Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Siebzehntes Kapitel

Der letzte Tag! Und ein Tag so klar, so betrügerisch in seiner sonnigen Freudigkeit, ein unvergleichlich schöner Tag, wie der Anfang des November sie zuweilen noch beschert.

Sie wollten am späten Abend mit einem Nachtzug reisen. Jean, der noch tausenderlei zu packen und zu ordnen hatte, tummelte sich sehr, um vor Sonnenuntergang noch eine Stunde in seinem alten Garten verträumen zu können, der ziemlich weit vor der Stadt lag.

Als er hinkam, war es schon fast Abend, und tiefrote Sonnenstrahlen glitten wagrecht durch die Zweige und tauchten die ungerührt dastehenden alten Bäumstämme in Purpur. Für ihn reihte sich ein wehmütiger Eindruck an den andern, Sonnenuntergang, Herbstesstimmung und der tiefste und schmerzlichste endgültigen Abschieds.

Die Anhänglichkeit an Orte, Bäume, Mauern kann bei manchen Menschen, zumal in der Jugend, eine große Macht werden; vielleicht beweinen sie in dem, was sie zu lieben glauben, nur die Vergänglichkeit eigner Dauer, die ihnen darin vor die Seele tritt. Jean schien es, als ob dieser Verkauf an Fremde, diese thatsächliche Entäußerung nicht verhindern könne, daß der innere Gehalt dieser Dinge, ihr beinahe seelisches Wesen, immer sein eigen bleibe und nie in den Besitz der Käufer übergehen würde. Und wer weiß, ob nicht lange vor seiner eignen irdischen Existenz andre, ihm Unbekannte, auch schon einen Teil ihres Wesens an denselben Orten zurückgelassen, sich den nämlichen Selbsttäuschungen hingegeben hatten!

Mit einem Schlag erlosch der feurige Goldschimmer auf Zweigen und Geäst, und die Stille um ihn her schien noch zu wachsen. Die Sonne war untergegangen; eine unerwartete Kälte senkte sich mit der Nacht hernieder.

Jetzt war es höchste Zeit, zur Stadt zu gehen. Jean warf noch einen letzten Abschiedsblick auf die grasbewachsenen Wege, wie um jedem Lebewohl zu sagen. Dann riß er sich los. Langsam, den Blick noch immer rückwärts gekehrt, verschloß er die alte Gartenthür mit der Empfindung eines ewigen, unbedingten »Niemals«.

Nun kam noch daß Essen, wobei keines aß; eine Mahlzeit, von der sie nicht wußten, woraus sie bestand, von der alten Miette unter Thränen aufgetragen und beleuchtet von einer Kerze, die man am Tisch festgeklebt hatte.

Und dann endlich die dumpfe Erwartung der Abfahrtszeit. Alles war bereit, nichts blieb mehr zu thun; fröstelnd saßen sie in dem kleinen Salon, der für immer all der ihnen lieben Gegenstände beraubt war. Schweigend, wie zum Tod Verurteilte, erwarteten sie den Wagen, der sie zum Bahnhof bringen sollte.

Von Zeit zu Zeit stand Jean auf, um mit einer Kerze in der Hand noch eine Art von Rundgang zu machen, noch einmal einen Blick in sein Stübchen zu werfen. Es war ihm nicht einmal vergönnt, sich in den schönen Kindertraum zu wiegen, daß sie »später« alles zurückkaufen würden, denn die neuen Besitzer, die alles zu schlecht fanden, was die bescheidene Mutter so sorgsam erhalten hatte, würden ja morgen schon mit der Umgestaltung beginnen . . .

Gegen zehn Uhr hörte man einen Wagen rollen, dumpfen Hufschlag auf dem Pflaster, zuerst noch in weiter Ferne. Jean hatte das Geräusch zuerst unterschieden und erkannt . . .

Als man ganz gewiß war, daß es die Gepäckdroschke war, die vor ihrer Schwelle hielt, war es beiden, als ob der Tod seine Hand ausstreckte, und unwillkürlich sanken sich Mutter und Sohn in die Arme.

Jetzt gingen sie die Treppe hinunter; Miettes Schluchzen tönte vom Flur herauf. Hinter ihnen fielen die Thüren mit einem Klagelaut zu, mit dem vertrauten Knarren, das sie jetzt zum letztenmal hören sollten, sie fielen zu, so endgültig wie ein Sargdeckel.


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