Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Achtes Kapitel

In den ersten Novembernebeln glitt die Brigg, von schweren Segeln zur Seite gebogen, ins Weite hinaus. Ein leises, einförmiges Geräusch folgte ihrem Kiel, es klang wie das Rascheln von Seide oder Moiré, war weniger ein Geräusch als eine besondere Form der rauschenden Stille . . .

Antibes sank tiefer und tiefer, wurde von Minute zu Minute ein kleinerer ockergelber Fleck am Fuß der bleichen, schneebedeckten Alpen, die umgekehrt immer größer und größer wurden und immer riesiger in den farblosen Winterhimmel hineinzuwachsen schienen.

Jean, der als Seemann zwei Stunden alt war, stand in seiner Wolljacke auf dem Deck der Brigg, mit weitgeöffneten Augen sich vorneigend, um all das Neue, Unbekannte in sich aufzunehmen. Diese Einsamkeit unter Unbekannten, auf bewegter Planke, die sie aus der Welt hinauszutragen schien, machte ihn unruhig, und beängstigend drang die Schwermut des Nichts auf ihn ein, die von allen Seiten aufstieg, die immer mehr zur Alleinherrscherin wurde.

Auch die übrige Schiffsmannschaft stand da und sah das Festland schwinden, wo sie ungewöhnlich lange verweilt, sich von den Anstrengungen und der Oede der hohen See erholt, sich aber auch verwöhnt hatten, nur war ihr Gefühl kein so traumhaftes, unendliches. Es waren ihrer sechs, Jeans neue Kameraden: ein Malteser, braun wie ein Araber, in Lumpen gehüllt, die bloße Brust der Winterkälte darbietend, zwei ungeschlachte große Provençalen, ein junger Vagabund aus Bordeaux und ein Deserteur von der Kriegsmarine, der sich auf französischem Gebiet versteckt halten mußte. Mit den derben Schiffsanzügen hatten sie auch den Seemannsausdruck wieder angenommen – teilnahmlose, resignierte Gesichter.

Während sie so herumlungerten, tauchte im Heck des Schiffs der Kapitän auf, ein breitschultriger Riese mit ergrauendem Kinnbart und erloschenem Gesicht, ein ernster, mürrischer Mann, dessen Blicke leer und ausdruckslos waren, ohne Anteil an Dingen und Menschen. Mit heiserer Stimme erteilte er einen Befehl in Worten, die für Jean keinen Sinn hatten, und da der Neuling, nicht wissend, was er beginnen sollte, belustigt dreinsah, als ob sich's um ein Spiel handelte, wurde er mit barschem Ton an die Arbeit gewiesen. Er blickte erstaunt auf und dem Kapitän ins Gesicht, da erstarb ihm das Lächeln – das war ja ein ganz andrer als der Mann, der ihm vor ein paar Stunden in Antibes fast unterwürfig höflich, entgegengekommen war, als die fein gekleidete Mutter und der würdige Großvater in seiner weißen Halsbinde ihn an Bord gebracht hatten.

Jetzt zeigte auch »der Neue« eine finstere Miene, denn es war ihm klar geworden, daß er nicht mehr war als die andern Matrosen, mit denen er leben würde, ja sogar ihr Untergebener, und daß es sich hier einfach ums Gehorchen handelte. Wie ein Blitz zuckte das Bewußtsein seiner Erniedrigung in ihm auf, und im Dämmerlicht des sinkenden Abends fühlte er ein eisernes Joch seinen Nacken beugen.


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