Johannes Scherr
Michel
Johannes Scherr

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Drittes Buch

Praxis

Erstes Kapitel.

Praktische Philosophie eines Kindes des Jahrhunderts, das es – das Kind nämlich – enorm, ganz enorm gut mit dem Autor meint.

»Wie ich Ihnen sage, Herr Hellmuth, Geschäft ist Geschäft, und Geschäfte müssen geschäftsmäßig behandelt werden. Das ist eine Tatsache, denk' ich.«

»Ohne Zweifel, Herr Ziegenmilch. Aber noch eine enormere Tatsache ist es, daß Sie, mit Ihrer gütigen Erlaubnis, das Publikum mit dieser ›Lilionese‹, bestehend aus etwas Rosen- und Zimmetöl, vermischt mit viel Kreide, ganz enorm beschwindeln. Das Töpfchen von diesem wunderbaren Schönheitsmittel kostet Sie etwa einen Viertelfrank, während Sie es um fünf Franken verkaufen.«

»Was wollen Sie? Geschäft ist Geschäft! Ich denke, wir können diesen gangbaren Artikel noch billiger herstellen und noch um zwei bis drei Fränklein teurer verkaufen. Die Damen sind ja ganz rasend darauf – dank Ihrer enormen Annonce! Habe nie eine enormere gesehen, auf Ehre! Enorm, ganz enorm!«

»Aber, Herr Ziegenmilch ...«

»Bitte, kommen Sie mir nicht wieder mit Ihren moralischen Wenn und Aber. Wie oft muß ich Ihnen, der Sie, ohne Kompliment, ein Mann von Genie und Bildung sind, wie oft noch muß ich Ihnen sagen, daß die Moral für Pastoren und Schulmeister ein enorm vortreffliches Ding sein mag, für Geschäftsleute aber ein enorm störsames, ausgenommen etwa Sonntags in der Kirche. Nämlich, verstehen Sie mich wohl, die Sorte von Moral, welche für kleine Kinder, dito für große und, wie ich Ihnen sage, für Pastoren und Schulmeister erfunden wurde. Was die andere Moral betrifft, nämlich die, welche vorschreibt, uns vor widerwärtigen Karambolagen mit dem Strafgesetzbuch zu wahren, ei, vor dieser hab' ich einen so enormen Respekt als nur irgendeiner. Ist das eine praktische Moral, eine Moral für Geschäftsleute. Nur keine unpraktischen, idealistischen Marotten, mein lieber Herr Hellmuth, wenn Sie auf dem Geschäftsweg, wenn Sie überhaupt Ihre Fortune machen wollen.«

»Aber, mein lieber Herr Ziegenmilch, es handelt sich da nicht entfernt um Idealisches, wenn ich mir die Freiheit nehme, Ihnen unter uns zu bemerken, daß Ihr ganzes Geschäft da eigentlich purer blanker Humbug und Schwindel ist.«

»Bscht, bscht! Eigentlich mag es so sein, aber uneigentlich ist das Geschäft ein enorm gutes Geschäft, wie Sie wissen. Sehen Sie nur, wie sich da draußen im Laden die Damen drängen, um alle die kosmetischen Herrlichkeiten von meiner enormen Erfindung einzukaufen. Humbug und Schwindel, ei jawohl! Sagen Sie mir, ist dieses enorm elegante Geschäftslokal, welches die in Kosmetik machende respektable Firma Oskar Ziegenmilch und Komp. eingerichtet hat, auch Humbug oder ist es eine enorme Tatsache? Denke doch, das letztere, Herr Hellmuth. Geschäft ist Geschäft, und praktisch, enorm praktisch muß man sein: das ist meine Moral, Sehen Sie, 's ist gar nicht so lange her, daß Oskar Ziegenmilch und Komp. ein so armer Teufel war wie Sie, Herr Hellmuth – bitt' um Entschuldigung. Hatte da oben in der obskuren Spiegelgasse ein enorm miserables Lädchen, eine gemeine Bude, allwo ich Tüten drehte, armem Gesindel lotweise Kaffee und Pfeffer verkaufte, Käse auswog und Heringe einwickelte. War, mit einem Wort, ein unpraktischer, ehrlicher, dummer Kerl. Kriegte aber eines schönen Tags eiue Erleuchtung, die mein verborgenes Genie weckte. Hatte nämlich meine gute Lelia – eigentlich heißt, im Vertrauen gesprochen, meine werte Hälfte Liseli, wie wir hierzulande für Elisabeth sagen, modelte aber diesen gemeinen Namen mit meiner Einwilligung in Lelia um, welchen vornehmen Namen sie, glaub' ich, in einem verrückten französischen Geschichtenbuche aufgelesen ... gescheite Ehemänner müssen ihren Frauen solche harmlose romantische Wallungen oder Kapricen nachsehen, wissen Sie? – ja, meine Lelia hatte mal statt des verlangten Romans aus der Leihbibliothek ein enorm kostbares Buch erhalten, welches sie verächtlich beiseite warf. Zufällig tat ich einen Blick hinein, und was entdeckte ich? Eine neue Welt, sag' ich Ihnen. Es war die Lebensbeschreibung des großen Barnum, von ihm selber geschrieben.«

