Adolf Koelsch
Es ist sehr weit zum Paradies
Adolf Koelsch

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XXVI.

Es konnte nicht fehlen, daß das Getöse, das um die Pfarrwahl allmählich in der Gemeinde entstand, auch einen Mann auf die Beine brachte, der sich nicht leicht durch etwas erschüttern ließ. Dieser Mann war Brütsch.

Nach einer kurzen Unterredung mit Heidi, der Aufnahmeschwester des Sanatoriums, hatte Valär ihn seines Postens als Jagdaufseher enthoben, und das war in Selines Augen die größte Schande, die ihm seit seiner Entlassung aus dem Zuchthaus widerfahren war, aber nur eine gerechte Strafe für vieles. Valär ließ ihn in sein Häuschen kommen und sagte zu ihm:

»Brütsch, Sie treiben nun so viele Geschäfte, bei denen sich mit Ihrer Redekunst ein schönes Stück Handgeld verdienen läßt, daß ich es nicht verantworten könnte, wenn ich Sie durch meine Zumutungen als Jagdherr von einer noch umfassenderen Auswertung Ihrer 259 Begabung abhalten würde. Sie haben eine Zwergbulldogge für zwanzig Franken gekauft und für dreihundertzwanzig am gleichen Tag losgeschlagen – Sie haben es selbst allen möglichen Leuten erzählt und sich dabei ins Fäustchen gelacht. Eintausendsechshundert Prozent haben Sie gesagt, fast wie in der Chemischen Industrie: ›Da könnt ihr sehen‹, haben Sie erklärt, ›was für einen guten Einfluß ich auf mich selbst habe!‹ . . . Auch mit Ihren Maklerdiensten bei dem Verkauf von Dreitannen und bei andern Länderkäufen einer gewissen Dame sollen Sie nicht schlecht gefahren sein. Sicher sind auch sonst noch viele Menschen darauf erpicht, Ihre vielseitigen Gaben für sich in Anspruch zu nehmen. Es wäre unrecht von mir, wenn ich diesen andern dabei im Weg sein wollte. Sie können mir auch weiterhin die Bäume spritzen und den Honig ausnehmen, wenn Ihnen das nicht zu wenig ist. Aber das Jagdgewehr, Brütsch, das liefern Sie ab und die Jagdkarte auch – morgen früh treten Sie mit beidem hier an – ich erwarte Sie gegen halb neun. Ihren Lohn werde ich Ihnen für einen Monat noch ausbezahlen, am ersten – so, wie bisher.«

»Ja«, antwortete Brütsch, »ich hatte selbst nicht erwartet, daß ich in Gottes großmächtiger Weltordnung noch so hoch steigen würde, wie Sie es soeben sagten. Aber die Bäume spritze ich auch in Zukunft gern, und mit Seline habe ich eh noch einen Güggel zu rupfen.«

 

Nein, Brütsch machte keine Leidensmiene zu seiner Entlassung. Seit Rosa ihm seine Kommissionen ausbezahlt hatte, fühlte er sich so sehr als reicher Mann, daß es mit ihm fast nicht mehr zum Aushalten war, und er ging mit dem vielen Bargeld im Sack geschwollen umher, begierig, es gewinnbringend anzulegen. Zu einem Cadillac, wie er einmal geträumt, hätte das Geld allerdings nicht gereicht. Aber gab es nicht auch andere Occasionen, mit denen ein Mann wie er ganz nett Schmalz machen konnte? – Jedenfalls fuhr Brütsch jetzt des öfteren in die Stadt und, anscheinend als Erfolg dieser Fahrten, erhob sich in seiner zu ebener Erde gelegenen Sattlerwerkstatt und auch dahinter ein geschäftiges, vorwiegend 260 nächtliches Treiben. Kleine Fuhrwerke oder kleine Lastwagen fuhren bei ihm vor, luden altmodische Warenkörbe und Kisten ab, und wenn die Körbe und Kisten hinter den verschlossenen Läden der Werkstatt verschwunden waren, machten sich die Wagen in großer Eile wieder davon. Manchmal kam eine Sendung auch mit dem Bähnchen, und er holte sie persönlich mit einem Handwagen ab. Auch »die dicke Agnes«, die Hausiererin, Brütschs geschiedene Frau, begann wieder fleißig bei ihm ein- und auszugehen. Mit leeren Koffern und Körben, sagten die Weiber, käme sie bei ihm an, und mit vollen zöge sie wieder ab. Einmal kam jemand aus einer Nachbargemeinde durch Brütschs Hintertüre sogar mit einem prächtigen Fahrrad heraus, obgleich er den Laden ohne ein solches betreten hatte.

