Johannes Scherr
Michel
Johannes Scherr

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Sechstes Kapitel.

Ertrunken! – »Verflucht sei die Donau!« – In der Kirche. – Ein Abschied, eine Beichte und eine Absolution, – »Da nimm sie!« – Ein Geisterspuk. – Ende gut, alles gut.

Am folgenden Morgen war ich früher auf als am vorhergehenden.

Neugierig, zu erfahren, wie das Land nach dem nächtlichen Gewittersturm aussehe, fuhr ich rasch in die Kleider und schlich mich leise die Treppe hinab und zur Hintertüre hinaus. Durch die Pfarrwiese an den Mühlbach gelangt, verfolgte ich diesen aufwärts und sog mit Entzücken die balsamische Morgenfrische ein.

Noch zögerte die Sonne im Osten heraufzusteigen. Ein kühles Säuseln ging durch die tropfenden Wipfel der Bäume. Nur schüchtern ließ sich da und dort ein Vogel hören. Auf dem Flusse lagerte eine Nebelbank, ein frühzeitiger Vorbote des Herbstes. Die Natur sah so keusch, so unberührt und erwartungsfrisch aus wie ein Mädchen, dem der Busen zu schwellen beginnt und ob dessen Herz die Sonne der Leidenschaft noch nicht aufgegangen ist.

Als ich mich wenige Schritte unterhalb der Mühle vom Bache ab und in die Felder hineinwandte, sah ich den alten Soldaten die Anhöhe herabkommen. Ich rief ihn an, um nach dem Befinden der Müllerin zu fragen, und erhielt den Bescheid, die alte Frau habe vortrefflich geschlafen und befinde sich entschieden in der Wiedergenesung.

»Aber Herr,« fügte der Courage seinem Berichte hinzu, »das war ein Wetter heut' nacht! War in dem Lehnstuhl am Ofen eingeduselt, als mich der Donner aufweckte. Sakristi, sag' Ihnen, der Himmel sah drein wie beim Brande vom Moskau und gedonnert hat's, als lieferten die himmlischen Heerscharen einander eine Schlacht von Bautzen.«

»Ihr seid also bei Bautzen mit dabei gewesen?« fragte ich.

»Das will ich meinen, Herr, und sag' Ihnen, da ging es recht napoleonmäßig zu. Parbleu, was da für eine Masse von Kanonen gegeneinander donnerte!«

»Wenn Ihr nicht des Schlafes bedürftet nach Eurer Krankenwache, so möchte ich wohl etwas Weiteres von jener Affäre hören.«

»Ich des Schlafes bedürfen, Herr? Ein so alter Soldat schläft nicht viel, und dann hab' ich auch sattsam geschlafen, maßen die alte Müllerin über meinen Geschichten schon frühe eingeduselt war. Sie gehen, scheint es, auf die Steinbruck zu, und da geh' ich mit – avec votre permission. Horch, da läutet's zum erstenmal. Bis es zu der Seelenmesse für den Tone selig zusammenläutet, sind wir lange zurück – courage

Demnach verfolgten wir mitsammen unseren Spaziergang durch das Gelände im Rücken des Dorfes und dann hinab gegen den Fluß, welchen wir mittels der steinernen Brücke überschritten. Indem wir am linken Ufer hinaufgingen, unterbrach der Courage seine Schilderungen von Attacken und Bataillen plötzlich mit dem Ausruf: »Sehen Sie doch, Herr, was gibt's denn dort auf dem Luixenhof? Sehen Sie, wie die Leute über den Steg laufen? Sollt' es ein Unglück gegeben haben? Wollen doch mal sehen!«

Wir zogen rascher aus und kamen bald in der Nähe des Steges an, unter welchem der Fluß, von den nächtlichen Regengüssen geschwellt, trübe und hochrauschend daherschoß.

