.

Drum wird der Streit auch ewiglich bestanden,
Mit Satan bleibt ein unvergänglich Ringen,
Er fängt und schließt uns ein in seinen Banden,
Wir streben herzlich dann hindurch zu dringen,
Und ruhn nicht eh bis Gott uns beigestanden,
Dem wir das ganze Herz zum Opfer bringen,
Und weil des Herren Güt' uns Kinder liebt,
Sind wir in immerwähr'ndem Kampf geübt.

Genoveva. Drum sind die Leiden uns zur Welt gegeben,
Drum herrscht in uns so Neid wie böse Lust,
Daß wir im Streit mit uns und diesem Leben
Zum künftgen Morgen läutern unsre Brust,
Und keiner wird zur Demuth aufwärts schweben,
Der nicht zuvor um seinen Stolz gewußt,
Die Tugend wird durch Prüfung erst gereinigt,
Dann wird der Geist mit Gottes Geist vereinigt.

Drago. Drum wohl uns, wenn er uns die Prüfung sendet:
Ob dem Bekenntniß irdisches Erdulden;
Er zeigt uns an, daß er sich zu uns wendet,
Lossprechen gerne will von unsern Schulden;
Sind wir in uns und in der Welt verblendet,
Besuchen Engel uns in dem Erdulden,
Und wen sich Gott als Liebsten hat erkoren,
Ward ihm zu sterben dieser Welt geboren.

Golo tritt ein mit Benno und andern Knechten.

Golo. Hier seht ihr selbst, was ich zuvor gesprochen,
Ermeßt nun selber, was sie wohl verbrochen.

Genoveva. Was soll der Ueberfall in dem Gemach?

Golo. Wenn alle schlafen, bin ich dennoch wach;
Ich ward gesetzt zum Wächter eurer Ehre,
Daß ich sie hier wie Siegfried selbst bewähre;
Wie sollt' ich doch dem Grafen Antwort geben,
Ließ ich hier ungestraft, was seinem Leben,
Ja mehr als Leben, seiner Ehre droht?
Verlorne Ehre ist zwiefacher Tod.
Ihr glaubtet wohl, ich ließe aus der Acht,
Was ich bemerkt bei Tag und in der Nacht,
Was ihr wohl gerne Gotte selbst verborgen:
Wie durft' ich so in meinem Amte sorgen?
Ihr Knechte greift den Drago, bindet ihn
Mit Ketten fest und ohne zu verziehn,
Werft in den tiefsten Thurm den Schalk hinab,
Dort find' er für die Uebelthat sein Grab.

Drago. Hilf Himmel! ich? Was hab' ich denn gethan?

Golo. O Freunde, seht den Bösewicht nur an,
Seht diese Blässe auf dem Angesicht,
Wie gegen ihn dies feige Zittern spricht,
Ihr glaubt doch nun, was ich zuvor gesehn,
Ihn Sünde mit der gnäd'gen Frau begehn.

Drago. O guter Gott, ich rufe dich zum Zeugen,
Ich kann nicht reden und kann auch nicht schweigen –
Die Angst, – der Schreck, – Herr Golo, ihr mögt glauben,
So möge Gott mir alle Hoffnung rauben –
O Himmel! ich in diese Sünde fallen,
Ein Diener ich nur unter den Vasallen. –

Golo. Kein Wort mehr! kommt herbei und nehmt ihn Schergen!

Drago. Ach! wohin soll ich doch mein Haupt verbergen?
O edler Golo, habt doch mit mir Armen,
Mit mir rechtschaffnem Manne doch Erbarmen;
Ihr irrt euch ja, so wahr der Herre lebt,
So wahr die Seele mir im Busen lebt.

Golo. Was nützt dein Läugnen und dein weibisch Zagen?
Bist du so kühn, die Frevelthat zu wagen,
So magst du auch dein Schicksal jezt ertragen.

Drago. Unschuldig ach! und keiner will mich hören, –
O laßt mich euch beim Himmel doch beschwören –

Golo. Kein Wort! man führ' ihn fort zum finstern Thurm,
Dort nag' ihn Reu und des Gewissens Wurm!

Drago wird gefesselt und fortgeführt.

Genoveva. O Golo! mochtest du so tief versinken?

Golo. Wie mag es euch doch Freunde wohl bedünken,
Wenn unser Herr Pfalzgraf zurücke kehrte,
Und auswärts diese schlimme Botschaft hörte?
Und wie wir seine Ehre nicht bewahrt?
Er strafte unsern Leichtsinn schwer und hart.
Drum müßt ihr euch, Frau Gräfin, auch bequemen,
Im andern Thurm die Herberg' gleich zu nehmen.

Genoveva. Du Golo weißt, ich brauch' mich nicht zu schämen.

alle ab.



 << zurück weiter >>