Adolf Koelsch
Es ist sehr weit zum Paradies
Adolf Koelsch

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VIII.

Seitdem fanden Valärs Gedanken noch manchmal den Weg zu seiner Verlobten von einst, und es war fast nicht zu ergründen, weswegen.

Denn Rosa war aus dem Kreis der Erscheinungen, die ihn bewegten, ausgeschieden gewesen wie eine Narbe, die man auf dem Rücken trägt, und auf die man nicht achtet, weil man sie nicht sieht. Er hatte nach der Trennung von ihr nur noch gehört, daß sie einen Legationsrat geheiratet habe, und daß sie seitdem bald da, bald dort im Ausland lebe. Offenbar hatte sie mit dieser Heirat nicht nur einen Strich unter ihre Jugendliebe gemacht, sondern auch den Mann von Herkunft, Namen, Besitz und einflußreicher Verwandtschaft gefunden, der ihrem Vater als Schwiegersohn vorgeschwebt hatte.

Und nun hatte sich Rosa durch diese Landstreicherin wieder bei ihm gemeldet!

Ein ganz klein wenig schlug ihm das doch auf die Seele.

Denn Valär war sich vollkommen im klaren darüber, daß seine Beziehungen zu Rosa so nicht hätten enden dürfen, wie es geschehen war. Daß sie ihn verließ, trotz des Versprechens, die Seine zu werden, weil ihr Bedürfnis, sich den Wünschen ihres Vaters zu unterwerfen, schließlich doch stärker gewesen war als die Macht, die sie zueinander hingetrieben hatte durch viele Jugendjahre hindurch, das hatte ihm nicht nur sehr weh getan, sondern war so gut wie ein Schiffbruch gewesen, der ihn um seine Habe gebracht und auf eine Insel geworfen hatte, von der er seitdem nicht mehr abgeholt worden war.

Denn so alt und erfahren er inzwischen geworden war, so konnte er sich doch kein Mädchen vorstellen, das begehrenswerter gewesen wäre als sie, die er stark und schwach, heiter und traurig, stolz und gefügig, zutraulich und scheu, hingebungsvoll und niedergeschlagen, schön und verloren, lachend und weinend gesehen hatte, und von der er wußte, daß sie keineswegs fehlerlos war.

Die Folge war, daß er nie auf ein weibliches Wesen stieß, dessen 85 Antlitz ihn so rührte, wie ihr helles, kluges, von sanftem Haar umrahmtes Gesicht, und durch ihre verhaltene Lebensart die gleichen Stürme, wie sie, in ihm erregte. Das war verhängnisvoll – auch das wußte er. Denn er war dadurch in die Schar der Ehelosen abgedrängt worden. Er unterhielt Freundschaften, pflegte Geselligkeit, hatte Kameraden, Gesinnungsgenossen, Verehrer, Neider und offene Feinde. Er war Offizier, und immer wieder traten aus der Mitte des Volkes, dem er als Bürger angehörte, Aufgaben an ihn heran, die er mit Freuden auf sich nahm, weil sie in die Zukunft wiesen. So war er in viele Menschengemeinschaften einbezogen. Aber die innerste Kammer seines Lebensgehäuses – die den Familienraum umschließende, der Frau und den Kindern vorbehaltene Kammer –, sie stand bei ihm leer.

Valär wußte, daß dies ein Mangel war. Aber er war nicht imstande, ihn aus der Welt zu schaffen. Denn Eros war gnadenlos; Eros war unerbittlich. Er stellte ihn nie vor neue Entscheidungen hin. Er führte ihm nie ein weibliches Wesen in den Weg, für das er so viel hätte empfinden können, daß es ihm möglich gewesen wäre, einen Entschluß zu fassen, der gegen Rosa ausfiel. Jedoch auch das war zu ertragen. Denn damals, als sie ihn im Stiche ließ, auf so unrühmliche Art, war er nahe daran gewesen, noch sehr viel mehr zu verlieren, so daß er das, was ihm schließlich geblieben war, noch immer als köstlich genug empfand, um mit ihm in Zufriedenheit auszukommen. Vielleicht heiratete er eines Tages noch Dinah . . .

An alles dieses mußte Valär jetzt wieder denken. Es war, als schliche der Fuchs ums Haus und hielt, bald da, bald dort, schnuppernd still, weil er von innen her das unruhige Geflatter aus dem Schlaf geweckter Hühner vernahm, die ihn durch ihren warmen Stallgeruch reizten.

 


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