Auf dem Rasenplatz, über welchen vom Steg her der Weg auf die Gebäulichkeiten des Luixenhofes zuführte, umstand eine zahlreiche Gruppe von Landleuten einen Gegenstand, welchen wir noch nicht zu erkennen vermochten.

»Mordieu,« sagte der alte Soldat, »das ist ja gerad' wie heut' vor drei Jahren, als man den Tone selig aus der Donau gezogen hatte.«

Aufgeregt und gespannt traten wir näher und bemerkten jetzt, daß die Mannsleute unter den Versammelten starr vor sich hinschauten, und hörten abgebrochene Rufe des Schreckens von seiten der Weiber, denen ein wildes, geheulartiges Schluchzen antwortete.

»Was gibt es denn?« fragte ich ein junges Mädchen, welches, von der Gruppe weg dem Dorfe zueilend, an uns vorüberrannte.

»Ach, Herr Jeses!« schrie uns die Gefragte rückwärts gewandt zu, ohne stille zu stehen: »Der Luixenbaur ist versoffa!«

Ich stand bestürzt und sah den alten Soldaten an, der ganz bleich geworden war und mir einen unbeschreiblichen Blick zuwarf.

In diesem Augenblick öffnete sich die Gruppe, denn der herbeigeholte Schultheiß war gekommen, und da lag der Ertrunkene auf dem Rasen.

Es war ein schrecklicher Anblick!

Der schwere Todeskampf, welchen der Unglückliche mit dem nassen Element gekämpft hatte, war in deutlichen Zügen auf sein verzerrtes, blauangelaufenes Gesicht geschrieben. Einer seiner großen Stiefel war ihm durch das wilde Wasser vom Fuße gerissen worden; seine Finger, mit denen er wahrscheinlich auf dem Grunde des Flußbettes in grimmiger Agonie nach einem Halt umhergegriffen, waren bis auf die Knochen aufgeschürft und mit Blut bedeckt.

So war er vor etwa einer halben Stunde wenige Schritte unterhalb des Steges, dessen Geländer auf der einen Seite ganz verschwunden war, aufgefunden worden, mit den Füßen in einem von dem angeschwollenen Wasser halbüberfluteten Erlenbusche hängend.

Kaum minder furchtbar als der Anblick des Toten erschien der des Schmerzes seiner Tochter, der Kätter, welche sich neben dem Leichnam niedergeworfen hatte und, ohne auf die Zusprache einiger um sie herstehenden Vettern und Basen zu achten, die Luft mit den ungezügeltsten Wehklagen erfüllte.

Der Schultheiß hatte wider mein Erwarten Takt genug, die halb besinnungslose Tochter durch ihre weiblichen Verwandten von der Leiche weg und ins Haus bringen zu lassen, worauf er an Ort und Stelle ein vorläufiges Verhör mit den Umstehenden über den traurigen Fall veranstaltete.

In diese Fragen und Antworten klangen die Töne der Glocken, welche drüben die Seelenmesse einläuteten, seltsam herein, und der aufgedunsene Leichnam erschien in den ersten Strahlen der Sonne, die inzwischen aufgegangen, nur noch grauenhafter.

