Johannes Scherr
Michel
Johannes Scherr

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Fünftes Kapitel,

welches den wißbegierigen Leser belehrt, was eine Oberländer Sichelhänge sei.

Auf dem Kirchturm schlug die »Betglocke« an, als wir abends durch die dämmernden Gassen des Dorfes ins Freie gingen, um auf dem Bronnenhof der ländlichen Lustbarkeit anzuwohnen, welche nach eingeheimster Ernte von den wohlhabenden Oberländer Bauern unter dem Namen Sichelhänge gefeiert wird. Die Sicheln werden aufgehangen, das heißt das Korn ist geschnitten, die Ernte eingetan: daher die Bezeichnung. Früher war, wie ich mich aus Erzählungen meines Vaters erinnerte, in diesem Erntefest viel uralt Heidnisches, und ich selbst erinnere mich, wenigstens in meinen Knabenjahren bei Sichelhängen heidnische Anklänge wahrgenommen zu haben, die ich mir freilich erst später zu deuten wußte. Unsere Bauern sind überhaupt noch heute Heiden, wie ihre Altvordern waren. Der christliche Firnis, womit ihr Heidentum überstrichen wurde, ist ein sehr dünner. Überall schimmert noch der Glaube an die alten Naturgewalten durch. Freilich, die Namen der alten Götter hat das Taufwasser allmählich aus dem Gedächtnis des Volkes gewaschen, nicht aber die alten Götterbegriffe. Die Volksreligion ist noch heute so polytheistisch, wie sie vor zweitausend Jahren gewesen.

Der heiße Tag hatte am Abend mit einem Gewitter gedroht, welches aber nicht zum Ausbruch gekommen war. Im Westen standen die Wolken wie eine eherne stahlblaue Mauer, und die Sonne, hinter derselben niedersteigend, schoß grellgelbe Breschen darein. Dann wurde die Wolkenmasse schwärzer und immer schwärzer, drückte sich langsam und schwerfällig mehr und mehr am Himmel herauf, schob sich hinüber und herüber und wuchtete schwül auf der ganzen Gegend. Feld und Wald standen schweigend und regungslos, als harrte die Welt in ehrfurchtsvoller Stille der majestätischen Ansprache des Donners. Aber er zögerte. Nur dann und wann zuckte ein kurzer Blitz wie ein lässiges Augenzwinkern in den düstern Wolkenbrauen, und noch hatte sich nicht einmal jener unheimlich pfeifende Wind aufgemacht, welchen Blitz und Donner als ihren Herold vor sich herfegen lassen.

Bei dem Bronnenhof angekommen, standen wir eine Weile unter einer mächtigen Linde still, welche ihre knorrigen Äste über einen reichen Brunnen ausstreckte, der armsdick aus einer rohbehauenen hölzernen Röhre hervorsprudelte. Von diesem Quell trug das Gehöft seinen Namen, und Fabian erzählte mir eine Legende, welcher zufolge in der Heidenzeit ein Prediger des Christentums zur Beglaubigung seiner Sendung den Brunnen hatte entspringen lassen.

Der gute Pfarrer setzte eben an, mir über den ironischen Zug, welchen die Wundererzählung auf meine Lippen gerufen hatte, humoristisch den Text zu lesen, als von der großen Scheune des Hofes herüber die Töne einer näselnden Klarinette, einer schwindsüchtigen Geige und eines anarchischen Waldhorns erklangen. Zum Glück ließ das laute Juheien der Burschen, welchen die Musik zum Tanz aufspielte, die Harmonien des besagten Trio nicht zu sehr aufkommen.

Wir traten an das Tor der Scheune, welche den Hofraum linkshin flankierte, während zur Rechten die weitläufigen Stallungen sich erhoben, und bemerkten, daß die Lustbarkeit bereits in vollem Gange war. An jeder der drei Seitenwände der Scheune waren Stallaternen aufgehangen, und in dem ungewiß hin und her flackernden Lichte arbeitete ein Dutzend junger Paare in den raschen Windungen des »Schleifers« und in den noch rascheren des »Drehers« und »Hopsers« bunt durcheinander. Ich sage: sie arbeiteten; denn das rasende, schweißaustreibende Springen und im Kreise Drehen unserer nordischen Tänze kann, besonders mit den graziösen, künstlerisch schönen und bedeutungsvoll symbolischen Nationaltänzen der südlichen Völker Europas verglichen, doch wohl nicht anders bezeichnet werden. Wenn dieses Tanzen schon auf dem Parkettboden eines glänzend erleuchteten großstädtischen Ballsaals so aussieht, daß man versucht sein könnte, einen Verein gegen Tierquälerei dagegen anzurufen, wie muß es dem Auge eines Schönheitsgläubigen erst auf der Tenne einer Scheune bei Stallaternenbeleuchtung vorkommen?

