Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Der folgende Mai fand ihn in Quebek, wo sein Schiff einer Havarie halber unvermutet lange liegen blieb. In einem kleinen Gäßchen der ihm schon ganz vertrauten Vorstadt sah man ihn jeden Abend in Begleitung eines blonden Mädchens von achtzehn Jahren aus einem Haus treten, und dieses Mädchen war seine Braut. In unbefangenster freier Haltung, das lange blonde Haar wie eine Mähne über die Schultern hinabfließen lassend, gut, fast vornehm gekleidet, ging sie bis zum Einbruch der Nacht ganz allein mit ihm auf einsamen Pfaden im frischen Grün spazieren.

Diese Verlobung hatte sich sehr schnell gemacht, fast wie ein Scherz. Ein graubärtiger Franzose, ein halbwegs reicher Biedermann, der von den ersten Kolonisten in Kanada abstammte, war eines schönen Morgens an Bord der »Resoluta« gekommen, hatte sich vor Jean, der an der Arbeit war, hingepflanzt und ihm ohne alle Umschweife gesagt: »Ich habe drei Töchter. Besuchen Sie mich und suchen Sie sich die aus, die Sie heiraten wollen.«

Auf diese Weise war er in die Familie eingeführt worden!

Thatsächlich hatte er eigentlich nie kund gethan, welche von den drei Schwestern er gewählt habe, aber daß er der, die Marie hieß, den Vorzug gab, war sichtlich, und so gingen sie wie Brautleute miteinander aus, ohne daß jemand etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Da das Schiff jetzt auf der Werft lag, hatte er die meisten Abende frei und konnte also nach Belieben seine Marie abholen. Die Eltern legten sich in diesem Haus fast nie ins Mittel, und die beiden andern Mädchen behandelten ihn schon fast wie einen Bruder.

Ihm selbst kam die ganze Geschichte höchst unwahrscheinlich vor, gerade so unwahrscheinlich, als was man hier Frühling nannte. Er, der Südländer, lächelte insgeheim, wenn Marie an diesen naßkalten frühen Abenden ein weißes Kleid anzog und einen Strohhut auf die herrliche blonde Mähne setzte . . . Diese Verlobung von ungefähr und dieses wechselvolle Maienwetter kamen ihm gleich unzuverlässig vor, vergänglich und wandelbar wie alles im Leben.

Anfangs war er verblüfft und auch ein wenig belustigt gewesen über seine Verlobung, dann hatte er der Sache ihren Lauf gelassen aus Furcht, seine neuen, ein wenig wunderlichen, aber im Grund wackeren und herzensguten Freunde zu kränken, schließlich sagten ihm auch Maries frische rosige Wangen und ihre hübsche Gestalt samt dem Blondhaar immer mehr zu.

»Lassen Sie die Korvette allein absegeln und bleiben Sie bei uns,« riet ihm der Vater, »die Mama lassen wir dann nachkommen! Sehen Sie, mir war's immer drum zu thun, einen Franzosen zum Schwiegersohn zu kriegen, einen rührigen Menschen und namentlich einen dunkeln . . . die Mädels sind zu blond und unter den Schwestern meiner Frau sind sogar zwei Kakerlake . . . Sie werden jetzt verstehen, wie ich's meine . . .«

Und dann setzte er ihm seine Pläne auseinander, wie man es weiter bringen könnte hier zu Land, erklärte und pries ihm das in freier Luft auszuübende, Thatkraft fordernde Gewerbe, das er selbst betrieb und ihm zu übertragen hoffte, indem er ihn zum Sohn nahm.

*

Als aber der Tag kam, wo das Schiff unter Segel ging, blieb Jean an Bord . . . Fahnenflüchtig werden hieß für immer darauf verzichten, Frankreich, Antibes, das alte Haus und den Garten von Carigou wiederzusehen, und ebenso gut hätte man von ihm verlangen können, daß er freiwillig in den Tod ginge! Und dann . . . dieses Amerika stimmte so gar nicht zu seiner Poetenseele und Orientphantasie, die an Ruinen, am Unveränderlichen, an toter Vergangenheit hing . . .

Und doch that ihm das Herz weh, als die Anker fröhlich gelichtet wurden. Es that ihm doch leid um diese Marie, um ihr Blondhaar, das ihm der Wind so oft ins Gesicht geweht hatte, vielleicht am meisten um den Teil seines Selbst, den Teil von Leben und Liebe, der während seines Aufenthalts bei den Abendspaziergängen am grünen Grase haften geblieben war . . .

Er reiste ab mit dem Vorsatz, bald zu schreiben, jedenfalls wiederzukehren, vielleicht auch sie zu heiraten . . . Aber er war einmal so geschaffen, daß, was nicht seine Mutter war oder die Kindheitserinnerungen der Provence, schwer in ihm Wurzel faßte, leicht abglitt und die Schale seines Gleichmuts nicht durchdrang.


 << zurück weiter >>