Brütsch machte sich nicht das Geringste daraus, wenn jemand auf diesen Betrieb eine Anspielung wagte. Er wußte von nichts und lebte flott weiter. Sofort nach seiner Entlassung als Jagdaufseher hatte er sich in der Stadt ein Paar senfgelbe Schuhe gekauft und eine Hornbrille mit Fenstergläsern, und beides war zum Aufsehenerregen ebenfalls wie geschaffen. Die Schuhe zog er an, wenn er um die Schoppenzeit in die »Rose« oder den »Sternen« spazierte, und die Brille setzte er auf, wenn es darauf ankam, daß er beim Zahlen unter den vielen losen Münzen in seinem Hosensack sich nicht vergriff, oder daß ihm beim Trinkgeldgeben nicht eine ehrenrührige Verwechslung passierte. Wenn niemand in der Wirtschaft war, zu dem er sich an den Tisch setzen konnte, zu einem Trunk und einem Schwatz, ging er, noch unter der Türe, wie ein Krebs wieder hinaus. »Komme später wieder«, rief er der Bedienung zu und verschwand. Sooft er aber Gesellschaft fand, hatte er nach kurzer Zeit die Führung des Gesprächs an sich gerissen und war der stimmliche und geistige Mittelpunkt des ganzen Lokals. Ach, die Weltlage und die Lage im Land gaben ja so viel zu reden! Zurzeit aber machte Brütsch am liebsten in Dorfpolitik. Wenn die andern daher eine Weile von verlängerter Rekrutenschule oder von Fliegerabwehrtruppen gesprochen hatten, weil das augenblicklich das Neueste war, oder wenn sie davon gesprochen hatten, daß der Steuerfuß in der Gemeinde demnächst herabgesetzt werden 261 könne, weil Frau Dr. Streiff eine fast märchenhafte Summe aus ihrem Vermögen und Einkommen bezahle, so unterbrach er sie beinahe schroff und sagte gebieterisch:

»Daß ihr mir aber nicht wieder den Köbi wählt, nundedi! Habt Ihr verstanden?« – Und mit dem Köbi meinte er Leuthold, den Gemeindepfarrer, genau wie die andern auch.

Manche der Gäste senkten bei diesem Kriegsruf die Köpfe und verbargen ihre Gesinnung hinter einer Miene von saurer oder lässiger Nachdenklichkeit. Es war ihnen ja längst keine Neuigkeit mehr, daß sich seit einiger Zeit ein ungnädiger Wind gegen den Pfarrer erhoben hatte, und alle wußten sie gut, daß Leuthold gehen mußte, wenn seine Amtsperiode durch die Stimmberechtigten nicht auf weitere sechs Jahre verlängert wurde. Sie wußten auch, daß das eine große Schande war, und ein solcher Pfarrer wohl nirgends im Land mehr ankommen konnte. Aber war Brütsch der Mann, der das Recht hatte, ins Feuer zu blasen und ihnen mit Verhaltungsmaßregeln nahezutreten?

Andere am Tisch hoben die Gesichter höher empor und guckten sich an. Ihnen war es ganz recht, daß einmal von dieser Sache gesprochen wurde – wer hatte es denn nicht satt, daß man aus den Reihen seines Anhangs nun auch noch gegen die Spitalverwaltung loszog, weil sie eine gewisse Schenkung von Ungenannt mit Dank akzeptierte?

Während der ersten Jahre hatte ihnen an dem Mann allerlei gut gefallen. Es war ihnen recht gewesen, daß er kein säuselnder Christ, sondern ein Lautsprecher war und ein Mann, den man trampeln hörte, wenn er mit seiner stämmigen Mörserfigur und seinen streitbar rollenden Kugelaugen die Kanzel bestieg, um die Menschen im Namen des Herrn zur Ordnung zu rufen und stürmisch für das einzutreten, was er im öffentlichen und im häuslichen Leben für das Richtige hielt. Wo war ein Pfarrer, der im Handelsteil der großen Zeitungen die Berichte über die Jahresabschlüsse der Banken, der Versicherungsanstalten, der Handels- und Industrieunternehmungen las und ihre Dividenden notierte? Gegen Ostern hielt er dann eine flammende Rede und rief, genau wie der Herr Christus: Peitscht die Wucherer zum Tempel hinaus! . . . 262 Immerhin, bis sechs Prozent ließ er gelten, und so verdarb er es noch lang nicht mit allen.

