Johannes Scherr
Michel
Johannes Scherr

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Zweites Kapitel,

welches nicht sehr lang, aber ziemlich geräuschvoll ist.

Ich darf sagen, daß ich schon auf der Reise zur hohen Schule manches lernte. Unter anderem die ländliche Ansicht aufgeben, daß die Wirte etwas anderes seien als die Diener ihrer Gäste. Am ersten Tage unserer viertägigen, keineswegs in forcierten Märschen zurückgelegten Wanderung hatte ich – von dem Fabian gar nicht zu sprechen – bei unserer Einkehr Wirte und Wirtinnen, ja sogar Kellner und Kellnerinnen mit der ganzen Bescheidenheit eines Grünlings behandelt, welcher froh ist, sein gutes Geld gegen schlechtes Essen und Trinken austauschen zu dürfen. Von Station zu Station wurde ich aber anspruchsvoller, weil ich bemerkt hatte oder bemerkt zu haben glaubte, daß die Menschen für Geld den größten Demütigungen mit Freuden sich unterziehen, und nach Art der Jugend diese Vorstellung ins Maßlose übertrieb. Der gute Fabian sah verwundert drein, wenn ich so herrenmäßig unsere Bedürfnisse bestellte und mit herablassender Höflichkeit die kritischen Bemerkungen dieses oder jenes Gastgebers über das Wetter oder über mutmaßliche Quantität und Qualität der bevorstehenden Weinlese anhörte.

Am vierten Nachmittag kam uns zeitig der gewaltige, zu einem Observatorium umgeschaffene Turm des alten Pfalzgrafenschlosses zu Gesichte, welches die Universitätsstadt überragt. Nun taten wir erst recht gemächlich. Waren es doch die letzten Stunden unseres ungestörten Beisammenseins. Noch vor Einbruch der Nacht sollte ja der Fabian durch die Mauern des theologischen Stiftes von mir getrennt sein, dessen Pforte für ihn zwar täglich, aber doch nur zu genau und knapp abgemessenen Stunden sich öffnen würde.

Eine jener Anstalten, genannt Sommerkneipen, wie sie in der Nähe von Universitätsstädten häufig anzutreffen sind, stand am Wege, ein Waldhorn im Schilde führend. Diese Gelegenheit zum »Vespern« schien uns günstig, und bald saßen wir in der gemütlichen Stube mit ihrem gebräunten Getäfel hinter einem massiven Tisch, auf dessen geglätteter Schieferplatte gewiß schon mancher edle »Tarok«, mancher fidele »Bierramms« mit seinen zweiundsiebzig Regeln gespielt worden war. Es roch sozusagen ganz akademisch in dieser Stube, und die hübsche Wirtstochter im faltenreichen schwarzen, nur etwas weniges über die Knie hinabreichenden Rock, im roten Mieder, in roten Strümpfen mit blauen Zwickeln, auf dem Kopf das fezartige »Schäpple«, unter welchem die flachsblonden, mit roten Bändern durchflochtenen Zöpfe hervor und weit den Rücken hinabhingen, an den Füßen die »Stöckleschuhe« mit zollhohen Absätzen – also so eine Wirtstochter hatte uns mit dem Nötigen versorgt und erzählte uns mitteilsam, daß die »Herren« – Herren par excellence heißen nämlich in jener Universitätsstadt und ihrer Umgebung die Studenten – Sommers und Winters gar häufig hierher ins Waldhörnle kämen, insbesondere als Teilnehmer an den ländlichen Tanzbelustigungen, welche, wie wir später erfuhren, in dem akademischen Wörterbuch den nicht weniger mysteriösen als wohlklingenden Namen »Kuhschweife« führen.

Waldhörnlewirts Sefele war, wie aus den Mitteilungen des Mädchens hervorging, im »Komment« ziemlich gut beschlagen, und wir hörten ihr mit Vergnügen zu, als ein neuer Gast eintrat, der freilich hier kein neuer sein mochte, denn das Sefele begrüßte ihn mit dem Titel »Herr Kandidat« offenbar als einen alten Bekannten.

