Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Zwei Tage später. Durch einen ganz kleinen Jungen von höchst unverdächtigem Aussehen hatte er ihr auf der Straße, als sie aus ihrer Schneiderwerkstatt trat, ein Zettelchen zustecken lassen, worauf er geschrieben hatte:

»Fräulein Magdalene! Einer, den Sie schon dreimal gesehen haben und der sich Jean nennt, wird Ihnen jetzt gleich an derselben Stelle wie gestern abend begegnen. Er bittet herzlich um die Erlaubnis, Sie anzureden, falls in dem Augenblick niemand vorübergeht.

Jean.«

Und nun wartete er zur Dämmerstunde in einer alten weißen, mit Linden bepflanzten Straße, die hauptsächlich von Gartenmauern begrenzt und sehr einsam war, weshalb Magdalene sie vielleicht gern zum Nachhauseweg benutzte . . . Für ihn, der bei den kleinen Dämchen, die in sinkender Nacht allein gehen, an leichte Erfolge gewöhnt war, bedeutete diese schriftliche Anfrage einen ganz ungewöhnlichen Aufwand von Förmlichkeit, aber diese Magdalene war eben so gar nicht wie die andern, so grundverschieden, daß er nicht einmal mit sich im reinen war, was er ihr sagen und wonach er fragen sollte. So pendelte er wie eine Schildwache auf und ab, lehnte sich auch wohl mit dem Rücken an einen Lindenstamm, verging fast vor Ungeduld und hätte doch um ein Haar die Flucht ergriffen, als er sie jetzt plötzlich aus einer Querstraße einbiegen sah.

Sie hatte, als ihr das Billettchen gegeben worden war, das erste, das man je an sie zu schreiben gewagt hatte, sofort gewußt, daß es von ihm kam, noch ehe sie es entfaltet hatte. Das kleine, besondere, nachdenkliche und stolze junge Geschöpf, das, im Dunstkreis des strengsten Protestantismus aufgewachsen, bis zu diesem Tag hochmütig herabgeblickt hatte auf Mädchen, die sich heimbegleiten lassen, wie auf die Verehrer, die es thun, war merkwürdigerweise weder bestürzt, noch empört über diese unerhörte Vermessenheit, weil eben »er« der Vermessene war. In ihrer Phantasie hatten seine Augen und seine Schönheit in diesen drei Tagen die Herrschaft übernommen. Sie empfand nichts als Unruhe, eine ihr bisher unbekannte Unruhe, eine Art von Schwindel, derart, daß alles, Häuser und Menschen vor ihren Augen zu tanzen, sich um sie zu drehen schienen, um so mehr, als dieser vermessene, berauschende Zettel ihr erst ganz in der Nähe des Trefforts übergeben worden war, viel zu spät, als daß sie hätte nachdenken, einen andern Weg einschlagen, irgend einen Entschluß fassen können . . . So ging sie denn unwillkürlich die gewohnte Straße, freilich mit schlotternden Knieen und einem seltsamen Sausen im Kopf, und bald war sie, als ob man sie vorwärts getrieben hätte, an der bezeichneten Straßenecke angelangt, bog in die einsame Allee zwischen den Gartenmauern ein und sah ihn, kaum noch zehn Schritte entfernt, auf sich zukommen . . .

Es ist ein köstliches oder auch ein sehr mißliches Ding, zum erstenmal die noch vollkommen unbekannte Stimme eines Wesens zu hören, das man von Ansehen und Gesicht schon liebt. Und als Jean jetzt, ohne noch selbst gesprochen zu haben, diese Stimme vernahm, eine tiefe Stimme, voll Ernst und Jugendklang, die langsam und deutlich sprach, wie heranwachsende Kinder, die der Betonung noch nicht ganz sicher sind, da lauschte er ihr mit wahrem Entzücken.

»Ach, mein Herr . . . nein . . . so auf der Straße . . . und in Ihrer Matrosenuniform . . . das geht ja nicht . . .«

»Die Matrosenjacke? Ja, da haben Sie recht, das hatte ich nicht bedacht! Aber wenn ich morgen in Zivil hier wäre, dann würden Sie mit mir sprechen? . . . Ganz gewiß? . . . Für morgen versprechen Sie mir's?

»Nun ja . . . ja . . .« versetzte sie, die beschatteten Bernsteinaugen zu ihm aufschlagend und tief in seine blauen tauchend, die ihr hinter den pechschwarzen Wimpern hoffnungsfreudig zulachten, seltsam kindlich in dem männlichen Gesicht, mit einem Anflug leisen Uebermuts und der Gönnerhaftigkeit eines großen Herrn.

»Das wäre also abgemacht!« rief Jean fröhlich, »und jetzt . . . guten Abend, Fräulein Magdalene!«

Er schwenkte die Mütze, verbeugte sich leicht mit fesselnder Anmut und ging raschen, elastischen Schritts davon, den Pflastersteinen zu verstehen gebend, daß er lieber Freudensprünge gemacht hätte, so leicht war ihm ums Herz, seit er die Beklommenheit der ersten Begegnung und die Furcht, von dieser ernsthaften kleinen Person zurückgewiesen zu werden, hinter sich hatte. Er liebte sie jetzt noch zehnfach glühender als vorher und dachte wonnetrunken an das ihm verheißene »morgen«.


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