Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Saal auf dem Schlosse.

Graf Siegfried und Genoveva.

Siegfried. Nun sammle dich, liebwerthestes Gemal,
Und zeige dich als eine deutsche Frau.
Nicht diese Thränen – warum willst du weinen?

Genoveva. Werd' ich dich jemals, jemals wieder sehn?

Siegfried. Als Sieger kehr ich bald zur Heimath wieder.

Genoveva. Dann bin ich todt, so spricht mein armes Herz.

Siegfried. Du sollst nicht jammern; ruft mich nicht die Pflicht?
Mein Lehnsherr, unser guter lieber König,
Der tapfre Mann, der große Major Domus,
Der längst ein Schrecken seiner Feinde war?
Du stehst im Bündniß mit den blinden Heiden,
Wenn deine Seufzer, deine Thränen mich zu halten
Versuchen, vorwärts solltest du mich treiben;
Sieh, Frankreich zittert vor den Sarazenen,
Schon haben sie Hispania unterjocht,
Schon sind sie Meister von den südlichen
Provinzen Frankreichs, dräuen nun dem Rhein.
Von dort das Heidenthum, nicht weit von uns
Die Sachsen, in der deutschen Christenheit
Nur zu oft Zwiespalt, Haß: da muß der Mann
Sich fest dem Mann verbünden, daß das neue Kreuz
Nicht umgerissen Götzenbildern weiche,
Daß von den armen Menschen die Erlösung,
Die theur erkaufte, blut-besiegelte,
Nicht wieder in den alten Wahn verschwinde,
Da müssen wir so Blut wie Leben opfern,
Mit unserm Blut das heilge Kreuz besprengen,
Damit es höher wachse, weiter glänze,
Und jeder Tropfen unsers rothen Bluts
Ist dann ein neues Siegel unserm Glauben!

Genoveva. Ja Christ hat uns zu seinem Dienst geworben,
Er ist für unser Seelenheil gestorben.
Seitdem ist Tod ein blütenvolles Leben;
Im Sterben hat uns Christ Geburt gegeben,
Wer wollte nicht den Leib der Erde bringen,
Die Seele zum Erlöser aufzuschwingen. –

Siegfried. Nun, warum denn willst du zurück mich halten?

Genoveva. Nicht halten, nein zum Ruhm möcht' ich dich treiben,
Zu widerstehn den feindlichen Gewalten.
Doch zittr' ich hier allein zurück zu bleiben: –
Es schweben vor mir furchtbare Gestalten,
Ich muß an seltsam gräßlich Elend gläuben,
Mir ist als harrte mein ein tiefes Trauern,
Als trieben Geister mich aus diesen Mauern.

So jung sah ich schon manche trübe Stunde,
Und mehr noch stehn und warten auf dein Scheiden,
Kein Vater gab den Segen unserm Bunde,
Die Mutter starb, ich kannte kaum die beiden,
Noch fühlt die Brust den Schmerz von dieser Wunde
Und sieh, da wachsen schon die neuen Leiden,
Das liebste Gut, dich selbst muß ich verlieren,
Und soll in diesem Jammer mich regieren.

Drago tritt auf.

Drago. Verzeiht, mein edler Graf, wenn ich euch störe.

Siegfried. Hausmeister, sei willkommen: willst du was?

Drago. Noch einmal Abschied nehmen, einmal noch
Die theure Hand an meine Lippen drücken,
Dann will ich euch des Herren Schutz befehlen.

Siegfried. Warum thut ihr denn alle so gar ängstlich?
's ist nicht das erstemal, daß wir entboten,
's soll nicht, mit Gottes Hülf, das letzte sein.

Drago. Wir alle sind in seine Hand gegeben,
Er sei in Ewigkeit gelobet. Amen.

Golo und Wolf treten auf.

Siegfried. Nun sieh, da kommt der wackre Golo auch,
Und Wolf, der Alte, mich noch mal zu grüßen;
Lebt wohl, ihre Freunde, Gott behüt' euch alle.

Genoveva. So gehst du von mir, Herr, Gemal, mein Leben,
So ist die Stunde nun, der Augenblick,
Der längst gefürchtete, gekommen wirklich?

