Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Schloßhof.

Wendelin, Else.

Else. In meinem Leben werd' ich nicht mehr froh,
Seit ich gesehn, was meine Augen sahn.
Die Welt ist nur ein trüber finstrer Kerker,
Mit Gift erfüllt, mit Schlangen und mit Kröten,
Wenn solcher Lohn der schönsten Tugend wird.

Wendelin. Ja, meine Augen sind vom Weinen blind,
Die Nacht hab' ich beim Beten aufgesessen,
Ich glaubte noch, es würde Gott der Herr
Vor diesem Morgen plötzlich Wunder senden
Und Genovevam herrlich schön verklären.
Doch haben sie die Bösen fortgeführt,
Die Teufel in der menschlichen Gestalt.

Else. O daß kein Blitz vom Himmel sie getroffen,
Daß aus den Wolken nicht ein Arm gekommen,
Der ihr die Strahlenkrone aufgesetzt
Und ihre Mörder nieder hat geschmettert.

Wendelin. Die Zeit der Wunderwerke ist vorbei,
Jetzt läßt der Herr die Seinen untergehn.
Mir war es so, als wenn die Jungfrau selbst
Erschiene mit dem Knaben auf dem Arm,
So heilig, so unschuldig ging sie hin,
Sie hatten übers Haupt ihr einen Schleier
Gehängt, man sah nur ihre großen Augen,
So wie die Sonne hinter Wolken scheint.

Else. So ging sie unbekümmert mit den Mördern,
Nie sehn wir sie mit unsern Augen wieder.

Wendelin. Entzogen ist sie uns, diebisch entwandt,
Die unser Kleinod war und unser Glück:
Wer darf zur Rechenschaft die Räuber ziehn?

Else. Man darf nicht sprechen, kaum die Thräne zeigen,
Man muß es sehn und muß dazu noch schweigen.
Lebt wohl, ich muß zu meiner Mutter gehn;
O möchte sie das Ende leicht bestehn! ab.


Felsenthal.

Genoveva mit dem Kinde, geführt von Benno und Grimoald.

Benno. Hier ist die Stätte, laßt uns stille stehn.

Grimoald. Wie schauerlich und einsam ist der Platz! –
Was sprecht ihr denn kein Wort, Frau Genoveva?

Benno. Was soll sie reden, ihr Gewissen drückt sie,
Drum mag sie auch mit diesem Schweigen sterben.

Grimoald. Der Ort kann schon die traurigsten Gedanken
Und Mördervorsatz in der Brust erregen,
Er schickt sich gut zur That, wie zu 'nem Kirchhof.

Genoveva.
O Gott, es ist dein unerforschter Wille,
Ein zweiter Abram muß das Weib hier stehen,
Die Opferung des Sohnes soll geschehen,
Ich halte deinem großen Rathschluß stille.

Nur weinen laß mich, daß ich es verhülle
Das Aug' in Thränen vor den herbsten Wehen,
Nicht will ich zu dir um sein Leben flehen,
Daß sich die Prüfung dein an mir erfülle.

Ich konnte kaum den meinigen ihn nennen,
Da wird er mir, mein einzig Heil, entrissen,
Errungen kaum soll ich ihn wieder missen.

Doch wollen sie nicht Kind und Mutter trennen,
Sie trösten mich und wollen uns doch besser,
Uns bringt zur Ruh, zum Grab dasselbe Messer.

Benno. Bereitet euch nunmehr den Tod zu sterben.

Genoveva. Ich will euch nicht entrinnen.

Benno. Der Knabe stirbt zuerst und ihr nachher.

Genoveva. Ich will nicht murren, fahrt mich nicht so an,
Laßt mich gelinde sterben, keinen Laut
Und keine Bitte sollt ihr ja vernehmen,
Ich habe mich im Stillen drein ergeben.
Da nehmt das Kind und thut nun wie ihr dürft.
Er sieht nach mir zurück, und streckt die Hände
Nach seinem Mutterbusen, der ihn nährte.
Noch einen Kuß – und diesen noch, – nun nehmt ihn.