»Die Lebensgeschichte des unverschämtesten aller Schwindler?«

»Sie mögen den großen Barnum so nennen, ich nenne ihn das Ideal eines Geschäftsmannes. Die Weisheit aller Gelehrten, die je gelebt haben, hätte mir nicht halb soviel genutzt, als mir Barnums Geschichte nützte. Das Buch wurde meine Bibel, die ich mit Eifer, mit Andacht studierte. Mein Genie, das bisher brach gelegen, wurde von Barnums Genie gleichsam beackert und besät. Barnum operierte mir den Staar meiner dummen Ehrlichkeit oder ehrlichen Dummheit. Ein enormer Mensch, der Barnum, ganz enorm! Sah mich jetzt zum ersten Male mit offenen hellen Augen in der Welt um, und was gewahrte ich? Daß die Welt nur eine große Schwindelbude ist, in welcher die Dummen den Klugen den Saldo bezahlen. Die menschliche Gesellschaft erschien mir fortan als ein enormes Hauptbuch, bestehend aus den zwei Rubriken Soll und Haben, und ich beschloß weislich, in der Rubrik Haben mich anzusiedeln. Alle praktischen Leute tun das und überlassen die Rubrik Soll großmütig den unpraktischen. Wer aber praktisch sein will, recht enorm praktisch, der muß heutzutage mehr oder weniger schwindeln. Sie sehen, mein lieber Herr Hellmuth, ich spreche ganz offen und vertraulich mit Ihnen. Würde es nicht tun, wenn ich Sie, Ihrer unpraktisch idealistischen Anwandlungen ungeachtet, nicht für einen im Grunde praktischen Kopf hielte.«

»Sehr verbunden, Herr Ziegenmilch. Allein lassen Sie sich sagen, daß meine praktische Anlage doch nicht groß genug ist, mich zu überreden, die ganze Welt sei Humbug und Schwindel.«

»O, Sie werden das schon noch begreifen, mein Lieber. Sehen Sie sich den Lauf der Dinge nur einmal genau an. Alle schwindeln, die Großen im großen, die Kleinen im kleinen. Wer Millionen kommandiert, macht in Staatspapieren, Eisenbahn- und Kreditaktien; wer keine Million hat, aber zu einer kommen will, macht, wie zum Beispiel Oskar Ziegenmilch und Komp., in Wunderarzneien und Schönheitsmitteln. Kam durch einen glücklichen Zufall darauf, welchen ich eine wahre Fügung des Himmels zu nennen mich gedrungen fühle. Während ich gerade an dem großen Exempel Barnums mich begeisterte, verlangte meine Liseli, will sagen meine Lelia, Geld von mir, um sich für ihre damals noch sehr bescheidene Toilette ein Töpfchen von der in den Zeitungen gepriesenen Aurorapomade anzuschaffen. Das war ein Schicksalswink. Ich befolgte denselben und warf mich mit enormer Energie auf die Kosmetik. Zuerst handelte ich mit Schönheitsmitteln, dann erfand ich selber welche, mit Hilfe eines alten Apothekerbuches. Kann ich etwas dafür, daß die Welt betrogen sein will? Bald war ich in den Stand gesetzt, aus der obskuren Spiegelgasse in dieses vornehme Stadtquartier überzusiedeln. Anfangs war ich nur Mieter meines Geschäftslokals, jetzt ist es samt dem Hause mein Eigentum, und ich habe es ganz nach den Erfordernissen der Pariser Eleganz neu etabliert. Bereits darf ich mich, unter uns, einen gemachten Mann nennen, und es wird die Zeit kommen, wo ich meinem eigenen Kutscher befehlen kann, mich nach der Börse zu fahren. Sehen Sie, mein Lieber, das ist das Resultat meiner Moral: Geschäft ist Geschäft und praktisch muß man sein ... Im übrigen will ich Ihnen etwas sagen, selbst auf die Gefahr hin, Ihr warmes Zartgefühl zu beleidigen.«

