Adolf Koelsch
Es ist sehr weit zum Paradies
Adolf Koelsch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXX.

Seit Rosa die Gewißheit zu haben glaubte, daß ihr Vater nicht gesonnen war, die Hand von seinem Beutel zu nehmen in der Weise, wie sie es gewünscht, hörte niemand mehr die Behauptung 291 von ihr, daß sie momentan nicht über die nötigen flüssigen Mittel zur Realisierung der großen Projekte verfüge, die sie vor Valär entwickelt hatte. Bei einem flüchtigen Telephongespräch, das sie veranlaßt hatte, um für das Sanatorium einen Rehbock bei Valär zu bestellen, gestand sie ihm vielmehr, daß auch diese Ausgaben sie nicht arm machen würden: gerade vorhin habe sie Brütsch mit einem neuen Angebot zu dem Besitzer des bekannten Waldstücks geschickt.

Brütsch fuhr jedoch ab bei dem Mann, und ebensowenig nützte es, daß sie persönlich mit einem neuen, noch flotteren Angebot in ihrem Fiat bei ihm erschien: – aus der guten Partie wurde nichts, und damit fiel auch das grandiose Straßenprojekt ins Wasser.

Rosa stieg siegesgewiß bei dem Bauer ab und ließ alle Register ihrer Verhandlungskunst spielen, um ihn zu überreden. Der Bauer hörte andächtig zu, kratzte sich gemächlich am Nacken oder am Hals, nickte auch ab und zu, aber zum Schluß sagte er, vor Geld habe er Angst, und der Wald sei ihm nicht feil. Der Wald habe seinem Vater gehört und vorher dessen Schwiegervater, und der Wald bleibe sein, solange er lebe.

»Entschuldigen Sie, bitte, aber ich habe es anders verstanden«, entgegnete Rosa. »Warum wollen Sie denn nicht, daß ich das Waldstück bekomme, wo doch für das Wohl der Gemeinde und für die Arbeitsbeschaffung so viel davon abhängt, daß ich frei darüber verfügen kann?«

»Wer hat hier zu befehlen, Sie oder ich?« fragte der Mann mit entfesselnder Ruhe. Er sagte es, wie wenn er mit seiner Frau oder mit seinen Kindern spräche, betrübt und mit einem nachträglichen rauhen, zitternden Lachen. Danach setzte er noch einmal zur Rede an.

»Sie verstehen natürlich nicht, daß ich nicht verkaufe. Wie sollten Sie auch? Sie haben nie Wald besessen. Sie haben nur Geld gehabt. Aber Geld ist nicht Wald. Nirgends steht in der Schöpfungsgeschichte, daß Gott das Geld an einem der sechs Tage erschaffen habe, zusammen mit der übrigen Welt. Aber daß er die Bäume gemacht hat, das steht gleich im ersten Kapitel. 292 – Vielleicht verstehen Sie nun, weshalb ich den Wald gegen all Ihr Geld nicht eintauschen will.«

»Dann ist das also Ihr letztes Wort?« fragte Rosa.

Der etwas kurzatmige Mann mit dem runden derben Gesicht und den winzigen Ohren blickte sie lange an, geduldig, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und schien zu überlegen. Dann räusperte er sich und sagte in fast flehendem Ton:

Nein, sein letztes Wort sage er jetzt; er hätte es gern für sich behalten, aber da sie noch immer nicht gehe, sage er es. Ein Mann sei zu ihm gekommen und habe gesagt: »Ich habe gehört, daß meine Frau Ihren Wald kaufen will?« – Dann habe der Mann genickt und habe hinzugesetzt: »Jaja, aber merken Sie sich, daß ich für Schulden meiner Frau nicht aufkommen werde.«

Rosa wankte.

»Aber ich sitze im Gemeinderat und ich weiß, was Sie versteuern. Ich weiß auch, was er versteuert,« fügte der Bauer hinzu. »Deswegen geschieht es also nicht, daß ich den Wald Ihnen nicht gebe. Aber vielleicht fahren Sie nun doch heim und hauen ihm ein paar hinter die Ohren. – Beinah hätt' ich's selber getan.«

Im Gefühl, daß es vergeblich sei, ein Herz zu haben, wenn man mit einem Menschen wie Streiff verheiratet war, wendete Rosa ihren Wagen und fuhr in schärfstem Tempo am Sanatorium vor.

Weiß wie Salz ging sie über die Treppe.

