Pierre Loti
Ein Seemann
Pierre Loti

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Zehntes Kapitel

So war der ganze Winter vorübergegangen.

Im Mai war ihm eine köstliche Station beschieden auf der Insel Rhodos, fast wie ein Kapitel aus einem Märchen.

Gerade als das in diesem Jahr ungewöhnlich lang andauernde frühjährliche Unwetter sein Ende erreicht hatte, lief das arme, wetterverschlagene Fahrzeug in den Hafen von Kandjiotos ein, und der Uebergang in andre Breitegrade, die Annäherung des leuchtenden Südens traf zusammen mit dem jähen Frühlingserwachen, dem Frühling des Morgenlandes. Das erhöhte für Jean noch den Zauber des Orients, dieses Märchenlandes, nach dem er sich gesehnt, von dem er geträumt hatte, weit da oben im Orangengarten von Antibes, und das sich nun doch plötzlich, wie ein ungeahntes Wunder aufthat in seiner ruhigen, schweigsamen, eintönigen Pracht.

Das Schiff bedurfte so umfassender Ausbesserungen, daß man einen Monat hier liegen bleiben mußte, fast lange genug, um heimisch zu werden und – um zu lieben. Am ersten Tag hatte man Schränkchen und Koffer aufgerissen, die durchnäßten Sachen in der milden Frühlingsluft ausgebreitet; fast war's, als ob das morsche Holzwerk des Schiffes selbst mitjubilierte, vor Freude darüber, Ruhe haben und in der Sonne trocknen zu dürfen.

Ach! Und der erste Abend, der hereinbrach, so klar, so still, so friedlich, von unbekannten fremden Düften durchwürzt! Jean hatte die Wache und durfte sich nicht vom Schiff entfernen, aber kaum war die Arbeit gethan, so sprang er ans Land, nur um auf dem Zerbröckelnden Hafendamm, der ihm bald so vertraut sein sollte, zu sitzen, halb ausgestreckt zu liegen. Mit einer Wollust voll unendlicher Wehmut erlebte er so in seiner Knechtsgestalt die Erfüllung seines Kindheitstraumes, er starrte in den goldschimmernden Himmel hinein und blickte zur Stadt hinauf, deren todesstarre Unbeweglichkeit sich in Goldschleier hüllte; das Morgenland offenbarte sich ihm, noch orientalischer und fremdartiger, als er's geträumt hatte, in der Gesamtheit der Erscheinung, wie auch in tausenderlei Einzelheiten, besonders in trotzig jedem Blick wehrenden hohen Mauern, die das Leben seiner Bewohner undurchdringlich umschließen.

Und während er so einsam am fremden Boden kauerte, erschien ein junges Mädchen, eine unverschleierte Griechin oder Syrierin, die ihm mit einem Schlag den ganzen Osten verkörperte. Sie stand in der allerersten Jugend, hatte tiefschwarze Augen mit schweren Lidern und üppiges Haar von glühender, wohl künstlicher Farbe. Ein wenig unentschlossenen Gangs, schritt sie, sobald sie den ausgestreckten Matrosen bemerkt hatte, an der äußersten Kante des gepflasterten Dammes schräg auf das Schiff zu, um noch näher an ihm vorüberzustreifen. Die mandelförmigen, nachtschwarzen Augen, die nur durch einen kleinen Spalt der langen dunkeln Wimpern hervorblitzten und von ein paar Strähnen des roten Haares fast ganz verdeckt wurden, hefteten sich aufmerksam auf Jean und tauchten in seine weit geöffneten blauen förmlich ein; sie lächelte und ging dann weiter, langsam, wie sie gekommen war, mit einem wiegenden Schritt, der die von keinem Mieder beengten, elastischen Hüften mehr als ahnen ließ.


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