Es war eine kurze, untersetzte Figur von respektabler Korpulenz. Sein Anzug allerdings war etwas weniger respektabel, denn die verschossene Nankinghose paßte nicht ganz zu der Jahreszeit, und der schwarze Sammetrock erinnerte, besonders was den Kragen und die Ellbogen betraf, auffallend an die Vergänglichkeit der schwarzen Sammetröcke. Halsbinden betrachtete der Herr Kandidat augenscheinlich als entbehrlichen Luxus, und sein Seidenhut war errötet vor Scham über seine verbogene und zerknitterte Form. Als sein Besitzer denselben abnahm, kam eine Stirne zum Vorschein, die, weil in eine Glatze auslaufend, von majestätischem Umfange war. Darunter hing in dem breiten roten Gesicht eine lächerlich kleine Stülpnase, während das stattliche Doppelkinn von einem nicht sehr kultivierten Bart eingerahmt wurde. Die kleinen, dunklen, rastlosen, in ihrem schmutzig-rötlichen Weiß schwimmenden Augen sperberten rasch im Zimmer umher, und sicherlich hatten sie mit einem Blick unsere Grünlingsschaft herausgefunden.

»Blume aller Wirtstöchterlein, soweit man kocht,« wandte er sich an Sefele, »wollen Sie mir gefälligst ... doch ich sehe, da ist Gesellschaft, gute Gesellschaft, natürlich, und muntere, fidele hoff' ich ... Ja, wie heißt es nur gleich im Faust? Richtig:

Ich muß dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen.
Damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt ...

Großer Dichter, der Goethe, pyramidalischer, wissen Sie? Schiller zwar auch groß, obeliskisch, aber zu idealisch, ein klein wenig zu idealisch ... Liebe das Reale, wissen Sie? ... Ach, die Herren trinken Roten? Edles Getränk! Wie sagt Novalis?

Auf grünen Bergen ward geboren
Der Gott, der uns den Himmel bringt ...

Ja, wie gesagt, ein edles Getränk, mein Lieblingsstoff, wissen Sie? Mit Erlaubnis meine Herren ... Bin ein geselliger Mensch ... Gaudeamus igitur ... Sefele, Jungfer Josefa, Fräulein Josefine, ein Glas, wenn's Ihnen gefällig ist ... Meine Herren, mit wem habe ich die Ehre? Ah, sehe es, neuankommende Kommilitonen ... Füchse ... Spucken noch soviel aus beim Rauchen, kenne das ... wird sich wohl verlieren mit der Zeit ... Schöne Gegend, die Füchsegegend, wissen Sie? Die Zukunft rosenrot angestrichen, dick rosenrot, wissen Sie? Und die Gegenwart, ha! Wie singt ein neuester grandioser Dichter?

Blaue Ringelwolken dringen
Aus dem tiefen Pfeifenkopfe,
Und die blanken Schläger klingen
Mit erdonnerndem Geklopfe.

Sporen klirren, Peitschen knallen,
Trinke nach, ich trinke vor!
Arndts und Körners Lieder schallen
In der Burschen vollem Chor.

In der Hand den Ziegenhainer
Und die Mappe, ha, verdammt!
Stolz am Kinn den Wallensteiner,
Auf dem Haupt den schwarzen Samt ...

Zwar noch nicht vorhanden, der Wallensteiner, wird aber schon kommen. Geduld überwindet Sauerkraut, wissen Sie? ... Ja, wie ich bereits zu bemerken die Ehre hatte, schöne Gegend, die Füchsegegend ... Region der blanken, blöden Jugendeselei, wie der gottvolle Heine sagt, wissen Sie? Pagina so und so im Buche der Lieder ... kennen es, ohne Zweifel ... wer sollt' es nicht kennen? Süperber Kerl, der Heine ... fleischgewordener Witz ... der alte Jean Paul, Baireuther Konfusionsrat, ein Stiefelwichser gegen ihn, wissen Sie ... Im übrigen keine Beleidigung, meine Herren ... weit entfernt ... war selber mal Fuchs ... olim meminisse juvabit ... Eigentlich schöne Sorte von Leuten, die Füchse ... Von jeher berühmte Kerle darunter ... Reineke Fuchs, wissen Sie? ›Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen‹ – et cetera ... Sefele, Herzensschätzle, eine neue Flasche! ... Beiläufig ... mit Mephisto zu sprechen:

Erklärt euch, eh' ihr weiter geht.
Was wählt ihr für 'ne Fakultät?

