Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Vierundvierzigstes Kapitel

Nach vielen Fahrten auf den warmen Gewässern des Stroms, nach manchem Kampf gegen seine Tücken lag die »Gyptis« wieder einmal still auf ihrem gewohnten Posten im Röhricht vor dem zerstreuten, verborgenen Dorf.

Und jetzt war für Jean die Zeit des Abschieds von diesem Land gekommen.

An einem bleiernen, regungslosen Abend, gerade wie der, an dem er vor achtzehn Monaten frisch und rüstig hier angekommen war, ging er langsamen, schleppenden Schritts, auf den Arm eines Matrosen gestützt, nach einem Wagen. Sein bleiches Gesicht war dem Boot zugekehrt, um den Zurückbleibenden noch zuzulächeln oder einen Abschiedsgruß zu nicken.

Es war dieselbe Viertelstunde der Dämmerung, wie bei seiner Ankunft, dieselbe verblüffende Farbenglut der roten Erde und des grünen Laubs, dieselben Düfte, die nämlichen gelben Gestalten, die vorübergingen und, eh sie unter dem Laubwerk ihrer Behausungen verschwanden, noch einmal schweigend den Kopf drehten, um den Fremdling, der von dannen zog, ein letztes Mal aus ihren rätselhaften Aeuglein anzuschielen. In dieser duftgeschwängerten Feuchtigkeit, unter dem beklemmenden Laubdach dieser Bäume immer das nämliche schwüle, schlaffe Leben, so grundverschieden von dem unsrigen. Und all diese Wesen und Dinge, die Jean abreisen sahen, schienen sich bewußt zu sein, wieder einmal einem Abendländer den Tod eingehaucht zu haben . . .

In letzter Zeit war zu den unerbittlich wiederkehrenden, tief wurzelnden heftigen Fieberanfällen die Ruhr getreten und hatte sofort einen ernsten Charakter gezeigt.

Dieses Uebels Bahn ist unbestimmbar; mitunter wählt es die Stärksten und verschont die Schwächlichsten oder umgekehrt, bald tötet es im Verlauf von wenigen Wochen, bald nimmt es sich jahrelang Zeit dazu. Manche reisen anscheinend kaum gestreift nach Europa zurück, aber das Unheil fährt fort, sie ganz sachte zu durchwühlen, und nach zehn, nach zwanzig Jahren hat es sein Werk vollbracht, während andre, die viel weniger kräftig waren und viel kranker zu sein schienen, vollständig genesen.

Zwei von den Matrosen, die mit Jean aus der Heimat gekommen waren, hatten nach einem Jahr hier sterben müssen. Er konnte die Heimreise antreten, aber schwer gepackt, hohläugig, mit lederfarbiger Haut, bei der geringsten Anstrengung, ja bei jedem Schritt von Schweiß triefend.

Und von Zeit zu Zeit kam ihm beim Erwachen der allerdings immer rasch wieder verscheuchte Gedanke, es möchte ein wenig zu spät sein für diese Rückkehr . . .


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