»Sprechen Sie ungeniert, Herr Ziegenmilch. Sie sind mein Prinzipal, und ich bin Ihr Untergebener.«

»Ja, das ist wohl so: aber sehen Sie, Herr Hellmuth, Sie haben so etwas an sich, so etwas ... nun, so etwas Vornehmes. Ich will sagen, man merkt Ihnen den studierten Mann auf Schritt und Tritt an. Es ist etwas Kurioses, etwas enorm Kurioses, daß wir anderen, wir Geschäftsleute, vor den Studierenden, falls es nämlich keine Lumpen sind, innerlichst so 'ne Art von Respekt haben ... doch, kurz und gut, will Ihnen zeigen, daß auch ich kein gemeiner Kerl bin. Ja, auf Ehre, bin kein schofler Egoist und meine es gut mit Ihnen, enorm gut, obgleich ich mich selber, das heißt meinen Vorteil natürlich, dabei auch nicht außer acht lasse. Müßte kein Geschäftsmann sein, wenn ich das täte. Der gegenseitige Vorteil ist das festeste Freundschaftsband, sehen Sie, und Wenn man seine Fortune machen will, muß man sich in die Welt schicken.«

»Zur Sache, wenn's beliebt.«

»Allsogleich. Sie wissen, Herr Hellmuth, als ich das Glück hatte, zufällig Ihre Bekanntschaft zu machen, waren Sie in nicht sehr glänzenden Umständen ...«

»Allerdings nicht, sondern im Gegenteil in sehr mißlichen.«

»Gut. Ich machte Ihnen den Vorschlag, bei mir einzutreten. Sie hatten so etwas an sich, was mir gefiel, etwas, was mir sagte, daß Sie gut mit der Feder umgehen könnten ...«