Oder wo war der Mann, der – im Anschluß an irgend ein Gotteswort – so überzeugt davon sprechen konnte, daß die Familie die Urzelle jedes demokratischen Staatswesens sei? Daß jedoch dieses Gebilde bei uns mehr und mehr in Verfall gerate, denn jeder achte Schweizer heirate eine Ausländerin und helfe dadurch die Mütterherde Jahr um Jahr um einige tausend Frauen vermehren, die ihr landfremdes Blut und landfremdes Wesen in ihren Nachkommen weitertrügen und dadurch die Gefahr ins Unabsehbare wachsen ließen, daß fremde Gesinnungsart zu einer dauernd fortwirkenden Einmischung in die heimischen Verhältnisse kam und Gelegenheit fand, sie zu zerstören? Dabei geschehe dies alles auf rechtlichem Weg, im Schutz der Landesgesetze und der Behörden! »Eidgenossen, seid ihr gewillt, diese Mißstände, die aus jeder fremden Mutter einen Brückenkopf der schleichenden Eroberung machen, noch länger zu dulden? Seid ihr schon so verweichlicht, so matt, verwirrt und verwöhnt, daß ihr lieber alles seinen Weg gehen laßt, als diesem Gift und beschämenden Unfug zu steuern?«

Solche Worte hatten auf die Leute Eindruck gemacht. In der Ausländerfrage waren plötzlich sozusagen höhere Gesichtspunkte da. Leuthold hatte sie aufgespürt, und die Kirchgänger waren stolz darauf, einen Stoff zu haben, über den sie noch weiter nachdenken konnten.

Ebensowenig hatte es seine Wirkung verfehlt, daß ihr Pfarrer sich selbst, bald da, bald dort, zum Mittagessen einlud, bei Reichen, Armen und Aermsten. So überraschend wie einst der Herr Jesus kam er hereingeschneit – ganz unangemeldet fand er sich ein, wenn die Suppe schon in der Schüssel dampfte, nahm Teil an dem Mahl und hinterließ seinen Segen. Er nannte das Pflege der Nachbarschaft und der Brüderlichkeit unter den Menschen. Niemand konnte ja wissen, daß er während seiner Gymnasiastenzeit und auch später während seiner Studentenjahre, dank den Empfehlungen wohlmeinender Menschen, an Freitischen einen wesentlichen Teil seines Unterhaltes gefunden hatte, und daß das Herumessen in 263 der Gemeinde nur die Fortsetzung einer alten lieben Gewohnheit war, von der er nicht lassen konnte. Aber auch diejenigen, die so taten, als wäre ihnen der Herr Pfarrer jedesmal ein hochwillkommener Gast, hatten sich doch diebisch gefreut, als sie hörten, was sich der Schlosser Wäspi geleistet hatte. Von diesem Mann ging die Sage, daß auch bei ihm Pfarrer Leuthold sich einmal überraschend zum Mittagessen angesagt habe, als es aus der Küche der Frau verlockend nach Schweinernem roch. »Gern, gern, Herr Pfarrer«, habe Wäspi zur Antwort gegeben: »Aber nur, wenn Ihr mich dafür am nächsten Sonntag predigen laßt.«

Aber nun hatte es mit dem Pfarrer, diesem belebenden Element, doch mehr und mehr Reibereien gegeben, und geradezu peinlich war man berührt, daß er neuerdings auch schon im Dunkeln focht. In der Ausländerfrage trat er wenigstens offen hervor. Und da es genug Leute im Lande gab, denen in der wachsenden Gemütsverwirrung der Zeit anscheinend nicht länger wohl war, wenn sie nicht einen Nigger hatten, den sie öffentlich auspeitschen konnten, fehlte es ihm auch nicht an offener Anhängerschaft. Aber selbst diese Unentwegten konnten nicht vergessen, daß die von einem Ungenannten im Bezirksanzeiger erhobene Forderung nach Rückgängigmachung der Annahme einer gewissen Schenkung an die Spitalverwaltung durch eine mit J. L. gezeichnete Zuschrift an das Blatt unterstützt worden war.