Ich teilte diese Bemerkungen leise meinem Freunde mit, während wir ungesehen im Schatten des nach außen geöffneten Scheunentores standen. Er hörte mich nach seiner Art geduldig an, bemerkte dann aber mit gutmütigem Spott:

»Ei, ja doch, das ist alles recht schön, und ich sehe mit Vergnügen, daß du auch als Geschäftsmann noch Philosophie des Schönen getrieben hast. Aber, lieber Alter, daneben erinnere ich mich noch sehr gut der Zeit, wo dich die Töne einer Musik, wie wir sie hier vor uns haben, zum lautesten Jubel bewegen konnten, wo du nicht müde wurdest, auf den Tanzböden der Dorfschenken zu ›arbeiten‹, und wo du dich glücklich schätztest, so oft du dich die halben Nächte hindurch mit einem hübschen Steinlacher Mädchen im Kreise drehen konntest, obgleich einem diese Tänzerinnen mit ihren höllischen Schuhhacken fast die Zehen wegtraten.«

»Ach ja,« versetzte ich kleinlaut, »das war eine liebe, heitere, sorglose Zeit. Wollte, es wäre noch so!«

»Gelt, jetzt hab' ich dich? Siehst du, nur der Genügsame, der Ursprünglichkeit und Naivität der Natur noch Anhängliche versteht sich so recht zu freuen. Du tanzest nicht mehr, bist wählerisch in der Musik wie im Wein und Tabak, du kennst die rechte Jugendlust nicht mehr, mein Junge. Sieh dir einmal diese vor Freude leuchtenden Blicke der Burschen, diese in Vergnügen flammenden Wangen der Mädchen an und laß das Kritteln und Grämeln sein.«

Eben war ein Tanz zu Ende und wollte einer der Jünglinge den Musikanten, welche im Hintergrund der Scheune auf einem umgestürzten Futtertrog saßen, einen neuen »fürsingen«, als wir, an der Toröffnung vorübergehend, von den jungen Leuten wahrgenommen wurden. Sogleich drängten sich alle auf den Pfarrer zu, um ihm einen guten Abend zu wünschen. Mein Freund erwiderte diese Begrüßungen mit der ihm eigenen Bonhomie, richtete an diesen eine ernste, an jenen eine scherzhafte Frage und schloß, zurücktretend, mit der Mahnung: »Macht euch lustig, Kinder, und ihr Bursche, merkt euch, daß eine Lustbarkeit ganz gut von statten gehen kann ohne eine Prügelei am Schlusse. Verstanden?«

Die Ballherren in Hemdärmeln und Lederhosen lachten und einer, sein Mädle gegen die Musikanten hinziehend, begann sofort ein »Schelmenliedle« fürzusingen:

»'s Fidélebauers Annele,
Des ischt a guater Bissa.
Und hätt' i se,
Wie wett' (wollt') i se
Verdrucka und verküssa.«

Die Musikanten begannen die Melodie sogleich nachzududeln, und der Dreher wirbelte wieder durch die Scheune.

»Der Bronnenbauer,« bemerkte Fabian, mit mir auf das Wohngebäude zugehend, »scheint heute etwas draufgehen lassen zu wollen. Drei Musikanten, das ist wahrer Luxus für eine Sichelhänge. Aber wo steckt denn der Jages?«

»Hier!« entgegnete die Stimme des jungen Mannes, der aus dem nächtlichen Schatten des Baumgartens trat, welcher sich an der Giebelseite des Hauses hinzieht. Und nachdem er den Pfarrer und mich begrüßt hatte, setzte er hinzu: »War draußen in der Mühle, um nach der Ahne zu sehen, mit der es, gottlob! recht ordentlich geht.«

»Hm,« dachte ich, »was doch kranke Großmütter für eine Anziehungskraft für ihre Enkel haben, wenn ihre Wärterinnen Vefele heißen.«