 

Knapp eine Stunde danach wurde Dr. Elmenreich, mitten aus der Sprechstunde heraus, ans Telephon gerufen. Dr. de Kälbermatten war am Apparat und bat ihn dringend, doch sofort ins Sanatorium zu kommen – ein Unglücksfall – eine schwere Verbrennung – das Nötigste habe er bereits vorgekehrt – genauer gesagt: eine Verbrühung – und der Patient sei Doktor Streiff. Kälbermatten flüsterte, als stünde er an einem Sterbebett, und Elmenreich dachte an Schlimmstes. Er brach seine Sprechstunde ab, packte Brandbinden, Bürsten, Tanninpulver, Thymol, Gipspulver, Lärchenharz und eine Flasche Lebertran ein, um für jeden Grad von Verbrennung gerüstet zu sein, vergaß auch Kreislaufmittel 293 und Narkotika nicht und fuhr in schärfstem Tempo bergan.

Dr. Streiff lag auf dem Bauch im Bett, betäubt von Schmerzen und einem Narkotikum, das man ihm eingespritzt hatte, und stöhnte dumpf vor sich hin. Der Oberkörper war nackt, das Gesicht war gegen die Matratze gekehrt, und der Nacken, die linke Schulter und der dazugehörige Oberarm sowie ein Teil des Rückens waren von einer flammendroten Wunde bedeckt, die in Blutwasser schwamm und abscheulich aussah, weil die geplatzte Oberhaut von den Rändern her in versengten runzligen Fetzen nach Innen ragte. Die Wunde bildete ein nahezu zusammenhängendes Ganzes und reichte in ihrer größten Achse vom Ansatz des Nackenhaares bis auf die Höhe der linken unteren Lungenspitze. In der Mitte des Rückens saß isoliert noch ein zweiter, aber viel leichter getroffener und viel kleinerer Herd. Kälbermatten hatte vorläufig das einzig Richtige getan: er hatte für einen luftdichten Abschluß der verbrannten Zone gesorgt.

Bei näherer Untersuchung stellte sich aber heraus, daß die Verletzung weniger schlimm und gefährlich war, als sie aussah. Denn nur an wenigen Stellen verrieten bräunliche Linien und Flecken, daß die Verbrennung tiefer gedrungen war und auch die Wachstumsschicht des Unterhautgewebes getroffen hatte. Da die zerstörte Fläche auch nicht beunruhigend umfangreich war, glaubte Elmenreich, die kräftige Gesamtverfassung Dr. Streiffs miteingerechnet, keine jener Selbstvergiftungen des Körpers befürchten zu müssen, die bei Verbrennungen als Folge einer Überschwemmung des Säftekreislaufs mit lebensfeindlichen Abbauprodukten der getöteten Zellen dem Patienten nicht selten ein peinliches Schicksal bereiten, weil die wirksame Unschädlichmachung dieser Stoffe sich dem ärztlichen Einfluß beinahe gänzlich entzieht. Elmenreich entschloß sich daher, von jeder gewaltsamen Behandlung des Wundherdes abzusehen, und Kälbermatten, zu unerfahren auf diesem Gebiet, um raten oder widersprechen zu können, ließ dem Kollegen ganz freie Hand.

Zunächst bekam Dr. Streiff noch eine Spritze, die seine Betäubung vertiefte. Dann ließ ihn Elmenreich ins Behandlungszimmer befördern. Hier führte er unter Assistenz Kälbermattens eine 294 gründliche und vollständige Reinigung der beiden Wundherde von allen ablösbaren Substanzresten durch. Dann strich er einen dicken Lebertran-Gipsbrei auf, den eine Pflegerin inzwischen nach seinen Anweisungen zubereitet hatte, und legte um Hals, Arm und Oberkörper einen Verband. Nach dem Erwachen müsse Dr. Streiff zu Bett gebracht werden. Er dürfe aber nicht liegen, wenigstens vorläufig nicht; er müsse sitzen, auch bei Nacht. Er werde zu diesem Zweck ein Stützgerüst anfertigen lassen, das den Körper in der richtigen Lage halte. Das Schlafen werde mit Unbequemlichkeiten verbunden sein, aber eine passende Kopf- und Armstütze werde manches erleichtern. Zu diesem Gestell nahm Elmenreich jetzt noch das Maß und verfertigte eine Zeichnung davon für den Bandagisten. Zeige sich Temperatur, so bitte er sofort um Bescheid. Andernfalls komme er erst morgen auf seiner Abendtour wieder.

