Johannes Scherr
Michel
Johannes Scherr

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Drittes Kapitel.

»Pfingsten war das Fest der Freude ...«

Zur schonen Pfingstzeit war es, als der große Glückstag meines Lebens erschien. Durch das Blachfeld zogen die Rapsäcker ihre gelben Blütenstreifen, die Hügel standen in ihrem saftigen Buchengrün, und unser Dorf lag im weiß-roten Blütenwald seiner Obstbäume. Das ist so recht die »Hochzeit« des Jahres, wie Pfingsten in den alten Liedern genannt wird, und darum auch so recht die Zeit zum Freien und Heimführen der Bräute.

Es lag eine solche Freude und Wohligkeit über der Erde, daß kein Leid, kein Schmerz aufkommen konnte. Darum trugen wir auch, Isolde und ich, die ernste Feier, welche am Pfingsttage zu Gnadenbrunn in der Klosterkirche stattfand, mit ruhiger Fassung.

Meine gute Schwester Hildegard legte an diesem Tage ihr Klostergelübde ab. Sie tat es mit der heiteren Ruhe, welche sie sich schon lange zu eigen gemacht, und welche selbst die erschütternde Nachricht vom Ausgange Bertholds nicht dauernd gestört hatte.

Fabian zelebrierte das Hochamt. Er war gekommen, um den Freund mit der Jugendgespielin zu trauen, und hatte eine gute Nachricht mitgebracht, die Nachricht, daß seine Ernennung zum Pfarrer in Rothenfluh gewiß sei. Der Herr Dekan war nämlich zu Anfang des Frühjahrs gestorben, und da verstand es sich doch von selbst, daß ich das an dem Freigut haftende Patronatsrecht zugunsten des Freundes geübt und ihn der Kirchenbehörde vorgeschlagen hatte. Bevor er von Frohdorf abreiste, hatte er sein dortiges Priesteramt damit beschlossen, daß er dem Jages und Vefele ihren ersten Buben taufte.

In der festlich geschmückten Klosterkirche ging die schwermütig-feierliche Zeremonie der Weihung Hildegards zur »Braut Christi« vor sich. Das dunkle Lockenhaar meiner Schwester sank unter der Schere, der Nonnenschleier fiel über ihr von Schönheit und Andacht strahlendes Gesicht, und der Ambrosianische Lobgesang wurde angestimmt.

Am zweitfolgenden Morgen darauf war großes Leben in der Rentei von Rothenfluh. Aus diesem Hause sollte ich die Geliebte zur Kirche führen. Hierher hatte ich sie am Tage zuvor von Lindach herabgebracht, nachdem in der Woche zuvor das alte Haus mit dem elterlichen Hausrat, welchen Isolde nach dem Tode meines Vaters mit so schöner Pietät hatte aufkaufen lassen, wieder eingerichtet worden war. Ich sehe die beiden alten treuen Mägde noch, die Theres und die Annem'rei, wie sie in den alvertrauten Räumen herumgingen und mit vor Freude zitternden Händen jedem Hausratsstück seinen alten Platz anwiesen. Ich selber empfand dabei die weihevolle Wirkung der Familientradition, eines Bleibendsten und Heiligsten im Wechsel der irdischen Dinge, das aber in unseren Tagen leider nur allzuhäufig geringgeschätzt und mißachtet wird.

Isolde war meinem Wunsche entgegengekommen, als sie mich gebeten hatte, für die nächste Zeit mit mir unter dem Dache wohnen zu dürfen, wo wir beide so glückliche Kinderjahre verlebten. »Ich meine,« hatte sie gesagt, »das Andenken deiner geliebten Mutter, welches an diesen Räumen haftet, wird mich lehren, ihrem Sohne eine so gute Frau zu sein, wie sie deinem Vater gewesen.« – Ohnehin bedurfte das Schloß verschiedener Reparaturen, und dann setzte ich auch etwas darein, zunächst meinen eigenen Verwalter zu machen und mich sozusagen von diesem erst zum Gutsherrn aufzudienen.

Drüben auf dem Kirchturm läuteten sie schon das erste Zeichen zum Beginn der Hochzeitmesse, als ich in die Familienstube trat, wo mich die geschmückte Braut erwartete.

Sie war in ihrem weißen Atlaskleide schön und anmutig wie eine jener Gestalten, wie sie dem Künstlerauge nur in geweihtesten Momenten vorschweben. Sie trug als einzigen Schmuck das Silberkreuz meiner Mutter, aber ein voller Kranz von Rosen lag auf der wunderbaren Fülle ihres unvergleichlichen Haares.

»O, wie bist du schön, Geliebte!« flüsterte ich ihr zu, trunken von Glück. »Du bist selbst eine Rose unter deinem Kranze von Rosen.«

»Ich bin, von der Sitte abgewichen, Teuerster,« sagte sie leise. »Die Blumen sind von dem Rosenstocke deiner – unserer seligen Mutter. Es schien mir Glück bringend, wenn ich unter diesem Kranze zur Kirche ginge.«

Ein Wagen fuhr am Hause vor.

»Sie sind es!« rief ich aus und eilte hinab, die liebsten Gäste zu empfangen: Bürger und Julie.