Benno. Nun zieh dein Messer, feiger Grimoald.

Grimoald. Ich zittre vor der Morgenluft, bald ist's
Vorüber.

Genoveva.     Haltet noch! o haltet ein!
Ich kanns nicht dulden, nimmer kanns mein Auge
Ertragen, schlachten sehn das liebe Lamm.
Nein, das wär' mehr als Tod, so grause Marter
Kann keine Mutter lebend fühlen, nehmt
Die Messer, stoßt sie erst in meinen Nacken,
Vermischt mit meinem Blut des Säuglings Blut,
So klagen euch nicht meine letzten Seufzer
Vor Gott dem Herren an, der alles sieht,
Und auch was ich zu dieser Frist empfinde.
O Benno, was hab' ich dir denn gethan,
Daß du mich also hart verfolgen darfst?
O seht das Kindlein, wie es nach dem Glanz
Der blanken Messer mit den Händlein langt:
Die Steine hier sie möchten sich erbarmen,
Wie könnt ihr Menschen doch so gottlos sein?

Benno. Schweigt endlich, macht euch nun zum Tode fertig.

Genoveva. Du wirst dem Richterschwerdte nicht entfliehn,
Du drängst mich jezt, einst wirst du auch bedrängt.
Und du, Gehülfe seines Mordes, bist
Du meinem Hause nicht bekannt? dein Antlitz
Ist mir nicht fremd.

Grimoald.                     So ist es, gnäd'ge Frau,
Ich brachte euch die Kohlen sonst zum Schlosse,
Ihr habt mir manchen lieben Blick geschenkt,
Auch manchen Becher Weins und Speis' und Geld.
Es schnitt mir recht durchs Herz, da ich von euch
So schnöde Lasterthat vernehmen mußte.

Genoveva. So helf' mir Gott, wie ich unschuldig bin!
So straf' er mich, vergaß ich je der Treue,
Die dem Gemal die Ehfrau schuldig ist.
O ihr seid hintergangen, liebe Männer,
Und theilt mit dem Verführer das Verbrechen.

Benno. Hieher, das sind nur Worte in den Wind.

Grimoald. Nein, laß sie sprechen, daß wir alles wissen,
Und nicht unwissend eine Sünd' begehn.

Genoveva. Ein böser Mann hat alles angestiftet,
Weil ich nicht Gottes Wort vergessen wollte,
Weil ich die Keuschheit mehr als Leben schätzte.

Benno. Das Messer ist gezuckt, und ihr sollt sterben.

Grimoald. Zurück! sonst stoß' ich dir das blanke Eisen
In deinen Schelmenwanst! da laß sie sprechen!

Genoveva. O du bist gut, o du bist mir ein Trost,
In dunkler Wüste unverhofft gesandt;
Erbarm dich mein und meines armen Kindes,
Zu deinen Füßen knie ich, sei barmherzig.
Ich kann nicht sterben, ich bin ohne Schuld,
So schuldlos wie dies Kindlein hier an dem
Was man mich anklagt. O vergießet nicht
Ein reines Blut, es schreit zu Gottes Thron.
O seht, die Sonne will nicht niederscheinen
Auf solche That, es will das Aug' der Welt
Nicht sehn, was euch auf immer nagen würde;
Ihr wollt mit Menschenaugen, Menschenherzen,
Mit euren Händen dieses Blut vergießen,
Es fließen sehn das dunkle Thal entlang?
O seht die schwarzen Weiden, wie sie rauschen,
Als wenn sie mit in meine Klage stimmten,
Als gäben sie den Bitten mein Gehör:
Und du willst so dein menschlich Herz verhärten?
Hab' ich nicht schon genug erlitten? Froh
Ward ich des Kindes nicht in schwerer Stunde,
Kein Mensch, der Hülfe mir im Kampf geleistet,
Der Trost mir eingesprochen, da mir bangte:
Da war das Kind und weinte mir entgegen,
Ich konnte ihm zum Gruß nur Thränen geben;
So winselten wir beide, keiner achtets,
Auch gab mir keiner Labung und Erquickung,
Kein Bett in meinem feuchten kalten Thurm,
Und keiner sah, wie ich mich selbst verzehrte,
Dem Kindlein nur die dürft'ge Kost zu reichen,
Auch Kleidung und Gewand war nimmer da,
Und alles fehlte, was der Bettler hat. –
Nun lassen sie mich noch ermorden, weil
Sie meines Herrn, des Grafen Zorn befürchten.
Bin ich nicht elend g'nug? O laßt mich leben,
Um meines Kindes willen laßt mich leben,
In ihm ist Welt, und Reichthum und Gemal
Und alle Herrlichkeit und Wohlergehn.
O laßt mich leben, daß ich dieses Lämmlein
Zur Gottesfurcht und seiner Lieb' erziehe.

