Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Dreizehntes Kapitel

Die Junisonne fing zu glühen an, und die Abfahrt stand nahe bevor. Noch drei-, vielleicht viermal, das abendliche Stelldichein, dann war die Sache zu Ende, ohne Zweifel für immer. Wenn er an dieses Ende dachte, wenn er sich sagte, daß er die Wonne des Besitzes seiner Schönen kosten würde, überkam ihn jene unergründliche Traurigkeit, die auf so beunruhigende Weise unlöslich vermengt ist mit körperlichen Zuständen. Und der Orient, den dieses Mädchen seiner Seele versinnlichte, übergoß das sinnliche Entbehren mit unendlicher Poesie.

Da kam von daheim ein Brief, der all diese Leiden verscheuchte und alles umgestaltete.

Er zeigte nur die Schrift der Mutter – der Großvater war krank, »schwer krank«, schrieb sie. Die Art, wie sie von der Krankheit sprach, verriet ihm, daß sie ihn vorbereiten wollte, daß der Fall furchtbar ernst war – wohl unheilbarer als die Schmerzen, die er von Rhodos mitnahm! Der Gedanke an den armen alten Mann mit seinem schwarzen Rock und der weißen Halsbinde, zerriß ihm das Herz; heftiger als je kam ihm zum Bewußtsein, welche Leiden, welch grausame Enttäuschungen er ihm zum Schluß seines Lebens bereitet hatte. Und mit Entsetzen empfand er die Entfernung, die Langsamkeit der Reise im Segelschiff, mit Bangen dachte er an die geheimnisvollen Landungen, die vielleicht auch auf dem Heimweg zu längeren Aufenthalten führen würden. Ein schmerzliches Gefühl seiner Ohnmacht überkam ihn, seiner Mittellosigkeit, die ihn von den raschen Verkehrsmitteln ausschloß, durch die ihm die Briefe zukamen. Nicht einmal heim eilen konnte er zu dem Sterbenden!

Und dieses Morgenland, das ihn mit solchem Zauber gelockt und umfangen hatte, dünkte ihm mit einem Mal öde, tödlich erdrückend, als ob der goldstrotzende Deckel einer Truhe auf ihm laste. Das schöne Mädchen, das heute abend zu ihm herniedersteigen würde aus der vermauerten Stadt, war ihm gleichgültig, ja widerlich – ihr letztes Stelldichein würde freudlos sein, und die Küsse, die er ihr trotzdem zu rauben wohl schwach genug sein würde, vergällt von Selbstanklage.

Er hatte ja bis zu diesem Augenblick nie an die Möglichkeit gedacht, diesen Großvater zu verlieren, wie es allen geschieht, die noch nie den Tod neben sich einschlagen sahen. Nie hatte er sich überlegt, wie alt er war, denn er hatte ihn ja immer aufrecht, immer unverändert gesehen, nie anders gekannt. Sein Dasein war ihm als etwas unverrückbar Feststehendes erschienen, gerade wie er das Haus in Antibes als ein für ihn bereitstehendes Nest ansah, das ihm niemand entreißen konnte.


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