Diese Zumutung verstanden die Leute nicht, einerlei, von wem sie kam, und seit durchgesickert war, daß die Dame vom Sanatorium die ungenannte Geberin sei, schüttelte man sogar entrüstet den Kopf. Es konnte Schlimmeres geben als dieses Sanatorium und diese Frau, die dort regierte. Von den Einwohnern hatte sie jedenfalls noch keinen beraubt oder verführt. Sie hatte nur geschenkt und Arbeit beschafft und Gutes getan. Woher sie ihre Mittel hatte, ging niemand etwas an. Denn wenn man so forschen möchte nach allem Ursprung, den Geld und Geldeswert haben kann, ob es nun in großen Haufen beisammenliegt oder in so kleinen, daß man es kaum sieht, so müßte man ja schließlich dahinterkommen, daß vollkommene Armut der einzig rechtmäßige Zustand sei auf dieser Erde. Wem wäre damit gedient? 264

Dieser Stoff wurde jetzt auch am Wirtshaustisch ausgebreitet, von Brütsch, und er war keineswegs der erste und einzige, der auch den Namen Leutholds dabei mit hereinzog.

Einer der Männer am Tisch erwiderte Brütsch:

»Du gehst ja nicht so viel in die Kirche, daß es für dich nicht einerlei wäre, ob auf der Kanzel eine Wildsau rumspringt oder der Köbi.«

»Ich? Da kennst du mich schlecht. Mit Vergnügen wäre ich Sonntag für Sonntag da und würde mit dem Klingelbeutel das Opfer einsammeln, wenn zum Beispiel der Wäspi predigen täte. Aber einer wie der Köbi, der sich so unchristlich an seinen Nächsten vergreift – nein, pfui Teufel, von dem laß ich mir nicht sagen, wo der Weg in den Himmel führt. Lieber träfe ich mich mit euch in der Hölle.«

»Das weiß keiner von uns, ob er den Artikel geschrieben hat«, meinte einer der Männer. »Es gibt noch andere J. L.«

»Er war's«, behauptete Brütsch. »Ich hab's aus ff. erster Quelle.«

»Meinst du damit deine Frau oder dich selber?«, spottete einer.

Brütsch spuckte in ihr Gelächter hinein verächtlich unter den Tisch, machte einen Buckel wie eine Katze, wenn's donnert, und erklärte wichtig:

»Das Papier, auf dem der Artikel geschrieben war, ist amtlich – darum handelt es sich! Es ist Amtspapier.«

Man blickte sich an. Man begann das Wort zu bedenken.

»Amtspapier?« fragte einer der Männer.

»Wie ich es sage! Am Kopf ist ein Aufdruck, und der Aufdruck heißt: Pfarramt Escholzwil. Das Pfarramt ist durchgestrichen, aber der Aufdruck ist da.«

»Hast du es gesehen?«

»Und ob! Wenn ich wollte, brauchte ich bloß aufzustehen und das Papier in Empfang zu nehmen. Ihr könntet euch dann selbst überzeugen, daß es so ist. Aber ich habe sofort gesagt, daß ich so ein Todesurteil nicht bei mir im Haus haben möchte, und habe das Papier deswegen seinem Besitzer wieder zurückgegeben.«

Gemurmel. Nichtverstehen. Verlegenheit. Es war zu viel des 265 Dunklen und Wichtigen, was Brütsch in einem einzigen Atemzug aufgetischt hatte – einen Vers dazu konnte niemand sich machen. Einer der Männer stand sogar auf und ging; er schlich sich förmlich von dannen. Brütsch aber saß da wie ein Feldherr, dem an einer gefährlichen Stelle der Durchbruch bereits gelungen ist und der von nun an wieder über Operationsfreiheit nach allen Seiten verfügt. Er genoß seine Lage.

Endlich fragte einer:

»Dann ist das Papier also gefunden worden? – Mir hat man gesagt, es sei längst beseitigt.

»Beseitigt?« – Und während der Zeit, die mit dieser Frage verstrich, geriet in Brütschs Kopf ein neues Rädchen in Gang. Er schnickte den Hut mit einem Tupf seines Zeigefingers noch etwas mehr in den Nacken und erwiderte hochgemut: »Natürlich ist es beseitigt worden. Damit hast du ganz recht. Aber, sagt selbst,« fügte er flüsternd hinzu und steckte seinen Kopf mit den entgegenkommenden Köpfen der andern zusammen, »ist eine Matratze der Ort, wo ein vernünftiger Mensch so etwas versteckt?«

»O!« stöhnte einer.