Inzwischen war der junge Bauer näher zu meinem Freunde getreten, welcher schon die Klinke der Haustüre erfaßt hatte, und fragte rasch und leise:

»Ist's wahr, Herr Pfarr', geht 's Vefele morgen zu Ihrer Base nach Dietelhofen?«

»Allerdings, und du wirst, denke ich, nichts dagegen haben wollen.«

»Ei, jawohl, wer weiß? Übrigens liegt Dietelhofen nicht aus der Welt draußen, und Sie brauchen künftig für Ihre Botschaften an Ihre Base kein' Botenlohn mehr auszugeben. Ich weiß einen, der sie Ihnen umsonst besorgt.«

»So, meinst du, Bursch? Wie aber, wenn ich meine Base bäte, einen gewissen trotzköpfigen Burschen, sobald er sich in Dietelhofen blicken ließe, durch ihres Bauern Knechte tüchtig abwamsen zu lassen?«

»O, was das angeht, Herr Pfarr', das macht mir kein' Kummer nit. Erstens kann ich, wenn's sein muß, auch so ein bißle mit dem Raufen umgehen und zweitens fällt es Ihnen gar nit ein, Ihre Base um so was zu bitten.«

Fabian öffnete die Türe, und wir wurden auf dem Flur von der Bronnenbäuerin empfangen, die mit hochrotem, die Glut des Herdes widerstrahlendem Gesicht aus der Küche trat, aus deren Räumen mir ein einladender Duft von allerlei Gebackenem in die Nase stach.

Halte mich nicht für einen krassen Materialisten, lieber Leser, wenn ich dir sage, daß mich dieser Duft wundersam anheimelte. Hättest du, wie ich, im Oberlande deine Kinderschuhe vertreten, würdest du ohne weiteres zugeben, daß in dem Arom frischgebackener »Spätzle« und »Schnitle« und »Weckenknöpfle« und »Sträuble« und »Bauernküchle« die ganze Poesie goldener Jugenderinnerungen liegen kann.

Ja, wahrhaftig, für einen Moment wenigstens war ich wieder ein glücklicher, ein genießender, ein naiver Mensch.

Indem die gute Bronnenbäuerin die Stubentüre vor uns auftat, um uns eintreten zu lassen, hörte ich sie ihrem Sohn hastig zuflüstern:

»Hörst, Jages, tu mir den G'fallen und tanz ein bißle mit der Kätter, die mit ihrem Vater drinnen am Tisch sitzt.«

»Nu', mira!« entgegnete der Sohn, »wenn Euch damit ein G'fallen g'schieht, Mutter. Aber merkt's Euch, Tanzen und Heiraten ist zweierlei.«

Die Gesellschaft, welche wir in der großen, mit vom Alter gebräunten Eichenholz getäfelten Wohnstube des Bronnenhofs versammelt trafen, bestand aus dem Hausherrn, seinem Nachbar, dem Luixenbauer nebst Tochter, ferner dem Schultheiß und dem Schulmeister der Gemeinde samt ihren Frauen, dann dem Hansjörgenbauer, welchen ich gestern in Gesellschaft des Brunnenbauern gesehen, und endlich einem alten Oberknecht, welcher die Ehre, in der Stube mit am Tische sitzen zu dürfen, dem lustigen Treiben in der Scheune vorgezogen hatte. Der Tisch, auf einem schneeweißen, in der Mitte mit einer breiten roten Borte durchwirkten Linnentuch eine Last von Speisen und Getränken tragend, gab, wie das Gemach überhaupt, sprechendes Zeugnis von bäuerischem Reichtum.

Beim Eintritt des Pfarrers erhoben sich alle ehrerbietig, und er wurde sofort von dem Hausherrn an den Ehrenplatz oben am Tische geführt.

Wenn auch Fabians Reformbestrebungen an der Zähigkeit bäuerischer Vorurteile gescheitert waren, so viel war dennoch augenscheinlich, daß seine lautere, noble und milde Persönlichkeit selbst dem bäuerischen Egoismus Achtung abgezwungen hatte.

Die Bronnenbäuerin stellte dem Stuhl des Pfarrers einen für mich zur Seite und entfernte sich dann, um eine frische Auflage von Schinken, Würsten und Backwerk auf den Tisch zu befördern. Ich tat, in Erinnerung alter Zeiten, namentlich dem Gebackenen alle Ehre an und trank roten Karthäuser Wein dazu, was sehr wohltat.