Doch bei Licht betrachtet, dafür ist noch morgen Zeit, wie's im alten guten Burschenlied heißt, wissen Sie? ... Kapitalstoff der Rote! Ihre Gesundheit, meine verehrlichen Herren ... Echt vaterländisches Gewächs! Bin für das Vaterländische, wissen Sie? Versteht sich am Rand. Sehe ich meinen roten Freund da, singe ich mit Altmeister Goethe:

Warum immer weiter schweifen?
Und das Gute liegt so nah!
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.

Ja, es ist da, und ich ergreife es, und feierlich bringe ich es ihnen zu und erbitte mir ein deutschbiedermännisches Bescheidtun. Pro patria, meine hochverehrten Herren, und Füchse, pro patria! ... Wie schön und wahr singt der Tyrtäos der Gegenwart:

Wo solch ein Feuer noch gedeiht
Und solch ein Wein noch Flammen speit,
Da lassen wir in Ewigkeit
Uns nimmermehr vertreiben.

Allerdings erfordert andererseits die deutsche Vielseitigkeit, ja, es erfordert der christlich-germanische Kosmopolitismus, daß ein wissenschaftlich gebildeter Mann auch dem Auslande Gerechtigkeit widerfahren lasse. Zwar ist's ein wenig trivial, aber doch ungeheuer tiefsinnig, wenn unser pyramidalischer Dichterkönig meint:

Ein echter deutscher Mann kann keinen Franzmann leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern ...

Ergo ... ich hoffe, Sie werden mir die Ehre erweisen, später bei Gelegenheit mit mir ein Fläschchen Champagner zu leeren, zu Ehren Goethes, zur Ehre des deutschen Charakters, wissen Sie? ... Man schläft darauf so patent, wissen Sie? ... Ein probater Schlaftrunk, der Champagner, beim Jupiter! Die Kohlensäure fährt einem mit leichter Hand über die heiße Stirn und dämpft alle die Weltumsturzgedanken und Menschenrassezuchtverbesserungsideen, die einem im Schädel rumoren, wissen Sie? ... Bin nämlich ein Zerrissener – wer ist's nicht? ein total Zerrissener, der schlafen gehen möchte, mit Hamlet fragend;

Ob's edler im Gemüt, die Pfeil' und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder
Sich waffnend gegen eine See von Plagen
Durch Widerstand sie enden?

Jedennoch, ich bemerke, daß dieses Kapitel zu melancholisch ist für junge strebsame Gemüter ... Nichts mehr davon ... bin gewohnt, meinen Schmerz, meinen Weltschmerz allein und stumm zu tragen ... Sefele, Goldkäfer, die Flasche ist leer ... O, meine lieben Herren, hüten Sie sich vor der Melancholie! Sie vertrocknet einem die Leber, daß man sich vor Durst, vor ewigem Durst gleich in das Meer der Ewigkeit stürzen mochte, wenn das Meer aus solchem Roten da bestände. Ja und Amen. ›Ihr dumpfen Sorgen weicht von mir!‹ Lassen Sie uns mit dem alten Horaz sprechen:

Nunc vino pellite curas;
Oras ingens iterabimus aequor.
«

Verscheuchet jetzt mit Wein die Sorgen!
Morgen besegeln wir wieder das Weltmeer.

Wo nahm nur der Mensch die Lunge her? Mir schwindelte, während ich an diesem alles mit sich fortwirbelnden Redestrom stand, oder vielmehr saß, und der gute Fabian starrte mit mundaufsperrender Verwunderung dem Sprecher ins Gesicht.