Aus den Fragen des Schultheiß und der Beantwortung derselben seitens der Anwesenden ergab sich, kurzgefaßt, dieses Resultat: Die Kätter hatte sich, vielleicht aus Verdruß, weil der Jages, nachdem er ein paarmal mit ihr herumgetanzt, sich nicht weiter um sie bekümmerte, schon um zehn Uhr von der Sichelhänge auf dem Bronnenhof nach Hause begeben. Die Gäste des Bronnenbauern, mit Ausnahme des Luixenbauern, waren mit dem Schultheiß um die elfte Stunde ins Dorf zurückgegangen, gerade bevor das Gewitter losbrach. Der Luixenbauer mußte bis gegen zwölf Uhr, wo das Unwetter am ärgsten raste, mit seinem Nachbar getrunken haben, denn um diese Zeit weckte der letztere einen seiner bereits eingeschlafenen Knechte, damit derselbe den Luixenbauer nach Hause führe. Allein dieser wies mit der groben Halsstarrigkeit, wie sie oft Betrunkenen eigen ist, den Knecht zurück, der sich dann auch nicht lange zurückweisen ließ und ohne Umstände sein Bett wieder aufsuchte, nachdem er den Luixenbauer bis zum Bronnen unter der Linde geführt hatte. Von da ab wußte man nichts mehr von dem Verunglückten, dessen Abwesenheit von Hause erst am Morgen auffiel, weil er seine Leute längst daran gewöhnt hatte, ihn ganze Nächte nicht heimkommen zu sehen. Einer seiner Knechte, der in aller Frühe mit der Sense auf einen Acker an der Donau ging, Klee zu mähen, sah den Ertrunkenen in der beschriebenen Weise im Wasser hängen.

Alle Stimmen vereinigten sich in der Annahme, der Verunglückte müßte inmitten des tobenden Orkans auf dem Stege vom Rausche übermannt worden, mit der Schwere seines ungefügen Körpers gegen das Geländer gefallen sein, dasselbe zerbrochen haben, so ins Wasser gestürzt und ungehört und hilflos ertrunken sein.

Ich eilte, meinen Freund von dem traurigen Vorfall in Kenntnis zu setzen.

Als ich über den Steg ging, mich vorsichtig auf der noch mit einem Geländer versehenen Seite haltend, fühlte ich einen leisen Schlag auf der Schulter und hörte den hinter mir her gehenden Courage flüsternd sagen:

»Gerade in dieser Stunde sind drei Jahre um, seit man meinen armen Vetter aus der Donau gezogen, und jetzt liegt der Luixenbauer tot auf dem Ufer. Ist das nicht kurios, Herr? In der nämlichen Nacht, wo er vor drei Jahren ... hm, Herr, Sie wissen nicht ... 's ist besser, jetzunder von der Sache ganz zu schweigen.«

»Gewiß! De mortuis nil nisi bene

»Weiß nicht, was Sie da sagen, Herr. Aber glauben's mir, ich alter Knasterbart war halt mein Lebtag nie so von der Gerechtigkeit unseres Herrgotts überzeugt wie vorhin, als ich den Luixenbauer tot vor mir liegen sah. Kann nichts dafür, Herr, – courage

Beim Pfarrhause trennte sich der alte Soldat von mir, um nach der Kirche zu gehen, ob er gleich von der Seelenmesse für seinen Verwandten nur noch ein kleines Stück abbekommen konnte, denn schon wurde zur »Wandelung« geläutet.

Die Neuigkeit von dem Tode des Luixenbauern war bereits in den Pfarrhof gelangt, und zwar durch den Brunnenbauer, welcher wenige Augenblicke vor mir angekommen und in Abwesenheit der Frau Margret, welche dem Gottesdienst anwohnte, von der Magd in die Stube gewiesen worden war. Hier traf ich ihn und fuhr bei seinem Anblick betreten zurück.

Denn eine unerklärliche Veränderung war seit gestern abend mit dem Manne vorgegangen. Sein sonst so rotes, aufgeblasenes Gesicht war jetzt schlaff und bleifarben; die blassen Lippen zuckten krankhaft, und die blutunterlaufenen Augen starrten bald regungslos in die leere Luft, bald rollten sie unstet umher, wie um einem peinlichen Anblick auszuweichen. Dem Ausdruck seiner Züge entsprach die Unordnung in seinem Anzuge vollkommen, und die ganze Erscheinung hatte etwas so Unsicheres, Hastiges, Fahriges, daß ich einen recht widrigen Eindruck davon bekam.