Als ich wieder von meinem Teller aufschaute, war die dralle, rotbackige, mit einer oberländischen Busenfülle im Superlativ ausgestattete Kätter verschwunden. Der Jages mußte sie also wirklich zum Tanze geführt haben.

Die ländlichen Gäste hatten ihren Appetit großenteils schon gestillt, und nachdem die stereotypen bäuerischen Gesprächsmaterien, als da sind Rindvieh-, Pferde- und Getreidepreise, Schafschur und Hagelschlag, Klagen über böse Zeiten und Futtermangel, abgetan waren, brachte der Schulmeister, der fast wie ein heimlicher »Wühler« aussah, ein politisches Thema aufs Tapet, indem er die Frage aufwarf, wem wohl die Frohdorfer Wähler bei der bevorstehenden Bezirkswahl zur Ständeversammlung ihre Stimmen geben würden. »Ich für mein' Teil,« sagte der Luixenbauer, das steingutne Bierkrügle niedersetzend, »gib' mein' Stimm' nur einem gutkatholischen Oberländer. Wollen kein' so unterländischen Schreibersknecht mehr zum Abgeordneten.«

»Ja,« bemerkte der Bronnenbauer, »ich hab' ein' Vogel pfeifen hören, daß wir diesmal ein' rechten Mann kriegen sollen, ein' geistlichen Herrn, der den Unterländern donderschlächtig aufsätzig ist. Wissen Sie's auch schon, Herr Pfarr'?«

»Habe ebenfalls davon reden hören,« entgegnete Fabian. »Näheres weiß ich aber nicht.«

Der Schultheiß faßte ein Licht vom Tische, brannte seine Pfeife damit an, und nachdem er eine Wolke schrecklich duftenden Tabaks von sich gegeben, meinte er, der Herr Oberamtmann werde zu dem allem doch auch sein Wörtle sagen.

»So, hat er Euch schon wieder am Bändel, Schultes?« bemerkte der Luixenbauer unwirsch.

»Wie meint Ihr das?« fragte der Schultheiß im Gefühle seines Amtes.

»So mein' ich's,« versetzte der Gefragte störrisch, »daß alleweil d' Schuttes tanzen, wie der Oberamtmann pfeift.«

Der Schultheiß wollte heftig entgegnen, der Hausherr aber legte sich dazwischen und sagte:

»Bscht, bscht! Wer wird denn Händel anheben wollen von wegen den Herrenleuten? Gucket, was die Abgeordnetenwahl angehen tut, so geb' ich im Grund kein' Pfifferling drum, ob's der oder der ist. Wir müssen halt auch die Herren noch b'solden, zu den anderen hin. Saget mir doch, was es helfen tut, wenn die Leut' im Ständhaus in d'r Residenz z'sammensitzen und monatlang durcheinander plappern und haselieren.« »Mit Verlaub,« nahm der Schulmeister das Wort, und begann den Bauern mit viel Einsicht und liberalem Eifer das konstitutionelle Regierungssystem auseinanderzusetzen, oftmals nicht gerade sanft von seinen Zuhörern unterbrochen, deren Politik, als die aller Bauern, ein für allemal in den Wunsch sich zusammenfaßte, keine Steuern bezahlen zu müssen. Dazwischen wogte ein buntes Hin- und Herreden über die Zunahme der Armenlasten, über die Beschwerlichkeit der Gemeindebeamtungen, über die Ungerechtigkeit der Verpflichtung zu neuen Wegbauten und dergleichen mehr.

Ich bekam das Gerede satt, stand auf und trat an ein offenes Fenster, welches auf die Scheune hinübersah. Dort rastete der Tanz eine Weile. Die Burschen standen in einer Gruppe um die hohe Gestalt des Jages. Die Mädchen hatten sich Garben herbeigeschleppt und saßen auf denselben die Wände entlang. Kuchen, Fladen und Biergläser gingen von Hand zu Hand. Dann stimmte eins der Mädchen ein Lied an: »Wenn i gleich kein' Schatz nit hab'« und die ganze Genossenschaft fiel sogleich fröhlich ein.

