Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Dreißigstes Kapitel

In der neuen Marinestation angelangt, erfuhr Jean gleich am andern Morgen, daß ein andrer Obermatrose, der einen Tag früher wieder eingerückt war, und der größere Ansprüche hatte, die Stellung auf dem Stationsschiff im Senegal erhalten habe.

Solche Enttäuschungen sind Matrosenlos. Da und dorthin versandt wie Postpakete, im allgemeinen stets vom Verlangen nach der hohen See erfüllt, müssen die jungen Leute oft wider Willen lange vor Anker liegen in den Hafenstädten, wo ihr Leben, am Abend wenigstens, einen so übermütig lustigen Eindruck macht.

Nun waren die großen Reisepläne, wenn nicht ausgeschlossen, so doch auf lange hinausgeschoben.

Die Reihenfolge der Liste hatte ihn für die Reserve bestimmt, die aus einer Anzahl abgerüsteter Schiffe besteht, die oft endlos lange im Hafen schlummern und schimmeln dürfen. Es war für ihn, als ob er ganz unversehens in dem kleinen Hafenstädtchen gestrandet wäre, das mit seinen schnurgeraden, breiten, weißen Straßen, die immer menschenleer waren und in düstere Befestigungswerke ausliefen, einen öden, traurigen Eindruck machte. Man sah nicht einmal das Meer in dieser stillen, von grünen Gärten und Wiesen umgebenen Hafenstadt, und wären die Matrosen nicht am Abend singend durch die Straßen geschlendert, man hätte sich in irgend einem Landstädtchen mitten im Binnenland glauben können. Diese neue Verpflanzung, eine Verpflanzung aufs feste Land und für verhältnismäßig lange Zeit, verursachte Jean einen bangen Druck; an eine Verbannung in geringer Entfernung von der Mutter hatte er nie gedacht und noch nie hatte er ein ähnliches Gefühl der Vereinsamung empfunden.

Zudem kam ihm das Untergeordnete der Matrosenstellung deutlicher zum Bewußtsein als bisher, wo ihm verschiedene Schattenseiten verhüllt geblieben waren. Unter den Kameraden, die gleich ihm zur Reserve kommandiert waren, fand sich auch nicht einer, mit dem er näheren Umgang hätte pflegen können, höchstens konnte er ab und zu mit einem von den ganz jungen und einfältigen Bauernjungen plaudern, mit denen er zu gewissen Stunden die Freude an Kindereien gemein hatte, die er aber in seinem Fühlen und Denken hoch überragte.

Immer ganz verständig in seinen Planen, nahm er sich vor, möglichst bald um Versetzung einzukommen, einstweilen aber sehr zurückgezogen und vernünftig zu leben, Ersparnisse zu machen und trotz der Trübseligkeit des beinahe verlassenen Schiffs und des verödeten Arsenals jede Nacht in seiner Hängematte zu schlafen.

So sah man ihn denn, den großen, zweiundzwanzigjährigen Jüngling, jeden Abend durch die Straßen wandeln, stolzen, langsamen Ganges, schön mit den großen guten Augen, dem schwarzen Bart, und dem kräftigen, bronzefarbigen Hals, den der blaue Kragen frei ließ. Mit gemachter Gleichgültigkeit sah er die jungen Mädchen an, von denen ihm übrigens keine zusagte, und nie verfehlte er, bei eintretender Nacht noch vor dem Kanonenschuß die Gitterthüre des Arsenals zu durchschreiten, die bis zum nächsten Morgen hinter ihm geschlossen blieb.


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