»Ja, Weiber!« bestätigte Brütsch. »Die Frau hatte natürlich keine Ahnung davon und hat mir die Matratze zum Flicken gegeben. Unter dem Drilch war es verborgen, das lasterhafte Papier. Als die Matratze aufgetrennt wurde, ist es herausgesprungen.«

Auch diese vertrauliche Mitteilung machte das Dunkel nicht lichter. Aber sie brachte Spannung in die Geschichte, und das war dem einen und andern schon noch einen Becher wert. Auch Brütsch bestellte sich einen neuen.

»War es dem Köbi seine Matratze?« fragte einer der Männer mit kühnem Entschluß.

»Fast hätte ich ja gesagt«, entfuhr es Brütsch. Wieder spuckte er zwischen seinen Beinen hindurch unter den Tisch. »Nein, es war nicht seine«, sagte er dann. »Die Sache ist viel verwickelter. Die Matratze gehört einem, der bei der Zeitung ist.«

»Stell dir vor!« rief der Mann. 266

»Ja, stell dir vor! Der Köbi hat bei ihm zu Mittag gegessen, als er merkte, wo er sich mit dem Artikel hinkutschiert hatte. Da hat er den Mann von der Zeitung verführen wollen, das Papier im Archiv der Redaktion für ihn zu klauen. Er meinte, daß der Mann ja ein Frommer sei, und er würde es schon für ihn tun.«

Die Sache wurde immer geheimnisvoller, strengte mehr und mehr an. Das hatten diese Leute beim Bier nicht gern. Eben war man bei einer Matratze und inmitten wachsender Spannung gewesen. Aber wo befand man sich jetzt? Bei einem Mittagessen! Und als einer unter Protest erklärte, daß das ja der reine Aprilpflüdder sei, und keine Sau kenne sich in der Geschichte mehr aus, gab Brütsch das ohne weiteres zu. Aber er schickte sich auch sofort an, einen Notsteg durch den Pflüdder zu schlagen, indem er sagte:

»Ihr dürft natürlich nicht glauben, daß der Köbi schlankweg von ›Klauen‹ gesprochen hat. So schlau ist er auch. Er hat nur gesagt: ›Ich habe gehört, der Artikel gegen die Schenkung sei auf Amtspapier geschrieben gewesen, auf Pfarramtspapier?‹ – ›Ja, das war er‹, hat der Mann von der Zeitung erwidert. ›Ich selbst habe den Artikel dienstlich in Händen gehabt.‹ – ›Dann muß ich erklären, daß hier ein schändlicher Mißbrauch vorliegt, um mich in Verdacht zu bringen‹, hat der Köbi entrüstet zur Antwort gegeben. ›Es wäre mir wertvoll, wenn Sie das Papier heraussuchen und es mir geben wollten, damit ich entsprechende Schritte tun kann.‹«

»So ein Halunke«, seufzte einer der Männer und kratzte sich unter dem Arm. »Ja, hat er das Papier dann bekommen?«

»Einen Kabis hat er's bekommen. Aber eine Idee war es doch«, rief Brütsch, laut überlegend, und nickte sich selber zu, »sogar eine gute Idee«, rief er begeistert.

»Wieso eine Idee?«

»Weil der Zeitungsmann sich jetzt ja sagen konnte: Wart nur, Köbi, dir tu ich dafür, daß du mir wieder die halbe Platte Geschnetzeltes frißt! Und zum Dessert willst du auch noch den schlechten Kerl aus mir machen, damit du das Papier in den Ofen schmeißen und deine Spuren verwischen kannst? – Auch dafür werd' 267 ich dir tun! . . . Deswegen hat er das Papier selbst an sich genommen und hat es in seiner Matratze versteckt – ja – für später – wenn der Köbi doch wieder gewählt werden sollte.«

Wie geschmiert war die Karre ins Ziel gerollt, nachdem Brütsch, der Kutscher, die letzte Steigung glücklich gewonnen hatte.

»Da soll doch der Donner –!« rief ein anderer der Männer und hieb auf den Tisch.