Fabian war neben mich getreten und hörte ebenfalls dem Singen zu. Der Bronnenbauer aber, der in bester Laune war, weil sein Sohn die Kätter zum Tanze geführt hat, sagte zu dem alten Oberknecht, der, wie seine Mundart verriet, aus Bayern stammte:

»He, Boir, gang doch 'nüber und hol' die junge Leut' 'rüber. Sie sollen dem Herrn Pfarr' ein paar Liedle singen, wie er sie gern hört.«

Fabian dankte für diese Zuvorkommenheit, und von dem »Boir« geholt, kamen die Burschen und Mädchen bald herüber. Die letzteren drängten sich zuerst etwas blöde und verschämt in eine Ecke zusammen, und die ersteren drehten verlegen ihre pelzverbrämten Mützen in den Händen. Als man es ihnen aber in Bier und Wein »zugebracht« und der Pfarrer ihnen freundlich zugesprochen hatte, ordneten sie sich unter des Schulmeisters Regiment nach Stimmen und ließen, da sie alle dem von Fabian begründeten Singverein angehörten, mit gar nicht üblem Ausdruck und Vortrag einige Lieder von Silcher vierstimmig hören. Der Jages machte dann, nachdem noch verschiedene alteinheimische Volkslieder gesungen worden, den Vorschlag, der alte Boir sollte das altbayerische Liedle von Sankt Peter singen, was sofort allgemein verlangt wurde. Der alte Knecht warf einen schüchternen Blick auf den Pfarrer, und als dieser gutmütig lächelnd mit dem Kopfe nickte, stellte er sich in Positur und hub mit einer etwas meckernden, zu der wunderlich geschnörkelten Melodie komisch passenden Falsettstimme zu singen an:

»Als d' Juden den Herrn hab'n g'fange g'hatt, Da liefen die Jünger davon; Hat ainer den Peter am Mant'l d'ertappt: Gelt, Glatzkopf, jetzt hab' i di schon!« usw.

Alle lachten herzlich und schmetternd, als der Boir mit einem verzweifelten Triller seinen Singsang beendigt hatte, dessen Pointe sich hier nicht wohl wiedergeben läßt, der aber das Signal zur Steigerung der Lustbarkeit gab. Die Musikanten in der Scheune drüben stimmten einen neuen Hopser an, welcher Aufforderung die jungen Leute mit Ausnahme des Jages, der sich zu dem Schulmeister setzte, nicht widerstehen konnten. Schäkernd, juheiend und lachend drängten sie sich tumultuarisch zur Türe hinaus.

In der Stube wurde es jetzt ebenfalls lauter, rücksichtsloser, ungeniert bäuerischer. Der höllische Knaster, genannt Schwarzer Postreiter, lag in dicken Wolken über dem Tische, die Bierkrüge hatten den Weingläsern entschieden das Feld geräumt, und der Luixenbauer schenkte sich das seinige, wie aus Versehen, ein paarmal mit Zwetschgenwasser voll und leerte es auf einen Zug, weswegen ihm auch die dicken Knollaugen bereits verdächtig aus dem Kopfe hervorquollen und er nach jedem dritten Worte immer sein »Kreuzsakerment!« hören ließ – kurz, wir merkten, daß es Zeit zum Aufbruch sei.

Natürlich suchte man uns zurückzuhalten, allein Fabian lehnte das Andringen der Bronnenbäuerin freundlich ab, mit dem Bemerken, er habe morgen in der Frühe eine Seelenmesse zu lesen.

»Eine Seelenmesse? Für wen denn, Herr Pfarr'?« fragte die Hausfrau.

»Für den seligen Tone der armen Hanne. Ihr wißt, liebe Bäuerin, mein Vorgänger hatte beschlossen, alljährlich eine Messe für den Verunglückten zu lesen, und ich will's ihm nachtun, zum Troste der armen Witwe und ihres Kindes, welchen diese kleine Aufmerksamkeit beweisen soll, daß die Tröstungen der Religion für die Armen so gut da seien als für die Reichen.«

»Das ist schön von Ihnen, Herr Pfarr', und ich will morgen g'wiß auch in der Kirche sein. Jetzt fällt mir auch ein, daß es sich grad' heut' nacht wieder jährt, daß der arm' Tone in d' Donau g'fallen ist.«

Meine Augen ruhten bei diesen Worten der guten Bäuerin zufällig auf dem Luixenbauer und ich erschrak, als ich bemerkte, daß er sich dabei verfärbte und zusammenfuhr, dann aber mit Hast das Glas zum Munde führte und rasch hinuntergoß. Der Bronnenbauer seinerseits, welcher sich mit dem Schultheiß über eine Gemeindesache herumstritt, hatte nichts gehört.