In meinen Tritten auf dem Flur die des Pfarrers vermutend, war der Bauer aufgestanden, und als ich die Tür öffnete, stieß er rasch die Worte hervor:

»Kommet Ihr endlich, Herr Pfarr'? Ich hab' g'meint, die Seelenmess' wollt' schier gar kein End' nit nehmen. Hab' Euch was von absonderlicher Wichtigkeit –«

Seinen Irrtum gewahrend, brach er ab und sagte verstört:

»Ah so, Ihr seid's, Herr ... r ... r! Hm, schön Wetter heue.«

»Sehr schönes in der Tat,« entgegnete ich, »viel besseres, als man nach dem furchtbaren Sturm von heute nacht erwarten durfte.«

Der Mann schwieg eine Weile. Dann sagte er mit einem schweren Seufzer, vielleicht dem ersten, welcher seit Jahren seine Brust schwellte: »Ja 's war ein gruseliges Duraweatter, und da ist's halt kein Wunder, wenn der –«

Er verschluckte das Ende des Satzes und trat ans Fenster, an dessen Scheiben er mit den Fingern zu trommeln begann.

»Ich komme gerade von der Donau herein,« fuhr ich fort; »die ist mächtig angeschwollen.«

»Die Donau?« entgegnete der Bauer, sich hastig gegen mich umkehrend. »Verflucht sei sie und verdammt!«

Und wieder brach er ab, um abermals an den Fensterscheiben zu trommeln und Unverständliches vor sich hin zu murmeln.

Ich war recht froh, daß ich die hintere Haustüre gehen hörte und die Schritte Fabians vernahm, verließ auch bei seinem Eintritt sogleich die Stube und hörte, die Türe hinter mir zuklinkend, den Bauer nur noch mit beklemmter Stimme sagen:

»O, Herr Pfarr' –«

Eine wunderliche Unruhe trieb mich aus meinem Zimmer, in welches ich hinaufgegangen, wieder ins Freie. Mechanisch durch die Hintertür auf den Kirchhof hinausgetreten, fiel mir bei, daß Fabian gelegentlich eines merkwürdigen alten Grabmals erwähnt habe, welches sich in der Kirche befände. Ich ging, es anzusehen, und indem ich den Friedhof durchschritt, kam ich an dem Courage vorüber, der mit einem dürftig schwarzgekleideten Mütterchen, in welchem ich die arme Hanne vermutete, betend an einem schon über und über mit Rasen bedeckten Grabe stand. Die übrigen Andächtigen waren schon weggegangen.

In der Kirche stieg ich links vom Portal zur Emporkirche hinauf, wo die Orgel stand, um von dort einen Überblick über das Ganze zu gewinnen, bevor ich die Einzelheiten musterte.

Es ist ein hochgewölbtes und sauber gehaltenes Gotteshaus, die Frohdorfer Kirche, deren Chor mit einem gotischen Spitzbogengeflecht von hohem Alter zeugt, während das Schiff offenbar aus einer weit späteren Zeit herrührt. Die Morgensonne überströmte, durch ein hohes Spitzbogenfenster fallend, den Hochaltar mit einer Lichtflut, während die übrigen Teile des Gebäudes noch in morgendlicher Halbdämmerung lagen.

Ich wollte gerade meinen Standpunkt verlassen und hinab in den Chor steigen, um das daselbst befindliche Grabmal aus dem Mittelalter zu besichtigen, als mein Blick auf eine Art kleiner Seitenkapelle fiel, in welcher ein mit den düsteren Emblemen des Todes, wie sie die Trauerfeierlichkeiten der katholischen Kirche begleiten, verzierter Altar stand. An diesem Altar hatte Fabian vorhin seine Seelenmesse gelesen, und auf der untersten Altarstufe sah ich ein junges Mädchen knien, die Hände gefaltet und den Kopf auf die Brust geneigt.

Es war Vefele, die wohl ihre Andacht verlängert hatte, um vom Himmel Segen für den Schritt zu erflehen, welchen sie zu tun im Begriffe war, Segen für ihr bevorstehendes Fortgehen aus Frohdorf.

