Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Achtzehntes Kapitel

In Brest, wo sie an einem farblosen Tag bei grauer Morgenfrühe eintrafen, wurden diese armen verjagten Kinder eines Sommerlandes von der gründlichen Verwandlung des Klimas, die in allem und jedem zu Tage trat, mit Schreck erfüllt. Hier war es schon Winter, eintöniges Grau herrschte, und sie froren bis ins innerste Mark hinein.

Mit der furchtsamen Haltung von Leuten, die wenig ausgeben wollen und auch ihr Kleingeld genau vorgezählt haben, ließen sie sich in einen bescheidenen kleinen Gasthof führen. Der Geführte war hauptsächlich Jean, der mit einem Male wieder zum Kind zu werden schien, und zwar jetzt zu einem folgsamen, duldenden, willenlosen Kind, das junge Herz von bitterem Weh geschwellt. Hie und da freilich lenkte ihn das Fremdartige dieser düsteren Granitstadt von seinen Gedanken ab: ihre unheimlich trotzigen Befestigungen, die nordische Seemannsbevölkerung, der graue Regenhimmel. Mitunter drehte er sich in der Straße um, den blauen Kragen nachzusehen, wie er nun auch bald einen tragen würde, und zuweilen empfand er mit Beklommenheit, daß all das Unbekannte, das vor ihm lag, ihn doch reizte.

Mehrere Tage vergingen über der Wohnungssuche. Ach, alles, was ihnen zu erschwinglichen Preisen gezeigt wurde, war so häßlich und trostlos!

Die Mutter fügte sich leichter als Jean in den Rahmen des Proletariats, der nun für lange, wenn nicht für immer ihr zerstörtes Leben umfassen sollte. Ihre Widerstandskraft, die Auflehnung des Bürgerstolzes waren sehr herabgemindert; wenn nur die Bernys nichts davon sahen, wenn nur alles fern von ihnen vor sich ging, ergab sie sich ohne besondere Bitterkeit in ihr Schicksal, und daß ihr Jean wieder so ganz ihr Eigentum, ihr Kind war, sich so innig an sie anschloß, vermochte sie über vieles, wenn nicht über alles zu trösten.

Er dagegen, der ohne Zweifel durch Vererbung verfeinertes Blut hatte, bäumte sich gegen die äußeren Merkmale des Elends auf. An Bord hatte seine echte Seemannsnatur an keiner Arbeit und an keiner Roheit der Genossen Anstoß genommen, am Land erfaßte ihn ein unüberwindlicher Widerwille gegen alles Häßliche, gegen die Reizlosigkeit der Armut, und er litt namenlos darunter, die Mutter in Kleidung, Einrichtung, Lebensgewohnheiten herunterkommen zu sehen. Damit stärkten sich aber auch Vorsatz und Hoffnung, sie später wieder emporzubringen; nur in dem Gedanken, daß es eine vorübergehende Not sei, ergab er sich in den jetzigen Zustand. Und je mehr die früheren Zustände in der Ferne entschwanden, ins unwiderruflich Vergangene untertauchten, desto leuchtender hob sich für ihn die Provence, das geliebte Elternhaus vom düsteren Grund ab; wie in goldenen Abendsonnenschein getaucht, standen sie ihm vor der Seele.

Endlich mußte man wohl oder übel einen Entschluß fassen, denn der Gasthof kostete zu viel Geld, und so entschied man sich für einen dritten Stock in der Großen Straße, unweit des Hafens. Die Wohnung war trostlos trübe, sie ging auf einen tiefen, häßlichen Hof und hatte nur ein einziges Fenster nach der Straße, durch das man tief unten winzige Leute in Holzschuhen durch den Schmutz stapfen, am Sonntag Betrunkene taumeln sah. Beugte man sich ganz hinaus, so sah man gerade noch eine Ecke des Arsenals und ein kleines Stück von der hochgelegenen Marinekaserne, rechts und links hohe Mauern von beinah schwarzem Granit, die vom Regen glänzten.

Sie trösteten sich damit, daß dies nur ein vorläufiges Standquartier sei, von dem aus man mit Ruhe Besseres suchen könne, und man richtete sich auch nur vorläufig darin ein, indem mit äußerster Sparsamkeit der Hausrat vervollständigt wurde, der ja nur aus den einzelnen Stücken bestand, von denen sie sich nicht hatten trennen können. Als dann die als Frachtgut abgeschickten Kisten ankamen, heraufbefördert und geöffnet wurden und die geliebten Gegenstände von »daheim« einer nach dem andern ans Licht des grauen, nordischen Tages kamen, da hatten Jean und die Mutter nicht den Mut, einander anzusehen, aus Furcht, in lautes Schluchzen auszubrechen, und jedes weinte heimlich und leise die heißen Thränen, die aus tief verwundeter Seele stammen.


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