»Meiner Treu, Sie sind ein merkwürdiger Physiognomiker.«

»Lachen Sie nur nicht, Herr Hellmuth. Ich habe meine kleinen praktischen Talentchen. Das Geschäftsleben schärft einem, der kein Dummkopf ist, die Augen enorm, ganz enorm. Sie übertrafen auch meine Erwartungen weit. Nicht nur brachten Sie eine vortreffliche Ordnung in die Bücher und in die Korrespondenz, sondern Sie bewiesen auch eine Meisterschaft im Verfassen von Annoncen, die ich mit wahrer Bewunderung anerkenne, um so mehr, da mir, obschon, wie Sie zugeben werden, mein Mundstück nicht zu den schlechtesten gehört, der Himmel die Gewandtheit im schriftlichen Ausdruck versagte. Sie haben eine glückliche Hand, Herr Hellmuth, in des Wortes verwegenster Bedeutung. Mein Geschäft hat in den wenigen Wochen, seit Sie demselben Ihr Genie widmen, schon bedeutend gewonnen, ich sage es ohne Umschweife. Bin unter Umständen enorm aufrichtig, ganz enorm. Überdies sind Sie ein angenehmer Hausgenosse, kein Krakeeler, aber auch kein Finsterling, kurz, gerade so, wie ich die Leute gern habe. Auch mein Liseli, nein – Donnerhagel! – meine Lelia, hat Sie gern und das will etwas heißen, denn sie ist, wie ich Ihnen bereits bemerkte, mitunter allerlei romantischen Wallungen und Kaprizen unterworfen. Es ist aber ein großer Segen, wenn eine Frau weder seufzt noch weint, weder schmollt noch brummt, was alles zuweilen der Fall war, bevor Sie kamen. Meine Ehehälfte findet an Ihrer Tischgenossenschaft großen Gefallen. Das macht, sie kann mit Ihnen von dem Zeug schwatzen, was sie ihre Ideale nennt, das arme Ding! Sie hat nicht das Glück, Mutter zu sein, wie Sie wissen; auch hat sie leider einen Abscheu vor dem Küchendepartement, und in diesen beiden Fällen pflegen die Frauenzimmer auf allerlei Schnickschnack zu verfallen. Die einen werden fromm, die anderen sentimental oder sonst schwärmerisch, die dritten werfen sich der Galanterie, die vierten der Dichterei in die Arme, die fünften suchen Trost in der Weinflasche. Ich habe meine werte Hälfte stark im Verdacht, sich zum Mitglied der vierten dieser Klassen machen zu wollen, und ersuche Sie daher dringend, Herr Hellmuth, sie zu überreden, diese Kaprize nicht gar zu weit zu treiben. Die Gute hält, wie ich weiß, große Stücke auf Sie, und ich – ich bin ganz und gar nicht zur Eifersucht geneigt. Außerdem bin ich überzeugt, daß ich es mit einem Ehrenmann zu tun habe. Ja, und beiläufig, dürfte ich Sie bitten, meine Frau heute ins Theater begleiten zu wollen? Sie wissen, ich tue das nicht gern, langweile mich enorm daselbst, ganz enorm, und gebe alle Theater und Theaterstücke der Welt für einen gemütlichen Schmaußjas oder Skat, zehn Points zu zwanzig Centimes.«

»Ich werde Ihren Wunsch erfüllen, Herr Ziegenmilch. Aber, wenn ich nicht irre, wollten Sie mir eine Mitteilung machen.«

»Freilich, freilich, und diese Mitteilung wird Sie, rechne ich, überzeugen, daß ich es enorm gut mit Ihnen meine, ganz enorm ... Sagen Sie mir, lieber Herr Hellmuth, befinden Sie sich heute nicht bedeutend komfortabler als vor drei Wochen, wo Sie bei mir eintraten?«

»Doch, Herr Ziegenmilch, doch. Ich anerkenne auch dankbar, daß Sie meine Dienstleistungen in Ihrem Geschäft weit über mein Erwarten belohnt haben ...«

»Saläriert, wollen wir sagen, lieber Herr Hellmuth. Sie haben in drei Wochen mehr für mein Geschäft getan, als zehn andere Kommis in der doppelten und dreifachen, ja zehnfachen Zeit dafür hätten tun können, und im gebührenden Verhältnis zu ihren Leistungen setzte ich auch Ihr Salär fest. Dasselbe ist, schmeichle ich mir, so, daß ein junger Mann, welcher nicht allzu viele Bedürfnisse hat, damit auf dem Fuß eines Gentleman leben kann.«

»Ich bin zufrieden.«

»Schön, schön, oder vielmehr nicht schön, Herr Hellmuth. Denn, verstehen Sie mich wohl, Sie sollten höher streben.«

»Ich bin nicht geldgierig, Herr Ziegenmilch.«

»Ei, ich bin auch nicht gerade geldgierig, das heißt, ich bin kein schmutziger Egoist; aber ich bin ein praktischer Mensch. Als solcher bin ich überzeugt, daß wir beide, verstehen Sie? wir beide mitsammen in der Welt etwas vor uns bringen könnten, etwas Enormes. Daher mache ich Ihnen folgenden Vorschlag: Sie verpflichten sich, für zwei, drei Jährchen in Ihrer jetzigen Stellung, die ich Ihnen so angenehm als möglich zu machen suchen werde, meinem Geschäfte Ihre vortrefflichen Dienste zu widmen. Inzwischen dehnen wir das Geschäft nach allen Seiten hin aus und ziehen nach und nach diverse weitere Branchen in das Bereich unserer Tätigkeit. An baren Mitteln und au Kredit – 's ist eine enorm schöne Sache um den Kredit! – soll es mir dazu nicht fehlen, und die Hauptsache, Genie, besitzen wir beide. Nach Verlauf der angegebenen Zeitfrist erlassen wir eines schönen Morgens ein Zirkular, welches der Welt anzeigt, daß die Firma Oskar Ziegenmilch und Komp. fürohin heiße: Ziegenmilch und Hellmuth. Verstehen Sie?«

