Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Wüste.

Genoveva mit fliegenden Haaren.
Wohin? Wohin soll ich mich retten?
Daß ich das Geschrei, den Jammer meines Kindes nicht höre?
Es verschmachtet und hat keine Nahrung,
Und wimmert, daß es mein Herz zerbricht.
Ich kann, ich kann nicht helfen
Und muß es nun verhungern sehn.
Ohne Milch sind meine Brüste,
Durch die Wälder bin ich gewandert,
Den Durst mit Wasser stillend,
Mit Gras und Wurzeln den Leib ernährend,
Auf Bäumen in Nächten gewacht,
Vor wilden Thieren in Angst mich bergend:
Nun kann ich nicht mehr helfen,
Es saugt mein Blut das liebe Kind,
Und gern, gern wollt' ich dir es geben,
Müßten wir dann nicht beide sterben.
Ich höre aus der Höhle sein Jammergeschrei!
Ach wie glücklich ist die Bettlerin auf der Landstraße,
Die den Wandersmann um milde Gabe fleht.
Ich darf mich nicht vor Menschen zeigen,
Auch wüßt' ich nicht den Weg zu finden
Aus diesen verworrenen wüsten Felsen.
Ach ihr Bäume erbarmt euch mein!
Erbarme dich du Sonnenschein!
Wohin soll ich fliehn? Wer steht mir bei?
Ihr Steine, ihr harten Felsen, bewegt euch nicht
Mein tiefes Leid, meine Herzensquaal?
Ihr Thiere im tiefen dunkeln Wald,
O kommt herauf! ihr Quellen, o gebt mir Labsal
Und springt zur Hülfe dem armen Kinde herbei!
Ach! keiner hört mich!
Die Felsen sind stumm und taub,
Die Bäume rauschen verhöhnend,
Die Quellen murmeln ruhig fort!

    Allmächtiger! wie konnt' ich dich vergessen?
    Allgegenwärt'ger so in Gras wie Steinen,
    Du hörst mich jezt, hast meiner nicht vergessen,
    Vernimmst mein tiefes Flehn, du siehst mein Weinen,
    Wenn du nur winkst, so bin ich nicht vergessen,
    Aus Berg und Fels muß Hülfe mir erscheinen.
    O guter großer Gott, laß dichs erbarmen,
    Mein Kindlein übergeb' ich deinen Armen.

    Mein Herze betet und will zu dir dringen,
    Ich suche dich mit Sinn und mit Gedanken,
    Gedank' und alle Kräfte sind im Ringen,
    Die Zuversicht auf dich läßt nimmer wanken,
    Ich fühl' mein Flehn durch alle Felsen klingen,
    Die Segenshand, und wie sie niedersanken
    Die Worte deines Trostes, wie ein Thauen,
    Das neu erfrischt die heiß erstorbnen Auen. – –

    Es ist erhört mein Flehen,
    Die Stimme des Jammers ruht,
    Zu dir hast du aus den Felsen,
    Aus der Noth der Welt,
    Aus allem Elend, das jezt und künftig droht,
    Die junge Seele hinauf, hinauf zu dir gezogen,
    Da steht sie jezt vor deinem Vaterauge. –

    Doch nein! ich schau mich um, ich sehe dort
    In tiefer Höhle lebend noch mein Kind.
    Und über ihm ein Wild, das freundlich zahm
    Die Milch zur Nahrung ihm gewährt.
    O fromme Hirschin, die aus dunkelm Wald
    Von deiner Güte uns gesendet ward, –
    Das Kindlein ist gesättigt, lacht mir zu, –
    O Herz, o Trost, – so sei die Höhle hier
    Uns Haus und Schutz und heilge Tempelstelle,
    Wo wir dem Ewigen dienen still und fromm. geht in die Höhle.



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