Aber die Beterin war nicht allein in der Kirche, denn wenige Schritte hinter ihr lehnte der Jages an einem Stuhl.

Ich nahm wohl mit Grund an, er sei gekommen, seinem Schätzle noch ein liebes Wort zum Abschied zu sagen.

Nachdem die beiden Liebenden lange in ihren Stellungen verharrt hatten, machte Vefele eine Bewegung, als wollte sie aufstehen. Im nächsten Augenblick kniete der Jages neben ihr. Sie rückte, ohne nach ihm umzusehen, zuerst ein wenig von ihm weg, erhob sich dann aber rasch, trat ein paar Schritte vom Altar zurück und verweigerte ihm, als er ihr folgte, ihre Hand, die er zu fassen suchte, nicht. Da er aber, hierdurch kühner gemacht, sich zu ihrem Antlitz herabbog, wandte sie mit einer anmutigen Beugung den Kopf seitwärts und deutete mit der Hand auf den Altar, wie um ihn an die Heiligkeit des Ortes zu erinnern.

Er gehorchte, und nun entspann sich zwischen den beiden ein eifriges Geflüster, wovon ich nichts verstehen konnte, wenn mir auch die Gebärden der Liebenden, welche ich, in dem Orgelwinkel geborgen, recht gut beobachten konnte, den ungefähren Inhalt dieser Flüsterworte verrieten. Zuletzt zog das Mädchen den jungen Mann vor den Altar. Beide knieten vor demselben nieder, und die fromme Regung Vefeles schien sich auch ihrem Geliebten mitgeteilt zu haben; denn beide verharrten, in Andacht versunken, eine gute Weile, und so sehr waren ihre Empfindungen im Gebete aufgegangen, daß sie nicht wahrnahmen, wie mit einmal die Sakristeitüre sich auftat und der Pfarrer mit übergeworfener Stola heraustrat, gefolgt von dem Bronnenbauer, der gesenkten Hauptes einherging.

Da die beiden Männer nicht aus dem Chor herunter ins Schiff der Kirche stiegen, sondern der Sakristeitüre zur Seite in einen Beichtstuhl traten, so konnten sie ihrerseits das kniende Paar nicht bemerken.

Der Pfarrer nahm dem Bauer die Beichte ab.

Es war eine lange und mußte eine schwere sein, denn ich sah, wie die Hände des Bronnenbauern auf dem schmalen Brettchen vor dem Gitter zitterten, welches sein Gesicht von dem des Priesters trennte, und wie seine unten aus dem Beichtstuhl hervorragenden Füße krampfhaft zusammenschlugen.

Endlich hörte ich die klangvolle Stimme Fabians das entlastende: »Ego te absolvo!« sprechen, und einige Augenblicke nachher traten die beiden aus dem Beichtstuhl.

Der Bauer kniete betend auf die Staffel nieder, welche den Chor von dem Schiffe trennte, und der Pfarrer stand unbeweglich hinter ihm.

Die betenden Liebenden waren durch die Stimme des Priesters, als er die Formel der Absolution ausgesprochen, in ihrer Andacht gestört worden. Da aber darauf wieder alles still wurde, verblieben sie in ihrer Stellung.

So wurden sie von dem Pfarrer erschaut, welcher den Bauer, als dieser sich wieder erhoben hatte, einige Schritte weit in das Schiff heruntergeleitete.

Ich sah einen Strahl herzinniger Freude auf dem Antlitz des Freundes aufflammen.

Er stand still, legte die eine Hand dem Bronnenbauer auf die Schulter und streckte die andere mit gebietender Gebärde gegen das Paar aus.

Der Bauer verstand den Wink und ließ sich von dem Pfarrer auf den Altar zuführen.