Als die Freundinnen sich umarmt hatten, nahm Julie die Braut bei der Hand, führte sie vor ihren Gatten und sagte:

»Aber ich bitte dich, lieber Bürger, Hast du je etwas so Schönes und Holdes gesehen?«

»Rechne, nein, Julchen. Aber weißt du, was wahr ist, muß man sagen: nach Fräulein Isolde kommt sogleich, ja, recht sogleich meine Frau – 's ist kla–ar.«

»Ist er nicht galant, der Brummbär von ehemals?« fragte mich Julie und lachte voll Glück ihrem Manne zu.

Isolde, ihr Erröten zu verheimlichen, führte mir die Freundin zu und sagte ihr:

»Schmeichlerin, bezahle lieber deine Schulden.« ...

»Recht so, holdselige Braut,« sagte Bürger. »Klare Rechnung muß sein.«

»O, Ihr braucht mich gar nicht zu nötigen,« versetzte Julie heiter. »Ich bin eine ehrliche und zahlungsfähige Schuldnerin.«

Damit küßte sie mich herzlich, zog mich dann beiseite und sagte mir:

»Wie ich Sie kenne, teurer Freund, wird es Ihr heutiges Glück erhöhen, wenn ich Ihnen sage, daß auch ich glücklich sei. Und ich bin es! Bürger ist der liebenswürdigste und beste Mensch von der Welt. Ich hätte nie geglaubt, daß im Kreise stillumfriedeter Häuslichkeit so viel Zufriedenheit und reines Behagen gedeihen könne, wie ich jetzt genieße. – Gritli läßt Sie tausendmal grüßen. Sie können nicht glauben, wie das Kind an mir hängt und wieviel Freude es meinem Manne und mir macht. Wenn Sie,« setzte die Sprecherin mit dem Erröten fraulicher Verschämtheit, aber auch mit dem Lächeln fraulichen Glücks hinzu, »wenn Sie und Isolde im Herbst zum Patenbesuche zu uns kommen, werden Sie sehen, wie groß und schön meine Schwester inzwischen geworden ist.«

Die Glocken riefen uns zur Kirche, und mit Worten innigster Teilnahme und Freude weihte Fabian meinen Bund mit der Geliebten.

Das Festmahl war im großen Saale des Schlosses bereitet worden. Eine Deputation der Gemeinde brachte uns die Glückwünsche derselben. Bürger sprach, sprudelndem Humor warme Herzensworte zugesellend, den Toast auf das Brautpaar. Drunten im Parke waren lange Tische aufgeschlagen, damit die Insassen des Gutes und die Gemeindegenossen auch ihren Teil am Feste hätten, und gegen Abend spielte eine Musikbande der Dorfjugend zum Tanze auf.

Als dort die Fröhlichkeit recht im Gange war, wurde es im Schloß und Part schon stiller. Die Gäste verloren sich, und Bürger und Julie hatten sich schon früher heimlich zu ihrem Wagen gestohlen. Sie wollten uns unserem Glücke und uns selbst überlassen. Nun wandelte ich mit Isolde Hand in Hand durch den Park dem Wasserfall zu. Dort stiegen wir hinab und gingen am Bache das Wiesental hinauf zur Breunighalde. Es zog uns zu der Stelle, wo unsere Herzen ihr Erwachen zuerst erraten hatten. Auf dem Rückwege besuchten wir den Friedhof, und dort bei den Blumen, welche die treue Hand der Geliebten auf den Gräbern unserer Eltern gepflegt hatte, wiederholten wir die feierlichen Gelübde, welche wir morgens am Altar ausgetauscht hatten.

»O,« sagte Isolde, »wie würden, die hier schlummern, sich freuen, teurer Mann, wenn sie sähen, daß wenigstens zwei ihrer Kinder glücklich geworden sind! Und warum nicht annehmen, daß sie es sehen und uns segnen? Ist es doch ein guter und tröstlicher Glaube, daß die innigsten Bande, welche die Menschen verknüpfen, niemals sich lösen.«

Der Schimmer des Abendrotes verglomm allmählich an den heimatlichen Bergkuppen, als wir zu dem elterlichen Hause zurückkehrten, welches jetzt auch das unsere war.

Drinnen schmückten die Theres und die Annem'rei die Türpfosten der Brautkammer mit Blumengewinden.

Aber wir gingen hinaus in den Garten unter den alten Apfelbaum und saßen dort bis lange in die schöne Frühlingsnacht hinein. Da, an dem Lieblingsruheplatze der Eltern, hielt jetzt der Sohn sein Glück in den Armen. Der alte Freund meiner Jugend, der Apfelbaum, regte im lauen Nachthauch leise die Zweige, und als wollt' auch er seinen Gruß und Glückwunsch sagen, überrieselte er uns mit Blütenflocken. Über ihm, in der klaren riesigen Himmelsglocke funkelten glückverheißende Sterne.

Und stiller und immer stiller ward es um uns her. Drunten im Dorfe unter der Linde verstummte die Musik. Drüben im Parke riefen und lockten sich die Nachtigallen, zuletzt nur noch halbleise, wie traumselig – dann schwiegen auch sie. So erstarb Ton um Ton in der Nähe und Ferne – ich hörte den süßen Atem der Geliebten gehen, die ihr Haupt an meine Brust gelehnt hatte, und zuletzt wachte weit in der Runde hier unten nur noch ein glückliches Paar und droben der Gestirne melodischer Wandel.

Ende.


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