»Sie sind so gütig, mir für die Zukunft die Associéschaft in Aussicht zu stellen?«

»Ja.«

»Ich anerkenne Ihre Güte, Herr Ziegenmilch; aber ...«

»Schon wieder eines Ihrer aber? Ich bitte Sie, Geschäft ist Geschäft, und praktisch muß man sein.«

»Wohl ... doch lassen Sie mich Offenheit mit Offenheit erwidern. Als ich den Entschluß faßte, die kommerzielle Laufbahn zu betreten, leitete mich neben anderen Motiven insbesondere die Hoffnung, auf dieser Laufbahn meinen Wunsch, die weite Welt zu sehen, am leichtesten befriedigen zu können. Ich hatte zu diesem Zwecke eine kurze Weile daran gedacht, Soldat zu werden, das heißt in englischen oder holländischen Diensten die militärische Laufbahn zu versuchen. Allein ich fühlte in allen Nerven, daß ich doch viel zu sehr Idealist sei – Verzeihung für das unpraktische Wort! – um eine willenlose Maschine sein zu können. So wurde ich denn Kommis, und wenn Sie, wie Sie mir sagen, mit meinen Diensten als Kommis einigermaßen zufrieden sind, so mag Ihnen das beweisen, daß ein Mann von Bildung auch in praktischen Sphären nicht allzulangsam und schwer sich zurechtfinden kann. Sie haben mich gütig behandelt, Herr Ziegenmilch, und Sie werden mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich nicht unempfänglich und undankbar bin. Allein es muß dennoch heraus: Ihr ganzes Geschäft da hat etwas an sich, was mir gegen den Mann geht.«

»Ei was, Herr Hellmuth, Geschäft ist Geschäft und praktisch muß man sein.«

»Wohl, aber Praxis und Humbug ist doch gewiß nicht absolut eins und dasselbe.«

»Hm, darüber ließe sich viel sagen. Will Ihnen aber statt des vielen heute nur zweierlei bemerken. Erstens, wenn Sie, lieber Herr Hellmuth, Ihre kaufmännische Fortune possieren wollen, so dürfen Sie keine Minute, keine Sekunde, keinen Augenblick lang des kaufmännischen Fundamentalsatzes vergessen, welcher lautet: Möglichst wohlfeil kaufen und möglichst teuer verkaufen. Darauf beruht auch mein Geschäft. Zweitens: die Firma Oskar Ziegenmilch und Komp. ist mitnichten willens, ihr Leben lang nur die Erfindung, die Herstellung und den Umsatz von Artikeln zu betreiben, durch deren Gebrauch kranke Einfaltspinsel gesund, junge, häßliche Frauenzimmer schön, alte Weiber wieder jung zu werden vermeinen. Mein Genie ist auf Höheres gestellt ...«

Der dieses Gespräch mit mir führte, lieber Leser, und zwar an dem Orte, welchen er mit viel Bewußtsein sein »Kontorkabinett« zu nennen pflegte – eine Lokalität, in welcher, beiläufig gesagt, auch mein Schreibpult sich befand, und welche mittels eines hohen Bogenfensters und einer schmalen Türe mit dem »Tempel der Kosmetik« draußen, das ist mit dem Schönheits- und Gesundheitsmittelladen, in Verbindung stand – also mein »Herr Prinzipal«, Oskar Ziegenmilch und Komp., war ein angehender Vierziger und das, was junge und alte Stubenmädchen einen »hübschen Mann« zu nennen pflegen. Von mittlerer Statur war er wohlgebaut und vortrefflich angezogen; auch ein kleidsames Schnurrbärtchen fehlte ihm nicht, und um seine roten Bäckchen zog sich ein Backenbart, welcher »enorm« gut à l'Anglais kultiviert war. Hätten nicht unter der etwas niedrigen und wie ein neues Trommelfell glatt und glänzend gespannten Stirne hervor die kleinen wasserblauen Augen des Mannes so äußerst schlau und doch auch wieder gutmütig in die Welt geblickt, man hätte glauben können, er sei, wie er leibte und lebte, aus dem neuesten Modejournal geschnitten worden.