Die Liebenden waren aufgesprungen. Das Vefele senkte bei dieser Überraschung die Augen in schreckenvoller Scham, der Jages aber stand aufrecht, fast trotzend und herausfordernd da, wie um die Geliebte diesmal selbst gegen den Vater zu verteidigen.

Aber es bedurfte keiner Verteidigung.

»Komm, Vefele!« sagte der Bronnenbauer mit bebender Stimme. »Komm und gib mir d' Hand und laß, ich bitt' dich, alles vergeben und vergessen sein, was ich dir und deiner Mutter und deinem Vater selig hab' z' Leid getan. Sag', willst?«

»O,« entgegnete das Mädchen fast unhörbar, »'s ist schon vergeben und vergessen und – und – ich hab' halt nichts dafür können, daß mir der Jages –«

Sie konnte nicht vollenden, denn Tränen erstickten ihre Stimme.

»Mein Jages,« sagte der Bauer, »der hatte recht und soll recht haben und dich!«

So sprechend faßte er nach der Hand des Sohnes, legte die des Vefele hinein und sagte:

»Da nimm sie und halt' sie in Ehren! Sie g'hört dir, und – und habet einander lieb und bleibet brav euer Lebtag!«

Der Jages drückte mit der Linken sein Mädchen an sich, bot die Rechte dem Vater hin und sein Dankwort: »Gott vergelt's Euch, Vater!« klang fast jauchzend. Ein Strom von Zähren brach aus den Augen des Bauern, indem er sich an die Schulter des Sohnes lehnte.

Fabian aber legte dem glücklichen Paar die Hände auf die Häupter und sprach feierlich:

»Ich verlobe euch im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«

»Amen!« rief ich laut aus, unfähig, meine freudige Bewegung länger zu bemeistern.

Der nächstfolgende Tag verging ohne einen bemerkenswerten Vorfall.

Freitags ward dann der Luixenbauer begraben.

Nach dem von einem pomphaften »Seelenamt« begleiteten Begräbnis tat der Pfarrer, welcher die letzten Tage her sehr still und ernst gewesen, auf einem einsamen Waldspaziergang, nachdem er lange sinnend neben mir hergegangen, plötzlich die Frage:

»Glaubst du an Geisterspuk?«

»Bei uns in Deutschland nicht,« entgegnete ich leichthin. »Die guten Deutschen sind viel zu ruhesüchtig, um sich nach ihrem Tode noch einmal aus ihren Gräbern zu bemühen.«

»So eine Antwort erwartete ich ungefähr; allein nicht alles und jedes ist mit einem guten oder schlechten Witz abgetan. Du weißt, in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch ist der Luixenbauer ertrunken. Er muß seinen Tod gefunden haben, nachdem er gegen die Mitternachtsstunde zu vom Bronnenhofe weggegangen. Was sagst du nun dazu, daß er oder sein Geist oder sein Gespenst, wie du willst, dem Bronnenbauer unmittelbar darauf, zwischen zwölf und ein Uhr in der Nacht erschienen ist?«.

»Ich sage, lieber Fabian, das ist eine kostbare Spukgeschichte, die du ohne Verzug dem guten Geisterseher Kerner nach Weinsberg melden solltest.« »Spotte nur zu! Aber du wirst doch zugeben, daß in der Tat nur ein Wunder die plötzliche und gänzliche Sinnesänderung des Bronnenbauern bewirken konnte?«

»Ein Wunder allerdings war hier nötig, allein dasselbe löst sich bei näherem Zusehen wohl in ein Zusammenwirken psychischer Motive auf. Ich brauche nicht bloß an das zu erinnern, was dir der Courage von jener Nacht erzählte, wo des Vefele Vater umgekommen, und dann habe ich nicht nötig, meine Phantasie allzusehr anzustrengen, um zu erraten, was dir der Bronnenbauer vorgestern im Beichtstuhl anvertraut hat.«

