Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Neuntes Kapitel

Tag reihte sich an Tag, einer dem andern gleich an Rauheit, Tage, um deren Namen und Zahl man sich nicht mehr kümmerte, und die zu Wochen und Monaten aufliefen, ohne daß man nachrechnete, eine Zeit, die sich langsam durchlebt, aber in der Erinnerung kurz erscheint, weil sie keine Merkmale hinterläßt.

Bald die Einsamkeit hoher See, bald Einfahrt in unbekannte Buchten der korsischen oder italienischen Küste. Die Ziegel von Vallauris waren schon in Livorno gelöscht worden, diese Ladung war nur ein Deckmantel gewesen; dann folgten plötzliche Landungen oder Abfahrten bei Nacht, geheimnisvolle Manöver, nach deren Zweck oder Grund keiner zu fragen wagte. Der Mann, der das Schiff befehligte, hielt seine Leute in strenger Zucht und zwang sie zu stummem Gehorsam.

Bei diesen flüchtigen Landungen mußte man ohne Murren an Küsten, die keinen Hafen hatten, beidrehen, mit bloßen Beinen durchs Wasser waten, schwere Lasten, Säcke und Ballen, deren Inhalt man nicht kannte, ans Land schleppen, einerlei ob der Grund sandig war, oder ob man sich an spitzen Steinen die Füße zerschnitt. In der Wildnis, wo solches Tage- oder Nachtwerk vor sich ging, nahm Jean den Frondienst willig auf sich, weil seine Sklavenarbeit keine Zeugen hatte, und weil er überdies fühlte, daß dieses Handwerk, wie jede gefahrvolle, anstrengende und geringen Nutzen bringende Arbeit, seine gewisse Größe, sein Heldentum, seine Romantik hat. Ueberdies ging er auch im rein körperlichen Leben auf, das stärkt und ermüdet und Geist und Gedanken einschläfert. Nur zur abendlichen Dämmerstunde, sei's auf hoher See oder am öden Strand, kehrten ihm Erinnerungen zurück, die seinem Herzen weh thaten . . .

Mochte das Wetter sein, wie es wollte, das alte, morsche Schmugglerschiff wagte sich hinaus und machte seinen Weg von den kurzen, harten Wellen und vom Mistral getrieben, der den Matrosen die Gesichter verbrannte.

»Es ist mein einziger Verdienst,« hatte der Kapitän einmal mit seiner heiseren Stimme hingeworfen, »und ich habe fünf Kinder daheim . . . vorwärts oder hinunter!«

Er hatte diese Erläuterung, die einzige, die man je aus seinem Munde vernommen hatte, an Jean gerichtet: er fing überhaupt an, seinem jüngsten Matrosen ein gewisses Wohlwollen zu zeigen, das diesen mit Stolz erfüllte.

Die Unbestimmtheit ihres Kurses brachte es mit sich, daß Jean nur in großen Zwischenräumen Nachrichten aus Antibes erhielt. Immer steckten im selben Umschlag zwei Briefe, zwei geliebte Handschriften weisend, die der Mutter und die immer unsicherer werdende des alten Großvaters, mit dessen Kraft es rasch abwärts ging. Wie heilige Reliquien bewahrte er sie in einer kleinen Blechkapsel am Boden seines durchfeuchteten Schiffskoffers, sie waren der einzige liebe Besitz, den er an Bord hatte, wo er im übrigen gerade so schlecht und armselig lebte, als der geringste der Mannschaft.

Mitunter hatte man auch einen Ruhetag; der Zufall konnte es fügen, daß man den immer heimwehvollen Sonntag in irgend einem weltentlegenen Dörfchen, an einem öden Strand verleben mußte. Dann zog Jean wohl wieder den feinen Weltmann an, in Gestalt des hübschen Anzugs, der aber vom langen Liegen in der Feuchtigkeit verkommen aussah und auch nicht mehr gut saß, weil der Träger in die Breite gegangen war. Er machte seinen einsamen Spaziergang und wurde wieder zum träumerischen Kind, das, ziellos umherschlendernd, dumpfen Gedanken nachhängt. Als der Träumer, der er war, beobachtete er fast unbewußt die neue unbekannte Umgebung, tauschte feurige Blicke aus mit blonden oder braunen Mädchen, knüpfte wohl auch einen Liebeshandel an, der aber bei den ländlichen Schönen zu nichts führte, als zur Störung seiner Ruhe. Im ganzen war ihm die Arbeit lieber; er zog die Anstrengungen diesen Tagen der Muße und Träumerei vor, die ihm sein Schicksal zu grell beleuchteten. Uebrigens waren diese Ruhetage sehr kurz und sehr selten und noch schneller vergessen, und hinterließen höchstens den Eindruck von einem Paar Mädchenaugen, die etliche Tage noch beim Einschlafen vor ihm auftauchten und ihn zu grüßen schienen . . .

Im übrigen war es das Meer, immer das Meer, das Meer, was es auch für ein Antlitz zeigen mochte, der Kampf gegen den schneidenden Mistral, gegen die Wellen mit ihrem weißen Gischt.


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