Aber der Herr Kandidat war nicht nur ein Mann des Wortes, sondern auch sehr ein Mann der Tat. Während seine Zunge eine fabelhafte Volubilität entwickelte, waren seine Schluckmuskeln in so ziemlich entsprechendem Maße tätig. Mit wunderbarer Geschwindigkeit blies er ein ums andere Mal sein Glas, welches er ohne überflüssiges Zeremoniell aus unserer, das heißt aus Fabians und meiner Flasche füllte, nur so aus. Ich hatte mein Leben lang so etwas nicht gesehen, nicht einmal gehört, denn Rabelais' Buch vom Gargantua war mir damals noch nicht bekannt.

Heutzutage gibt es gar keine Originale mehr, oder sie werden wenigstens seltener und immer seltener. Sie können in unserer uniformierten Gesellschaft nicht mehr gedeihen. Wo eins auftauchen will, legt sich die Plattdrucksmaschine der Konvenienz so rücksichtslos bleiern darauf, daß es ängstlich wieder unterduckt. Noch mehr, das grauenhaft mechanische Treiben der Gegenwart tötet nicht nur die Originale selbst, sondern auch den Glauben an die Möglichkeit derselben. So ein Original, wie ich es vorhin dem geneigten Leser vorgestellt habe, kommt daher der jüngeren Generation schon ganz antediluvianisch-märchenhaft vor. Zu meiner Zeit, das heißt als ich jung war, ist aber die Welt noch nicht uniformiert gewesen, und die erwähnte Plattdrucksmaschine hatte noch keine so gräßlichen Verwüstungen angerichtet. Damals hatte unser Herrgott noch gar vielerlei und mitunter sehr absonderliche Kostgänger, und namentlich gab es auf den deutschen Universitäten kostbare Inventarstücke, welche von einer Studentengeneration auf die andere übergingen.

So eins war der Herr Kandidat, der uns im Verlaufe meiner Geschichte noch öfter begegnen wird, in allerlei Verwandlungen.

Eine Weile imponierte mir – was imponiert einem »Fuchs« nicht? – sein Gallimathias. Es lief durch denselben eine Ader von Humor, für welchen ich immer Sinn und Vorliebe gehabt habe. Man konnte doch so einem Gesicht voll gutmütiger Schelmerei, voll unverwüstlicher Laune unmöglich gram sein. Des Mannes Geschwätz war so ergötzlich, daß es – nachdem erst ein paar Gläser von dem Roten dem schüchternen Fuchse Mut gemacht – mich reizte, daran teilzunehmen. Es verdroß mich allmählich, daß der Herr Kandidat uns doch für allzugrün, für gar zu ungeheuer grün ansah, und ich wollte ihm das zu verstehen geben.

Das Sefele, welches längst Gelegenheit gehabt haben mochte, über die Zahlungsfähigkeit des Kandidaten sich eigene Ansichten zu bilden, wollte den Wink desselben, eine vierte Flasche zu bringen, nicht verstehen und sah den Fabian und mich fragend an. Der Fabian aber hatte nur für den Kandidaten Augen, und was mich betrifft, ich zögerte, weil mich die unendlich wehmütige Miene, womit der Kandidat von der leeren Flasche auf das Sefele und vom Sefele auf die leere Flasche blickte, höchlich ergötzte.

»Kann ich die Ehre haben,« sagte ich, »zu erfahren, mit wem ich zu trinken das Vergnügen habe?«

»Freilich, freilich, gehorsamer Diener ... Kandidat Rumpel, den Herren zu dienen ... Cyrillus Chrysostomus Theophilus Rumpel.«

»Da haben Sie einen Namen, der viel Lärm in der Welt macht.«

»Hahaha ... nicht übel ... ganz erträglicher Witz! ... Aber meinen Sie nicht, es müsse eine schreckliche Situation gewesen sein, als es damals zu Kana in Galiläa hieß: »O Herr, sie haben keinen Wein mehr!«

»Doch; aber darf ich fragen, zu welcher Fakultät Sie gehören, Herr Kandidat Rumpel?«

»Fakultät! Überwundener Standpunkt ... gänzlich überwunden ... Rokoko, wissen Sie! Könnte zwar mit dem seligen Faust sagen:

Habe, ach, Philosophie,
Juristerei und Medizin
Und, leider, auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn ...

