Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Neununddreißigstes Kapitel

Da unten jetzt, ganz da unten. Er war am Ziel.

Nun sah er es in Wirklichkeit greifbar deutlich vor sich, das kleine Kanonenboot, worüber er sich im voraus so viele Gedanken gemacht hatte. In einem niederdrückend heißen Dunstkreis, wo die geringste Bewegung Ströme von Schweiß kostete, lag es regungslos in der Nähe des Ufers im Röhricht verankert auf dem Strom. »Gyptis« las er in deutlichen gelben Buchstaben, diesen Namen, der ihn die ganze Reise über verfolgt hatte, der einen Beigeschmack von bösem Omen an sich trug.

Dort war also jetzt sein Posten, sein Ankergrund – achtzehn Monate lang sollte diese Gegend seinen Wohnort bilden. Man hatte die neue Bemannung der »Gyptis« abends übergesetzt, in der flüchtigen, zauberhaften Viertelstunde, die zwischen Tagesschwüle und nächtlichem Dunkel eintritt. Längs des Stroms, dessen Gewässer keine Vorstellung von Kühlung erweckten, war ein zerstreutes Dorf, oder richtiger eine Straße unter Bäumen, die auf einer Seite von kleinen Thoren der im Grün versteckten Gehöfte eingefaßt war. Bei der nächsten Biegung zerfloß alles im beklemmenden Dunkel eines unheimlichen Waldes.

Während der langen Seefahrt auf den immer gleichen Planken ihres Fahrzeugs hatten sie nichts zu sehen bekommen, was sie auf die Gewaltsamkeit dieser fremdartigen Eindrücke vorbereitet hätte. All ihren Sinnen zumal drängten sie sich auf; Jean vergaß darüber das Atmen. Auch arbeiteten die Lungen ohnehin nur mäßig und lässig wie in einem heißen Bad mit duftgeschwängerten Dämpfen. Die Erde war rot, rot wie glühender Blutjaspis, und das Laubwerk strotzte in so übertriebenem Grün, daß man versucht war, es für bemalt zu halten mit den feinsten Lackfarben der Chinesen. Selbst in der rasch hereinbrechenden Dämmerung leuchteten diese Farben noch, es schien, als ob dieses Grün der Blätter und dieses Rot des Erdbodens mit eigener Leuchtkraft auch das Dunkel der Nacht durchbrechen sollten. Die kleinen Holzpforten, die zu den zerstreuten, versteckten Gehöften führten, waren voller Zacken und Hörner, sie zeigten im Umriß wunderliche Tiergestalten, es schien ihnen aber selbst unbehaglich zu sein unter diesem eintönigen ewigen Grün, das den Menschen erdrückt und alles besiegt; sie hätten sich auch am liebsten darunter verkrochen. Menschen, die diese Umgebung und ihren Schmuck selbstverständlich fanden, gingen hin und her, um ihre fremdartige Thätigkeit zu verrichten, um die Fremden seitwärts aus ihren Schlitzaugen anzublinzeln; ihre gelbe Haut borgte einen rötlichen Schimmer von der Erde, sie glitten lautlos und geschmeidig hin, entweder barfuß oder mit Papiersandalen an den Füßen. Jedes Haustier, das da und dort zum Vorschein kam, jeder Vogel, der seinen Schlafplatz im Gezweig aufsuchte, jede Blume am Weg, alles und jedes sagte den neuen Ankömmlingen, in welch feindselige fremde Ferne sie den Fuß gesetzt hatten.

Uebrigens war diese kleine Welt unterm Schweißtuch der Bäume, in ihrer völligen Abgeschiedenheit von der übrigen, keineswegs verwundert über ihren eigenen Zustand, sondern viel eher darüber, daß es deren auch andre gab. Die mit Safran geschminkten, nach Muskat und Schweiß riechenden Spaziergänger warfen den Matrosen im Vorübergehen, ohne den Kopf zu drehen, spöttische Blicke zu, die von diesen mit gleicher Münze heimbezahlt wurden; man fühlte, daß hier gegenseitig kein Verständnis möglich war. Nur für die Mädchen hatten die Seeleute halbwegs ernsthafteres Interesse, denn beim weiblichen Geschlecht wenigstens halten die Sinne nicht ein vor den Schranken, die unsre Rassen trennen.

Im ganzen lag etwas von Hohn, namentlich aber von Unheimlichkeit in diesem Empfang des Landes, das Jahrhunderte darauf verwendet hat, seinen schmächtigen gelben Bewohnern dieses Katzenlächeln beizubringen, und das die Fähigkeit in sich fühlt, fortwährend zahllose Weiße zu vernichten durch seine Miasmen und seine Stickluft . . .


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