Erst nachdem dieses alles geordnet war, und sie in Kälbermattens Ordinationszimmer keine fremden Ohren mehr als Zuhörer hatten, konnte sich Elmenreich nach dem Hergang des Unglücks erkundigen. Da aber niemand dabeigewesen war als Frau Dr. Streiff, konnte Kälbermatten nur berichten, was ihm diese anvertraut hatte, und das war so alltäglich wie möglich. Es beschränkte sich auf die Mitteilung, daß sie ausgeglitten sei, auf dem Parkett, als sie eben den Tee auf den Tisch stellen wollte. Dr. Streiff sei in seinem Stuhl gesessen, über den Tisch gebeugt, ohne Weste und Rock, in einem dünnen Seidenhemd, und während sie sich an seinem Stuhl zu halten versuchte, sei ihr das Tablett entglitten. Die Kannen mit dem siedend heißen Tee und dem siedend heißen Wasser hätten ihren ganzen Inhalt über seinen Rücken ergossen und ihn verbrüht. Brüllend sei er davon gelaufen.

»Dann müssen das aber große Kannen gewesen sein«, meinte Elmenreich.

Herr und Frau Dr. Streiff hätten Gäste gehabt, aber diese seien noch im Garten gewesen. Es war ein Service für sechs Personen. Sonst lege sie keinen Wert darauf, die Hausfrau zu spielen. Aber den Gästen zu Ehren habe sie es getan. 295

»Ihr selbst ist nichts geschehen dabei? – Ich frage, weil ich sie bis jetzt nicht gesehen habe.«

»Nein, nichts.«

Als Elmenreich das Haus gerade verlassen wollte, kam ihnen Rosa von unten entgegen.

»Sie gehen?« – Ihre grünen Augen blitzten kurz auf, und sie reichte Dr. Elmenreich mit einem undeutbaren kleinen Lächeln die Hand. Ihr Gesicht war ruhig und kühl, ebenso ihre Stimme.

Ja, antwortete Elmenreich. Sein Werk sei getan.

»Und was ist Ihre Meinung?«

Elmenreich gab ihr Bescheid. Alles hätte ja noch viel schlimmer ausgehen können.

»Nicht wahr? Stellen Sie sich bloß vor, ich wäre von vorn gekommen«, entgegnete sie, »und statt des Rückens hätte ich ihm das Gesicht verbrüht, sein nichtsnutziges Jungengesicht, in dessen scharmantes Lächeln alle Frauen verliebt sind! Nicht auszudenken! Dabei hätte ich ja wirklich ebenso gut von vorn kommen können. . . . Und wissen Sie auch, was mich zum Straucheln brachte? – Es ist fast lächerlich, daß einem so etwas keine Ruhe läßt. Aber wir haben nachgeforscht und inzwischen festgestellt, daß es ein winziger nasser Kirschenstein war. Wer aber hat schon vor dem Tee von den Kirschen genascht, die erst nach dem Tee serviert werden sollten, und hat mit den Steinen nach dem Zimmermädchen geschossen? Er! . . . Ueberall lagen solche Steine umher . . . So hat er sie zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt und dann fortgeschnellt! Das Zimmermädchen hatte sogar einen im Haar . . . Aber ich muß jetzt nach oben und mir einen Mantel holen.«

Sie verabschiedete sich. Gleich nachher fuhr sie wieder davon.

 

Seit Rosa das Waldstück entgangen war, warf sie ihren Blick nach der andern Seite des Berges. Und wieder schickte sie Brütsch mit einem Angebot auf die Reise. Aber auch das Rietland, das diesmal auf ihrem Wunschzettel stand, wurde ihr abgeschlagen, und ebensowenig bekam sie ein paar Fuhren Mist, für die 296 Gärtnerei, zum Kompostieren. Denn es hatte sich wegen ihrer Bodenkäufe eine recht gereizte Stimmung gegen sie unter den Bauern ausgebildet, und auch jene machten dabei recht kräftig mit, die gar nicht in die Versuchung geraten waren, Rosas Angebot zu erliegen, weil sie Grundbesitz in der Gegend, in der Rosa kaufte, überhaupt nicht besaßen.