Tu' es aber nicht ... ich bin ein Verallgemeinerer in der Wissenschaft wie im Leben, wissen Sie? ... Jedennoch, ganz beiläufig, die Physiker mögen sagen, was sie wollen, es gibt leere Räume ... gibt es nicht? Sehen Sie sich doch einmal die brutale Tatsache dieser leeren Flasche an ... ha!«

Ich gab dem Sefele einen bejahenden Wink, und die Äuglein des Kandidaten glänzten auf.

»Sie lesen wohl an der Universität, Herr Kandidat Rumpel?« fragte ich.

»Lesen?« gab er zur Antwort, ein neues Glas schlürfend und den Wein mit vielem Behagen mit der Zunge zerdrückend. »Nun ja, zu meinem Privatvergnügen, aber nur dann und wann; denn was hätte ich noch nicht gelesen?«

»Ich meine Kollegien.«

Er blies die Backen auf und deklamierte pathetisch:

»Sprich mir von allen Schrecken des Gewissens,
Doch von Kollegien sprich mir nicht!

Erinnert mich nämlich das an die trübseligste Periode meines Lebens, an die, allwo ich die Ratte hatte, als Kollegienleser, vulgo Privatdozent, an unserer alten alma mater mich aufzutun, vulgo zu habilitieren, wissen Sie? Brauche mich dieser jugendlich törichten Schwärmerei nicht zu schämen, denn –

Es irrt der Mensch, solang er strebt ...

und schon diverse Jahrhunderte vor Schiller war es erwiesen, daß

Es gibt im Menschenleben Augenblicke,
Wo man bedeutend dümmer ist als sonst.

Aber die Götter hatten ein Einsehen. Akademischer Brotneid ... gelehrte Kabalen ... Kathederhaarbeutel ... Professorenzopf ... wissen Sie? Wollen kein eminentes Talent, kein jugendlich feuriges Genie neben sich aufkommen lassen, die alten Perückenständer ... wissen wohl auch warum ... hm!«

»Sie wurden nicht zugelassen?«

»Zugelassen? Ganz recht, wurde nicht zugelassen zu der akademischen Brotkrippe und ließ mir das damals dummerweise sehr zu Herzen gehen. War aber kurz resolviert. Sprach mit dem großen Scipio: Ingrata patria! wurde rasend europamüde, schnürte mein Bündel, was nicht viel Zeit wegnahm, und ging über den großen Bach, denn – so sang ich mit Platen –

Denn nach Westen zieht die Weltgeschichte.«

»Wie, Sie waren in Amerika?«

»War ... Sie können Gift darauf nehmen! Was ist's auch Verwunderliches? In zwanzig Jahren wird niemand mehr auf den Namen eines anständigen Menschen Anspruch machen können, wer nicht wenigstens in allen fünf Erdteilen gewesen ist, wissen Sie? Der Fortschritt ist in unserer Zeit ein so rabiater, daß ich, Cyrillus Chrysostomus Theophilus Rumpel noch den Tag zu erleben hoffe, wo ein regelmäßiger Postkurs durch Sonne, Mond und Sterne eröffnet wird.«