Drago. Mein lieber Herr, mein wackrer, edler Graf –

Siegfried. Du weinst? Ein Mann und Thränen?

Drago.                                                                     Laßt sie fließen,
Ich weiß es ganz gewiß, wir sehn uns nimmer.

Siegfried. Ihr alle wollt mir nur mein Herz beschweren.
Geh fort von mir, kindisch gesinnter Mann.

Drago ab.

Wolf. Herr Siegfried, seht, ich will nicht klagen, weiß
Ist dieser Schädel, alt und mürb mein Herz,
Die Arme kraftlos, blöd mein Auge; keck
Darf ich es sagen, fahret wohl, seid glücklich,
Auch wenn wir uns nicht wieder sehn.

Siegfried.                                                     Du, Wolf,
Ich weiß es, gingest gern mit mir zu streiten.

Wolf. So thät' ich, wär nicht meine Zeit vorüber,
Wem wird's nicht in den Adern warm beim Namen
Des Helden Karl? dem Hammer, dem Martellus,
Dem Würger aller Frankenfeinde, ihm
Dem Blitze Gottes möcht' ich gerne folgen.
Doch Abend ist's mit mir geworden und
Kein Sohn geht für mich in das schöne Feld,
Wo unsre Christenfahnen wehn, den Arm
In's Sarazenenblut zu tauchen.

Golo.                                                 Dennoch,
Mein Vater (duldet diesen Namen gern,
Denn ihr habt mich an Kindes Statt genommen),
Soll ich den Grafen nicht ins Feld begleiten,
Ihr beiden edlen Freunde wart dagegen.

Siegfried. Du bleibst zu Haus und bist des Hauses Stütze,
Hofmeister über mein Gesinde, Vogt
Des Schlosses, meines theuern Weibes Hüter.
Gern hätt' ich dich in mein Gefolg genommen,
Gern, lieber Knab', dich bei mir streiten sehn;
Doch weil ich keinen kenne, dessen Treue,
Deß Herz mir so von Herzen ist ergeben,
So hab' ich dich gewählt, zurück zu bleiben;
Dem Vaterland kannst du hier wenig nutzen,
Doch mir als Freund magst du hier alles sein:
Mein Schützer, mein Berather und mein Auge.

Golo. Die Seele wäre in der tiefsten Hölle,
Im letzten Abgrund ewiglich verdammt,
Die taub und fühllos für die große Liebe,
Die ihr seit lang zu mir getragen, bliebe.
Ja gerne füg' ich mich und bleib zurück,
Ich schirme euch das allergrößte Glück,
An Worten arm, an Thaten sollt ihr kennen
Den treuen Knecht, und mich den treusten nennen.

Trompeten von außen.

Siegfried. Wir weilen im Gespräch, die Reiterei
Ist aufgesessen, alle Mannschaft schon
Im Zuge, – nun in Gottes Namen denn.

Genoveva. O Siegfried! – Golo, Wolf, laßt uns allein. –

Golo und Wolf ab.

Siegfried. Was willst du Genoveva? Warlich, nicht
Erkenn' ich wieder, was du vordem warst.

Genoveva. O mein Gemal, seit wenig Monden erst,
Auf viele Monden mir zum Leid entrissen,
Ach! könntest du die Herzensqualen wissen,
Die meine junge Brust wie Dolche schneiden,
Du trügst Erbarmen mit den bittern Leiden.

Siegfried. Die Liebe fühl' ich, doch ich muß nun fort.

Genoveva. Du gehst, mein Licht, mein Trost, mein Leben, Hort?
O nimm mich mit dir in das blutge Feld,
Wer soll dein pflegen, deine Wunden heilen?
Wer kümmert sich um dich mit treuer Sorgfalt,
Wer achtet wohl auf deine leisen Wünsche?
Wer möchte deinen Schlummer doch bewachen,
Wenn nicht dein treues Weib zugegen ist?