Benno. Du weinst, du Memme? das soll Golo wissen.

Grimoald. Bei Gott, ich hab' die Thränen eingeschluckt,
Mich lang geschämt, nun brechen sie hervor;
Mag er's doch wissen, mag er mich doch tödten,
Ich bin kein Thier, wie du, dein wilder Herr. –
Zurück von ihr, das sag' ich dir im Guten,
Sonst pack' ich dich, du Schurke, bei der Gurgel,
Und hast das Tageslicht zuletzt gesehn,
Den Mord will ich vor Gott dem Herrn vertreten.
Sei zahm, das rath' ich dir, stecks Messer weg,
So, – nun mags sein, daß du noch leben bleibst;
Doch hast du's nicht verdient. – Ach liebe Frau,
Wenn ihr auch leben bleibt, was wollt ihr thun?

Genoveva. Zuerst dir danken, lieber Mann, der mir
Und meinem Kind so hold und lieb gewesen.
Gewiß hast du auch Kinder auferzogen.

Grimoald. Wir wollen lieber davon stille schweigen;
'nen Sohn, Traugott genannt, ein einzig Kind,
Er ist im Mohrenkriege umgekommen.

Genoveva. Du siehst ihn dort, er ist dir nicht entronnen.

Grimoald. Ach liebe Frau, wo wollt ihr hin von hier?

Benno. Wenn wir euch nun auch leben lassen, dürft
Ihr doch zu Menschen nicht; erführe das
Herr Golo, ließ er uns mit Martern sterben.

Genoveva. Zu Menschen will ich nicht, ich hab' gelernt
Daß man nicht Hülfe muß bei Menschen suchen;
Nein, in die wilden Berge will ich flüchten,
In Wüsten, die kein Menschenfuß betritt,
In Einsamkeit mein Leben dort beschließen,
Mein Kind bei mir, mein'n Trost, mein' einz'ge Freude,
Je ferner von der Welt, je lieber mir.

Grimoald. So geht, wohledle Frau; da habt ihr ihn
Den lieben Knaben – lachst du mich so an
Du holdes Kind? Wie ist mir wohl und leicht,
Als hab' ich eine gute That gethan.

Genoveva. So lebe wohl, es segne dich der Herr!
Komm auf die Pilgerschaft, mein Schmerzenreich. geht.

Grimoald. Sie muß verschmachten in den Wäldern hier,
Die arme Frau.

Benno.         Drum war es minder grausam,
Sie schnell mit einem einz'gen Streich zu tödten.

Grimoald. Sprich davon nicht! kein einzig Wort sprich mehr,
Sonst brech' ich dir noch jezt den schurk'schen Hals!

Benno. Mags sein, doch müssen wir dem Golo sagen,
Daß wir sie umgebracht; und wie solls werden?
Befahl er nicht, Wahrzeichen mitzubringen,
Die Augen und die Zunge?

Grimoald.                                   Wunderbar
Hats Gott gelenkt, daß mit uns lief ein Windspiel,
Dem schneiden wir es aus, wie soll ers kennen?
Das arme Thier muß nun unschuldig leiden;
Doch besser, als daß wir die Gräfin mord'ten,
Die uns vor Gottes Richterstuhl verklagt.
Am Ende fürcht' ich mich vor keinem Menschen,
Doch den da oben muß man immer fürchten.

sie gehn.



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