Nach allseitigem Gutenachtsagen verließen wir das Haus und den Hof. Der Jages gab uns bis zum Bronnen unter der Linde das Geleite, und hier fragte er den Pfarrer, ob derselbe mit seinem Vater »von wegen der Sach'« geredet habe.

»Ich hatte nur wenig Gelegenheit dazu, armer Junge,« antwortete Fabian; »weißt, es ging gar zu bunt und laut her. Aber wart' nur, ich will die Sache von einer anderen Seite anpacken und sehen, was sich bei der Kätter ausrichten läßt.«

»Ja, reden Sie ihr nur in's G'wissen, Herr Pfarr'. Sie wird doch nicht mit G'walt ein' Mann haben wollen, der nichts von ihr will. Will sie aber doch, so will halt ich nit, und jetzt gut' Nacht!«

Mit diesen Worten kehrte er um, und als er einige Schritte von uns entfernt war, sang er mit heller Stimme:

»Zu dir bin i ganga, Zu dir hot's mi g'freut, Und zu dir gang i wieder Und 's ist mir nit z'weit!«

Die Nacht war finster und heißdunstig. Am Himmel braute und drohte noch immer das Gewitter, und nur zuweilen schien es, als werde der Vollmond, der hinter den Wolkenmassen schwebte, diese durchbrechen und in seiner Schönheit hervortreten.

Wir kamen beschleunigten Schrittes zu Hause an und ich teilte dem Freunde noch die von mir gemachte Wahrnehmung mit, daß der Luixenbauer bei der Erwähnung von Tones Tod erschrocken sei.

»Seltsam!« bemerkte Fabian einsilbig, und hiermit wünschten wir uns gute Nacht.

Auf mein Zimmer gegangen, fühlte ich – wahrscheinlich war der hitzige Kartäuser daran schuld – noch kein Bedürfnis zu schlafen und öffnete das Fenster, um noch eine Weile dem Kampfe des Mondes mit den Wolken zuzusehen. Der Wind hatte sich schnaubend erhoben und einem kleinen Fleck am Himmel die Wolkendecke abgestreift.

Der Mond schaute groß und voll von dorther auf den Gottesacker herab, und mir kam vor, als sähe ich zwischen den Kreuzen hindurch an einem der Grabhügel ein weibliches Wesen knien, welches aber im nämlichen Augenblick aufstand und langsam der Friedhofspforte zuging, um durch dieselbe zu verschwinden. Kurz darauf vernahm ich aus der Richtung her, wo die Hütte der armen Hanne lag, leise, melancholische Töne, die aus einer weiblichen Brust kommen mußten.

Ich bog mich lauschend in die Nacht hinaus, und seltsamerweise hörte ich auf diesem abgelegenen Bauerndorf aus dem schönsten Liede eines in unserer schnelllebenden Zeit lange schon verschollenen Dichters deutlich folgende Strophen:

»Still und hehr die Nacht!
Des Himmels Augenpracht
Hat nun den Reihn begangen.
Schweb' hoch hinauf wie Glockenklang
Der Liebe sanfter Nachtgesang,
Klopf' an die Himmelspfort' mit brünstigem Verlangen.

Die ihr dort oben brennt
Und keusche Flammen kennt,
Ihr Heiligen mit reinen Zungen,
Ach, benedeiet unser Herz!
Wir dulden, dulden bittern Schmerz,
Wir haben schwer gerungen.«

»Ist denn das nicht die Stimme des Vefele?« fragte ich mich. »Aber wie sollte das Mädchen zu diesem Liede kommen?« Da fiel mir Fabians Singverein ein, welchem ja das Vefele ebenfalls angehören konnte.

Noch lange stand ich träumerisch am Fenster. Der momentane Sieg des Mondes war bald vorüber. Der Wind schnaubte mir jetzt heiß und heftig ins Gesicht – noch einen Augenblick und das nächtliche Gewitter brach in seiner ganzen Majestät los. – Der Himmel stand alsbald in blauen und schwefelgelben Flammen, der Donner zog alle Register seiner erderschütternden Orgel und ein Wolkenbruch peitschte weitum die Gegend.


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