Siegfried. Sprich nicht dergleichen Worte, Genoveva.
Sollt' ich dem weibschen Römer gleich, ins Lager
Ein neuvermähltes Weib denn mit mir führen,
Daß alle alten Krieger auf mich deuten
Und spöttelnd sagen: seht, er konnt' sein Herz
Nicht zwingen, mehr als Krieg gilt ihm die Frau:
Wie dürft' ich doch Martellus Antlitz schauen?
Nein, Genoveva, mach mich nicht erzürnen,
Und lern von mir wie man entbehren soll.

Genoveva. O mögt ihr mich nicht lebend wieder finden,
Wenn nicht die treuste Liebe aus mir spricht,
Die Bitte gab kein weltlicher Gedanke,
Kein ungeziem'nder Wunsch auf meine Lippen.
Siegfried, die Welt ist einsam mir und öde,
Die Mauern schaun auf mich mit grimmgen Zügen,
Kaum seid ihr fort, so tritt aus jedem Winkel
Ein Unhold auf mich zu, ich suche Schutz
Und finde keinen, keinen als in euch.
Ihr dürft nicht bleiben, darum nehmt mich mit,
O ja, ihr werdet, ja ihr müßt es thun.

Siegfried. Schweig, Weib, es kann nicht sein, es soll nicht sein;
Darf ich ins Lager ein Gespötte bringen?

Genoveva. Bist du so rauh, Gemal, so wenig freundlich,
Dem schwachen, kranken Weibe? – Nun so höre,
Ich will die Zunge zwingen, es zu sagen:
Ich fühle mich seit wenig Wochen Mutter.

Siegfried. Daher kommt dir so Angst wie leere Furcht,
Ich freue mich und zieh mit doppelm Muth,
Und kehre froher heim, den Sohn zu finden,
Drum sei der Bitte Thorheit dir verziehn,
Leb' wohl! noch einen Kuß, und diesen noch.
        Genoveva wird ohnmächtig.
O schwaches Weib! Ermuntre dich, sei muthig!
Wie, Genoveva?

Genoveva.               Lebe wohl! –

Siegfried.                                       Leb' wohl! – geht ab.

Genoveva. Er geht, ich bin mit meinem Gram allein.

Das Heer draußen singt.
    So streiten wir für Gott den Herrn,
    Gehn in den Feind von Herzen gern,
    Fleug uns voran, o theurer Christ,
    Der du uns Heil und Retter bist.

Golo kömmt zurück.

Golo. Ihr habt wohl, Gräfin, den Gesang vernommen?
Sie ziehn mit frischem Herzen fröhlich fort,
Bald ist der Feind besiegt, sie kommen heim.–
Ihr sprecht nicht, und ich seh die stillen Thränen,
Die ihr mir lieber noch verbergen möchtet.

    Schaut um euch, wie der Frühling aufgegangen,
    Im jungen Laube neues Leben spielt,
    Wie hold in ihrer Blüt' die Bäume prangen,
    Im Zweig der Vogel sich vergnüglich fühlt,
    Schon färben sich der Blumen zarte Wangen,
    Die Winterfrost im dunkeln Hause hielt,
    Allseitig fühlt die Welt ein muntres Regen
    Und drängt sich süß dem Frühlingsglanz entgegen.

    Von Bergen ab die silbern Bächlein kommen
    Und tanzen in die grünen Thäler munter,
    Den Nachtigallen ist die Furcht benommen,
    Sie singen laut den dunkeln Wald hinunter,
    All' süße Farben sind nun angeglommen,
    Der Garten wird von tausend Blumen bunter,
    Mit Strahlen ist die ganze Welt umzogen,
    Um jede Blume spielt ein Regenbogen.

Genoveva geht ab.

Golo.
    Dem Troste ist die holde Brust verschlossen,
    Doch ist es Pflicht, man läßt sie nicht allein,
    Jezt ist die Schwermuth um sie ausgegossen,
    Doch sucht sie bald den zarten Frühlingsschein,
    Dann wird ihr tiefer Gram hinweggeflossen
    Nur lieblich dämmernde Erinnrung sein.
    Ich will ihr nach hinab zum Garten gehen,
    Allein darf sie nicht sein mit ihren Wehen. geht ab.



 << zurück weiter >>