Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Zweiundvierzigstes Kapitel

In der Woche darauf kam Antwort, auf schlechtem Papier von ungeübter, ungeschickter Frauenhand geschrieben, ohne Zweifel der der andern Mutter. Es war ein kurzer, wegwerfender Bescheid in wenigen Zeilen.

Magdalenes Eltern glaubten sich in der That eines jungen Menschen erinnern zu können, der sich ihrer Tochter gegenüber recht leichtfertig betragen habe. Indessen sei es jetzt so gut als abgemacht, daß Magdalene einen Zahlmeister von der Marine heiraten werde, und da ihre Tochter diesem Freier »ziemlich geneigt« sei, erachte man es nicht für nötig, ihr diese andre Werbung mitzuteilen. Ein gewöhnlicher Obermatrose wäre überhaupt keine Partie für ihre Magdalene.

Statt sich über den gewünschten abschlägigen Bescheid zu freuen, war Frau Berny nicht nur verletzt, sondern bis zum Tode betrübt – ihren Sohn, ihren vielgeliebten in so schnöder Weise abzuweisen, wo er sein ganzes Leben und Wesen angeboten hatte! . . .

*

Tag und Nacht über der Sache brütend, glaubte sie allmählich eine unselige Verkettung des Schicksals zu erkennen, das sich gegen ihren Jean verschworen hatte. War ihr Sohn denn wirklich so gering, so unbedeutend, daß ein armes Mädchen aus dem Volk ihn kurzweg abweisen durfte? . . . O Gott, welch tiefer Fall, nach den Träumen und Hoffnungen von ehedem, den Zukunftsbildern, die sie und der dahingegangene Großvater über dem Lockenkopf des kleinen Jungen hatte schweben sehen! . . .

*

Und je öfter sie jetzt seinen Brief an sie selbst wieder las, desto klarer wurde ihr, wie tief diese Liebe ihm ging, wie namenlos weh ihm dieser Ausgang thun mußte . . .

*

Ihm diese Botschaft senden! Ihm in weiter Ferne und Vereinsamung solchen Schmerz bereiten!

Wozu auch? Er kam ja bald heim! Nein, sie beschloß, es zu unterlassen. Sie konnte sich ja vorläufig so stellen, als ob sie seinen Brief noch nicht erhalten gehabt hatte, und ihm mit dem nächsten Postschiff allerlei andres schreiben – es war der letzte Brief, den sie »an Bord der ›Gyptis‹« überschreiben mußte. –

*

Auch andre Sorgen, die ihr bisher erspart geblieben waren, gesellten sich zu dem Kummer über diesen Mißerfolg; ihr Jean hatte da unten schon verschiedene böse Fieberanfälle zu überstehen gehabt. Einmal war er sogar gezwungen gewesen, ins Hospital nach Ha-Noi zu gehen, und das hatte er ihr dann nicht verheimlichen können. In ihrem Hause zu Brest, wo noch mehrere Seemannsfamilien wohnten, hatte sie überdies ein paar blutjunge Matrosen aus jenen Kolonieen zurückkehren sehen. Sie hatten in ihren Briefen nie eingestanden, daß sie sehr krank seien, waren aber angekommen – ach Gott! so elend und obendrein so verderbt aussehend. Nie hatte sie sich so ganz verlassen, so grausam vereinsamt gefühlt als in dieser Angstzeit, und doch war sie zu feige, ihre Angst andern Müttern anzuvertrauen! eine abergläubische Scheu hielt sie davon ab, Finsternis, schwarze eisige Kälte senkten sich wie ein Bahrtuch über sie her. . . . Beten? Von Zeit zu Zeit kam ihr der Gedanke daran, aber sie verstand sich nicht mehr darauf. In ihrer Jugend hatte sie Anwandlungen inniger Frömmigkeit gehabt, leidenschaftliche, ein wenig italienische, vielleicht etwas götzendienerische Inbrunst des Glaubens. Jetzt aber? Nein, das war vorüber . . . vielleicht weniger aus Glaubenszweifeln als aus dumpfer Empörung gegen so viele Enttäuschungen, soviel gehäuftes Unglück. Zwischen ihr, die so elend und enterbt hier unten saß, und Christus, der Madonna, die so gleichgültig da oben thronten, hatte sich ein Nebel gebildet, und was an Anbetungsbedürfnis in ihr lag, hatte sie dem Sohn zugewendet. Trotzdem zwei Heiligenbilder an ihrer Wand hingen, die aus der Provence, aus dem alten Haus in Antibes stammten, betete sie nie mehr, setzte keinen Fuß mehr in die Kirche, sondern lebte immer schweigsamer, immer verbitterter dahin, ihr ganzes Sein und Denken beschränkend auf den einzigen, wonnigen und qualvollen, hartnäckigen Gedanken, ihn zu erwarten.


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