»Du könntest dennoch fehlschießen mit deiner Phantasie und deinen psychologischen Schlußfolgerungen. Aber ich mag mich mit einem solchen Heiden gar nicht über Derartiges herumstreiten. Tatsache ist, daß noch am Dienstag der Bronnenbauer eher auf der Stelle gestorben wäre, als daß er zur Heirat seines Sohnes mit dem blutarmen Vefele seine Einwilligung gegeben hätte, und daß er schon am Mittwoch morgen diese Einwilligung freiwillig gab.«

»Freiwillig? Hm, es gibt Mächte des Gewissens und der Reue, die – doch genug. Mich freut der Ausgang dieser Oberländer Dorfgeschichte viel zu sehr, als daß ich mich aufgelegt fühlte, dich zu irgend einer Verletzung des Beichtgeheimnisses verlocken zu wollen.«

Am darauf folgenden Tage, als am Samstag, war »Heiratstag« auf dem Bronnenhof, wobei durch meines Freundes kluge Vermittelung ausgemacht wurde, daß das junge Paar in der nächsten Zeit auf der Mühle hausen sollte, um der Ahne die Last der Geschäfte abzunehmen. Dadurch war allfälligen künftigen Mißhelligkeiten zwischen der armen Söhnerin und dem reichen Schwiegervater vorgebeugt, wenngleich solche kaum zu befürchten waren, da nicht nur der Hochmut und die Rauheit des Bronnenbauern einen vernichtenden Stoß erhalten hatten, sondern auch seine Lebenskraft überhaupt gebrochen schien.

Sonntags predigte Fabian über die Worte Jesu: »Ich sage euch, eher wird ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als ein Reicher in das Reich Gottes eingeht!« Nachher wurden der Jages und das Vefele von der Kanzel herab »verkündigt«, das heißt als Brautleute aufgeboten.

Am Abend versammelte der Pfarrer den Singverein des Dorfes in seinem Garten, und hier empfing das Brautpaar die Glückwünsche seiner Altersgenossen. Das Vefele in seiner Befangenheit, welche an das plötzliche Glück, an die wundersame Wendung des Geschickes noch immer fast nicht zu glauben wagte, war allerliebst. Der Jages in Liebes- und Siegesfreude erschien noch um einen Kopf größer als sonst. Auch der alte Soldat war da, und später, als es zu dunkeln begann, kamen der Bronnenbauer und seine Bäuerin, die alte Müllerin und die arme Hanne, sowie der Schulmeister und Schultheiß und der Hannsjörgebauer, welche alle der Pfarrer zum Nachtessen gebeten hatte.

Frau Margret deckte mit ihrem getreuen Annele den Tisch in der Geißblattlaube, ob welcher groß und klar die Sterne am Firmamente funkelten. Aber bevor wir uns zum Essen niedersetzten, versammelte Fabian noch einmal seinen Liederkranz um sich, und in die laue stille Sommernacht hinaus klang in langgehaltenen feierlichen Akkorden das Lied:

»Klarer Liebesstern,
Du leuchtest fern und fern
Am blauen Himmelsbogen.
Dich rufen wir heut' alle an,
Wir sind der Liebe zugetan –
Sie hat uns ganz und gar zu sich gezogen.
Still und hehr die Nacht –
Des Himmels Augenpracht
Hat nun den Reihn begangen.
Schweb hoch hinauf wie Glockenklang
Der Liebe sanfter Nachtgesang,
Klopf' an die Himmelspfort' mit brünstigem Verlangen.
Klopf' sanft mit beiden Flügeln an!«
Klopf' sanft, und dir wird aufgetan!«


Am folgenden Tage verließ ich Frohdorf, als Summe meiner Erlebnisse daselbst die Erfahrung mitnehmend, daß im Volke trotz alledem noch heute Lebensmächte tätig und Menschengeschicke bestimmend sind, welche in den sogenannten gebildeten Klassen nur noch eine konventionelle oder auch gar keine Bedeutung mehr haben.


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