»Bleiben wir einstweilen noch auf der Erde. Also Sie waren in Amerika?«

»Und ob!«

»Da haben Sie wohl manches Abenteuer erlebt?«

»Pyramidalisches! ... Trug meinen Weltschmerz, meinen Byronismus, meine Europamüdigkeit tief in die Savannen hinein, in die Urwälder, in den allerwestlichsten Westen ... wissen Sie? War ein Backwoodsman jeder Zoll, ein Trapper comme il faut, ging auf die Büffeljagd, saß am Ratsfeuer der Rothäute, zimmerte mir mit dem Tomahawk eine Blockhütte in des Urwalds schattigstem Schatten ... wissen Sie? O, jene Zeit, wo ich bei Tage mit der Natur auf du und du stand und während der Nächte im ungeheuersten Gefühl der Einsamkeit mit jenem ausgewanderten Dichter, der etwas abseits von mir Hinterwäldlerei trieb, ausrief:

Allein, allein! – Und so will ich genesen?
Allein, allein! – Und dies der Wildnis Segen?
Allein, allein! – O Gott, ein einzig Wesen,
Um dieses Haupt an seine Brust zu legen!«

»Zu jener Zeit,« fragte ich mit der Witzelei eines frisch aus der Provinz kommenden Fuchses, welcher zeigen will, daß dahinten auch Leute wohnen, denen die Belletristik kein böhmisches Dorf sei, »zu jener Zeit haben Sie wohl auch mit Coopers letztem Mohikaner und dessen Freund Lederstrumpf Bekanntschaft gemacht?«

»Nein, hatte nicht die Ehre,« entgegnete der Kandidat, mir humoristisch zublinzelnd, als er bemerkte, daß die Augen des schüchternen und vertrauensvollen Fabian vor Verwunderung immer größer wurden, »nein, hatte wirklich nicht die Ehre. Hielten sich nämlich die von Ihnen erwähnten distinguierten Personen gerade in einer andern Gegend auf ... Ist dieses Amerika so fabelhaft groß, wissen Sie? Hatte übrigens Berührungen mit den Eingebornen genug, angenehme und unangenehme. War da ein Kerl, namens Puk-kau-kik-kak, was zu deutsch bedeutet: die vier Fuchsschwänze – führen wunderliche Namen, diese Rothäute, wissen Sie? Nun ja, besagter Puk-kau-kik-kak, großer Krieger, berühmter Häuptling –«

»Skalpierte Sie?«

»Das nicht, nein,« erwiderte der Kandidat, mit der Hand über seine Glatze fahrend. »Das Vakuum hier rührt nicht vom Skalpiermesser, sondern davon her, daß ich zufällig über meine Haare hinausgewachsen bin. Es war so ein Nachschluß meines Organismus, dem aber nicht mehr alle Teile des letzteren folgen konnten ... unter anderem blieben auch die Haare zurück, wissen Sie? ... Jedennoch, um auf die vier Fuchsschwänze zurückzukommen ... Der Sachem hatte eine allerliebste Tochter, Gli-gla-glo-glu-glauk benamset, was im Deutschen die immergrüne Fichtennadel bedeutet ...«

»Aha, die stach Sie ins Herz?«

»Und wie! O, meine hochzuverehrenden Herren und Freunde, hüten Sie sich vor der Liebe! Was sagt jener berühmte Autor? ... Liebe ist der schmerzlichste Wahnsinn, weil er sich empfindet ... Was sagt ein anderer dito berühmter? ... Liebe ist die größte Narrheit, weil der verliebte Mensch mehr an eine andere als an seine eigene Person denkt ... Ach und weh ...

Infandum, regina, jubes renovare dolorem

In was für Schwulitäten hat mein allzu zärtliches Herz mich gebracht, als es sich an der immergrünen Fichtennadel gespießt hatte! Waren da bei dem Stamme sechs junge Krieger –«

»In Steifleinen.«

»Ah, Sie zitieren Shakespeare? Respekt! Großglockner, Finsteraarhorn, Monterosa, Montblanc, Ararat, Chimborasso, Dhawalagiri unter den Dichtern ... wissen Sie? ... Sir John Falstaff ... inkarnierter Welthumor ... hm! Und da wir gerade bei Sir John sind ... ... Sefele noch eine Flasche Sekt! Junge Leute müssen auch leben – wissen Sie? ... Ja, was wollt' ich sagen? Richtig, besagte neun junge Krieger –«