Elegant, wie die Erscheinung des Herrn Ziegenmilch, war auch das ganze Geschäftslokal; das Magazin draußen mit seinen drei »Ladenmamsellen«, die hübsch und gut angezogen genug waren, um den Herrn Prinzipal einigermaßen zu berechtigen, sie seine »drei Grazien« zu nennen, wie das Kontor hier innen, wo alle Gerätschaften »kosmetisch« aussahen, bis herab zu dem mit rotem Korduanleder überzogenen Schreibbock, auf welchem während des gemeldeten Dialogs Herr Ziegenmilch rittlings gesessen hatte.

»Wie ich Ihnen sage, Herr Hellmuth,« fuhr er fort, »mein Genie ist auf Höheres, auf Höchstes gestellt.«

Mit diesen Worten voltigierte er graziös von seinem hochbeinigen Sitze herab, verschränkte die Arme und durchmaß mit großen Schritten das kleine Gemach, offenbar große Gedanken und kühne Entschlüsse im Kopfe wälzend.

Endlich blieb er vor mir stehen, legte seine rechte Hand auf meinen linken Arm und sagte mit viel Majestät:

»Meine Zeit ist heute gemessen, Herr Hellmuth, denn ich muß mich zu einem Diner bei der großen Firma Sack und Söhne ankleiden ... Sack und Söhne, wissen Sie? erstes Bankhaus auf hiesigem Platze ... Große Ehre für mich ... Laden zu ihren exquisiten Diners nur Geschäftsfreunde ein, welche viel – verstehen Sie? – viel mit ihnen machen. Sehen Sie, so weit hat es der weiland Käse- und Heringskrämer aus der Spiegelgasse schon gebracht, und er wird es, so Gott will, so weit bringen, daß er Sack und Söhne zu seinen Diners bitten kann. Bin also pressiert und daher in Eile nur noch folgendes ...«

Hier streckte sich Herr Ziegenmilch und sah möglichst aus wie Napoleon, der seinen Marschällen einen Schlachtplan entwickelt, oder noch besser, wie ein deutscher Professor der Philosophie, welcher seinen Zuhörern das innerste Heiligtum seines Systems aufschließt.

»Herr Hellmuth,« sagte mein Prinzipal mit allem Pathos, das er aufzuwenden hatte – »der Handel ist in unserer Zeit alles! Das übrige, alles das übrige ist Lumpenzeug, das nur noch so mitläuft. Alle Leute von Genie – wie zum Beispiel Sie und ich – werfen sich in die industrielle und kommerzielle Karriere. Da kommt man vorwärts, da stellt man etwas vor. Schwatzen da närrische Leute bei uns zu Lande von Volkssouveränität, und noch größere Narren glauben ihnen. Wir, die Gescheiten, die Geschäftsleute, wissen aber, daß die Souveränität nirgends steckt als in unseren Kassen und in unseren Hauptbüchern. Der Kaufmann, der große Kaufmann ist jetzt der Herr der Welt, hier wie überall, und ich bin entschlossen, enorm entschlossen, ein großer Kaufmann, ein Kaufmann in des Wortes verwegenster Bedeutung zu werden. Aber, wie ich Ihnen sage, ich bin kein Egoist, das heißt ich weiß, daß zwei Männer von Genie mehr vermögen als einer. Sie sind ein Mann für mich, und ich bin ein Mann für Sie. Daher erwägen Sie den Vorschlag, welchen ich Ihnen gemacht. Ich gebe Ihnen eine Woche, meinetwegen auch zwei Wochen Bedenkzeit. Bin überzeugt, Ihr Genie wird Ihnen sagen, daß ich es enorm, ganz enorm gut mit Ihnen meine. Hiermit Adieu für heute ... Sack und Sohne dürfen nicht warten ... bin enorm pressiert ... aber vergessen Sie meine Frau Gemahlin und das Theater nicht und ... ja, unterlassen Sie beim Schlafengehen und beim Aufstehen nie, den Spruch zu beten: Geschäft ist Geschäft und praktisch muß man sein, enorm praktisch!«


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