Es war die alte Feindschaft zwischen Bauer und Städter, Landmann und Geldmann, die sich da regte. Und man nannte Rosa nur noch die Länderfresserin in diesen Kreisen, wenn man von ihr sprach, und nicht mehr das Märchen. Dieses Wort war plötzlich aufgetaucht, lief ihr voraus und lief ihr nach, und manche von denen, die sich zuvor ganz gern dieses und jenes Grundstück hatten abhandeln lassen, fühlten sich mit einemmal ausgeplündert und haßten sie. Auch Brütsch, der Makler, war vor Schlägen nicht mehr ganz sicher, wenn er mit seinen gelben Schuhen in einer Wirtschaft erschien. Denn die Leute, die sich von ihm zu einem Verkauf hatten überreden lassen, entdeckten nun, daß sie mit dem Land auch dessen Erträge veräußert hatten. Dieser und jener mußte seinen Viehstand verkleinern, weil das Futter jetzt nicht mehr für so viele Tiere reichte wie ehedem, und auch ihre Bezüge an Milchgeld und Kälbergeld oder an Obstgeld nahmen ab, weil sie nun eine kleinere Fläche bebauten. Auf der andern Seite mußten sie jede Ware teurer bezahlen, weil der Franken infolge der Abwertung an Kaufkraft eingebüßt hatte; sobald sie einen Laden betraten, merkten sie das, und so rann ihnen auf vielen kleinen Kanälen der Landerlös tropfenweise wieder davon. Wozu führte das alles? Führte es nicht dazu, daß die Güter der Welt sich noch viel ungleicher verteilten, als sie es schon ohnedies waren, und daß sie dabei nur verloren?

Das alles hatten sie nicht mit in Rechnung gestellt, aber hintennach spürten sie es. Sie begannen sich als Opfer des Reichtums zu fühlen, übertölpelt und ausgesogen, und sie waren sich plötzlich einig darin, daß der Boden der Erde nur denen gehören sollte, die ihn mit eigenen Händen bebauen.

Rosa ließ sich durch das alles nicht irre machen, sondern schränkte sich auf das ihr Mögliche ein. Und als die Bauern dann 297 sahen, daß Rosa wirklich Anstalten traf, um den Boden von Grund auf umzuwälzen, und daß Brütsch also doch nicht geflunkert hatte mit seinen Reden von einer Musterwirtschaft, für die sie weder den Unternehmungsgeist noch das Kapital aufbringen konnten; als ihnen im Zusammenhang damit auch zum Bewußtsein kam, daß da jemand war, der hervortrat aus der Masse und etwas wagte, was weit über ihre eigenen Kräfte ging, da wollten ihnen ihre aufsäßigen Reden nicht mehr so gut gefallen. Sie blieben zwar mißtrauisch und verstockt, und mancher lernte das, was er für seinen Verlust hielt, nie ganz verschmerzen. Aber die offene Feindseligkeit trat doch zurück hinter der Neugier auf das, was nun käme.

 

Das Erste, was sie entstehen sahen, war Rosas Haus. Im Schutz einer Bodenwelle wuchs es unter Leitung Zünds mit überraschender Schnelligkeit aus dem Boden. Das Zweite, was sie bemerkten, war, daß Zünd, wenn er nicht auf dem Bauplatz weilte, in schweren Nagelschuhen und Wickelgamaschen über die Felder und die Grasböden schritt und gewisse vorbereitende Arbeiten machte, deren Zusammenhang und Sinn sie nicht verstanden, obgleich der Name Landvermessung und Planierung unter ihnen dafür geläufig war. In Zünds Begleitung befand sich regelmäßig ein halbwüchsiger Bursche aus dem Dorf, der allerhand Meßlatten, Meßbänder und schwere lederne Taschen trug, und hinter ihnen her fuhr mit einem Schubkarren, voll von Pfählen wechselnder Länge und allerhand Handwerkszeug, ein älterer Mann mit grauem Stoppelbart, der den Mund immer voller Kautabak hatte und verwaschene blaue Ueberzughosen mit einem frischblauen Knieplätz auf jeder Seite. Wenn dann Zünd einen bestimmten Punkt, an dem der Jüngling einen seiner farbig geringelten Maßstäbe aufstellen mußte, eine Zeitlang anvisiert hatte und danach ebenso einen zweiten und dritten Geländepunkt, rechnete er in seinem Taschenbuch schnell etwas aus und schrieb die gefundene Zahl in eine Tabelle; auch in den Plan auf dem Kartentisch wurde sie eingetragen. Dann mußte der Mann mit dem Schubkarren kommen, Pfosten mit roten 298 Köpfen wurden in die Erde gerammt, und manchmal wurde an den Pfostenkopf aus einem Lattenstück noch ein kurzer Querarm genagelt, der nach einer bestimmten Richtung wies, und dieser Querarm bekam eine Zahl mit Plus- oder Minuszeichen zu tragen. Fast täglich erschien auch Rosa in ihrem roten Schopf auf dem Plan, bald zu Fuß, bald in ihrem kleinen Fiatwagen, konferierte mit Zünd, der mit seinem dunklen Apostelkopf neben ihr stand, und sie wies mit ihren Armen bald dahin, bald dorthin, und blickte über ihr Reich.