»Ja, prost!« sagte Brütsch und hob befriedigt sein Glas. »Dreck, Dreck, Dreck, jedesmal mit allen Buchstaben großgeschrieben! . . . Und wenn ihr ihm jetzt noch eure Stimmen gebt, obgleich ich euch warne, so wird das Papier hervorgeholt, und wohin der Drache dann steigt, das könnt ihr euch denken.«

»Da war es aber dumm von der Frau, dir die Matratze zum Flicken zu bringen, wenn das Papier so wertvoll war«, lachte einer und blinzelte Brütsch mit einem und einem halben Auge unverschämt an.

»Dumm, sagst du? – Herrje, die Frau war schlauer als wir alle zusammen. Die wollte das gefährliche Papier doch bloß aus dem Hause haben«, versetzte Brütsch.

»So? Du hast doch behauptet, sie habe von dem Papier gar nichts gewußt?« schnappte der andere ein und glaubte Brütsch schon erwischt zu haben.

Aber Brütsch, der alte Wilddieb, war nie geistesgegenwärtiger und gewandter als im Augenblick der Bedrängnis. Kaltblütig streifte er die Schlinge vom Hals, indem er erwiderte:

»Sie hat nur so getan. In Wahrheit hat sie gehofft, daß ich das Papier dort finden und es in der ganzen Gemeinde herumzeigen werde. Dann hätte ich den Dreck mit dem Köbi am Bein gehabt. – Nein, merci für diese Ehre! Ich will seinen Untergang nicht. Er soll nur eine Warnung für die Zukunft haben, dadurch, daß er nicht mehr gewählt wird. Deswegen habe ich das Papier ihrem Mann noch am gleichen Abend zurückgebracht.

Es hatte keinen Reiz für Brütsch, jetzt noch länger zu bleiben. Höher konnte sein Glanz nach diesem Effekt ja doch nicht mehr steigen, das merkte er wohl. Er legte deswegen eine Hand voll Geld auf den Tisch, zog seine Brille hervor und begann seine 268 Schuldigkeit unter den Münzen herauszusuchen. »Aha, ein Fünfziger!« sagte er. »Ohne Brille hätte ich ihn wahrhaftig für einen Zehner gegeben.«

In diesem Augenblick guckte der Gemeindeweibel durch die Türe herein, in Mütze und Uniform, und als er Brütsch mit den andern am Tisch sitzen sah, zog eine große Zufriedenheit bei ihm ein. Er trat heran, sagte Grüetzi zu allen und, indem er seine amtliche Hand Brütsch auf die Schulter legte, sprach er höflich: »Josef, könntest du grad mal schnell mit mir kommen? Man hat mich fortgeschickt, daß ich dich suchen soll, aber du warst nicht daheim.«

Es ließ sich nicht vermeiden, daß die Gäste Gesichter machten, und daß auch Brütsch ein wenig erschrak. Der Weibel war zwar für keinen von ihnen ein gefährlicher Mann. Er war einer aus ihrer Mitte; bei manchen Gelegenheiten saß er mit ihnen beim Schoppen und ließ sich gut an. Aber in der Luft hing immer noch der Dampf dieser tückischen Matratzengeschichte, die sie sich von Brütsch hatten auftischen lassen, obgleich sie wußten, daß er manchmal ein arger Sudelkoch war, – und nun wurde der Koch bereits amtlich gesucht! Plötzlich fürchteten sie Zusammenhänge, spürten ein Jucken am Hals, und versuchten in Brütschs Mienen zu lesen.

Brütsch schien sein kurzes Betretensein jedoch sofort überwunden zu haben: »Aha!« rief er dem Weibel zu. »Ist es wegen dem toten Hund in der Kniebreche hinten?«

Nein, es war nicht deswegen – von einem toten Hund wußte der Weibel nichts. Brütsch solle mitkommen auf die Gemeindekanzlei. Es sei dort eine Vernehmung. Man wolle ihn etwas fragen.

»Da – trink!« sagte Brütsch auf diese Eröffnung hin übermütig und hielt dem Weibel den Becher hin, »weg mit dem Rest, daß sie nicht warten müssen – potz, potz, – jetzt dachte ich, sie hätten dich geschickt wegen dem Hund!«

Aber der Weibel trank nicht. Er sagte in aller Unschuld, er habe eben erst Rhabarberwähen gegessen, und dankte.

»Na, dann ein andermal«, tröstete sich Brütsch. »Bei mir gab's Böllewähen.« – Und er ließ einen Wind. 269

 


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