»In Steifleinen –«

»Nein, entschuldigen Sie, in Büffelfellen. Es ist eine lange und schauerliche Geschichte ... Rothäutige Eifersucht ... barbarische Rachelust ... Bleichgesichtsflucht durch die Prärie ... Pfadfinderei ... Umzingelung ... Waldbrand ... endlich Gefangennehmung durch mehr besagte elf –«

»Junge Krieger in Steifleinen oder Büffelfellen –«

»Richtig, war schon an den Pfahl gebunden, um regelrecht gemartert und dann in der Form von indianischen Beefsteaks verschmaust zu werden ... Kannibalismus, wissen Sie?«

»Entsetzlich!«

»Sehr! ... Rettete mich aber ein Genieblitz, wissen Sie? Bewies den Barbaren, daß es gegen alle Grundsätze der Nationalökonomie verstieße, einen so mageren Menschen, wie ich vor Kummer, Sorgen und Ängsten damals einer war, zu verspeisen. Sollten mich doch wenigstens erst volkswirtschaftlich herausfüttern. Genieblitz schlug ein in die waldursprünglichen Schädel ... Qualmoment ging vorüber ... rationelle Herausfütterung begann ... fand aber nicht für gut, das Ende abzuwarten ... ließ mir durch meine Atala, die immergrüne Fichtennadel, bei gelegener Zeit davonhelfen. Glorioses Geschöpf! Meine Herren, auf das Wohl der allerliebsten, unvergeßlichen Gli-gla-glo-glu-glauk!«

»Solche Erfahrungen machten Sie wohl zum Amerikamüden, Herr Kandidat?«

»Ja, und wie! Ist am Ende mit der alten Jungfer Europa doch noch immer am besten auszukommen, wissen Sie? Kehrte heim, amerika-, asien-, afrika- und australienmüde, und duckte mich wieder unter die mütterlichen Flügel unserer alten alma mater, von welcher ich mit dem alten Horaz sage:

Ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet.«

»Sie machten noch einen Versuch, die Leiter zum Katheder zu erklimmen?«

»Gott bewahre! ›Die Ideale sind zerronnen‹, singt Schiller und ›Bescheidenheit, das schönste Kleid‹, sagt Christoph Schmid. Als angehender Philosoph war ich ausgezogen, als angegangener kam ich zurück, fest entschlossen, fürder im Lande zu bleiben und mich redlich zu nähren. Tat so und tue so, wissen Sie? indem ich auf den Korpskneipen Privatissima über den ›höheren Blödsinn‹ lese und für dumme Jungen – wissen Sie? welche bei ihrem Abgange von der Universität ein Dr. vor ihren Namen haben wollen, ungeheuer gelehrte Dissertationen schreibe. Will mich auch ihnen zum voraus bestens empfohlen haben.«

»Sehr verbunden,« sagte ich lachend und bemerkte dann, die Andeutung des Kandidaten, daß eine sechste Flasche das Halbdutzend gerade voll machen würde, überhörend, es sei jetzt Zeit, aufzubrechen, wenn wir unsern Bestimmungsort noch vor Einbruch der Nacht erreichen wollten.

»Gut,« sagte Herr Cyrillus Chrysostomus Theophilus Rumpel, »in diesem Falle wollen wir uns gegenseitig mit unserer Begleitung beehren ... Sefele, Goldkind, Hab' acht auf den Roten! Setz' ihn bei Leibe nicht jedem Kamel vor, sondern nur Leuten von Distinktion, wie unsereinem. Hasse es, wenn so ein Stoff durch bildungslose Kehlen rollt ... ist 'ne Sünde, wissen Sie? ... Im übrigen, meine Herren, haben Sie sich Glück zu wünschen, daß Sie in meiner Gesellschaft die Schwelle unserer alma mater beschreiten werden. Neuankommende Füchse werden gern gehänselt. Wenn man Sie aber im Geleit eines der öffentlichen Charaktere unserer Universität ankommen sieht, wird man Sie gehörig respektieren – wissen Sie?«


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