Dies alles bewies, daß Rosa sich abgefunden hatte mit der widerspenstigen Lage, in die sie durch die Unzugänglichkeit des Waldbesitzers und durch die Harthörigkeit ihres Vaters geraten war. Valär gegenüber behauptete sie sogar, nun sei ihr erst wirklich wohl; denn sie sei auf diese Weise niemand verpflichtet außer sich selbst.

Bei dieser Gelegenheit teilte Valär ihr endlich auch mit, daß ihr Vater inzwischen Heide geworden sei. Zur Zeit baue er ein Mausoleum für ihn; es sei schon bald fertig.

Zunächst antwortete Rosa nur, daß Lily vor nicht langer Zeit ihren Vorschlag zu einer kurzen Zusammenkunft an einem neutralen Ort abgelehnt habe. Es sei geschehen mit der Begründung, daß sie ihren Mann nicht allein lassen könne. Bilde Lily sich ein, daß ihr irgendjemand das glauben werde?

Valär sah Rosa vor sich sitzen, während sie diese Frage erwog: im Garten des Schwedenhäuschens, von Halbschatten übertupft, mit dem Rücken gegen das Licht, angetan mit einem großblumigen Kleid, das ihr gar nicht stand. Vor sich hatte sie ein eisernes Tischchen mit Teegeschirr, auf dem Rücken des übergeschlagenen Schenkels hielt sie ein Buch über Tomatenkultur, in dem sie gelesen hatte, und auf den Schutzumschlag malte sie mit einem Bleistift gedankenlos Zahlen, Kreise, Buchstaben, Häuschen mit einem Kamin, die plötzlich Räder und eine Deichsel bekamen: wie Kinder es machen, wenn sie gezwungen sind, das Zimmer zu hüten, weil es draußen regnet oder sie nicht ganz wohl sind. Und während sie ihre Figürchen malte, standen ihre 299 Backenknochen wie Bunker aus ihren gebräunten Wangen hervor, und ihre Augen waren lauernde Schlitze.

Aber Valär hörte nur zu, trank eine Tasse Tee, und studierte aufmerksam ihre Mienen, während sie mit jener Frage beschäftigt war. Eine Antwort auf ihre Frage hatte er nicht.

Plötzlich ging Rosa zu etwas anderem über. Wie zum Abschluß einer langen Kette von Ueberlegungen, die sie längst bei sich selber angestellt haben mochte, sagte sie unvermittelt, es habe für sie keinen Zweck, in dieser Sache mit ihrem Vater noch länger auf ihren Gefühlen herumzubrüten; ihre Gefühle seien ja ohnedies nicht mehr viel wert. Eine Weile später behauptete sie, ihren Vater »überhaupt nur noch symbolisch« zu sehen, und als Valär auch zu dieser geheimnisvollen Aeußerung schwieg, erklärte sie, sein Uebertritt zum Heidentum habe sie gar nicht überrascht. Im Grund sei er immer ein Heide gewesen. Sein offener Uebertritt sei nur ein neuer Beweis für die rauhe Unbedenklichkeit seines Charakters. Sie schließe daraus, daß er wirklich noch sehr kräftig am Leben sei.

Auch diese Auffassung Rosas ließ Valär auf sich beruhen. Aber er teilte sie nicht. Seit er das Mausoleum in Arbeit hatte, fuhr er alle acht Tage hin, um den Bau zu kontrollieren, und jedesmal bekam er auch Saxer, wenigstens für Augenblicke, zu sehen. Der Eindruck, der sich während dieser Besuche bei ihm zu bilden begann, nahm immer ausgesprochener das Bild einer Flamme an, die sich selber verzehrt. Früher hatte die Flamme andere gefressen. Jetzt fraß sie sich selbst, und zwar mit Vergnügen. Noch immer brannte sie, hell und steil. Aber sie wurde doch zusehends kleiner. Mitunter begann sie sogar heftig zu flackern, ohne daß von außen her ein Luftzug an sie geriet.

Das alles bewog Valär, sich mit der Fertigstellung des Mausoleums sehr zu beeilen. Und er setzte es durch, daß er seinem Auftraggeber die Vollendung des Baus schon Ende Oktober melden konnte. 300

 


 << zurück weiter >>