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41

Und sie gewannen die Bucht und das freie Meer: der Professor, vier von den jungen Gelehrten, eine Anzahl Matrosen und Matthias. Ein mäßig großes Motorschiff trug sie, dem ein winziges Boot nachschleppte.

Das Meer flimmerte. Kehrte man sich rückwärts, so blitzten im Licht die weißen Häuser der Küste, ein leichter, freudiger Wind ging.

»Hier sind wir auf Schlammgrund,« bemerkte der Professor, der neben Matthias seinen Platz gewählt hatte und aufmerksam eine Meerkarte las. »Im Schlamm leben allerlei zarte kleine Tiere. Aber erst kürzlich haben wir nach ihnen gefischt.«

»Dies,« sagte er von Neuem nach einer Weile, »ist eine sehr tiefe Stelle, aber selten holen wir hier etwas herauf.«

»Reichen die Taue nicht so weit?«

»Es ist nicht das. Aber hier fischen wir nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Denn was aus solchen Tiefen zu uns kommt, Matthias, das ist tot.«

»Vertragen sie das Licht nicht?«

»Sie brauchen ihren Druck. In tausend Meter Tiefe und noch viel tiefer wohnen sie, und viele tausend Zentner Wasser drücken auf ihren kleinen Leib. Das schadet ihnen nichts, darauf sind sie eingerichtet, sie spüren sie gar nicht, die ungeheuere Last, und so ein kleiner Krebs zum Beispiel macht unten auf dem Boden des Weltmeers mit seinen feinen, zierlichen Beinchen ganz ohne Mühe seine graziösen Sprünge. Aber das Hinaufkommen in unsere unbeschwerte Freiheit können sie nicht ertragen, – und darum, Matthias, werden auch unter Ihren Schutzbefohlenen die allermerkwürdigsten Geschöpfe wohl niemals sein. Die märchenhaft geformten Fische der tiefsten See vor allem, sie kommen niemals lebend zu uns herauf, ihre Schwimmblase zerplatzt ihnen unterwegs, das ganze Innere quillt aus dem Munde hervor, es ist ein jämmerlicher Anblick …«

Dies alles hatte der Professor gesagt, während seine Augen auf der Orientierungskarte sorgfältig dem Laufe des Schiffes folgten.

»Halt!« rief er nun plötzlich. Man verlangsamte die Fahrt, hielt ganz, und ein riesiges Netz, aus starken Schnüren und eisengerahmt, wurde über Bord gelassen …

In sachtem Tempo verfolgte das Schiff wieder seinen Weg, die Leine begann zu zucken, man zog sie an; aber so schwer war das Netz geworden, daß man die Winde in Anspruch nehmen mußte. Endlich erschien es, inmitten trübdunklen Wassers, wurde an Bord genommen und in einen bereitstehenden Kasten sogleich entleert.

Bei alldem, und während nun die jungen Zoologen, von Matrosen unterstützt, den undurchsichtigen Brei in engmaschigen Sieben lichteten und darauf begannen, die Gefangenen zu reinigen und zu verteilen, – bei alldem stand Matthias ein wenig ratlos beiseite. Wie gerne hätte er doch geholfen …

»Manche von ihnen müssen dabei zu Grunde gehen, nicht wahr?« fragte er leise den Professor, der seine Anordnungen getroffen hatte.

»Leider. Und auch den übrigen ist es gewiß nicht recht, daß man sie stört in ihrem Frieden. Aber« – und der Professor sprach langsam – »irgendwo müssen wir ja Halt machen mit unsern Empfindungen …«

Matthias senkte den Kopf.

»Und jetzt,« fuhr Kostomarow in einem veränderten, munteren Tone fort, »jetzt nehmen Sie einmal diese beiden Krebschen in das Glas hier … sachte, sachte, es sind weiche Herren mit einem noch neuen Panzer, wie ich sehe. Gießen Sie etwas von dem Seewasser ein und aus und schütteln Sie dabei das Glas ein wenig. So … wir werden sie schon wieder sauber und glücklich machen, die beiden …«

Und Matthias war dankbar und gehorchte dem Professor mit einer unendlichen Behutsamkeit. Kostomarow wies ihm neue Tiere zu … Bald waren die Hände über und über vom Lehme gelb. »Dort links ist Wasser und Seife,« sagte der Professor, der sein Tun nicht aus den Augen ließ. Und lächelnd, mit einem beginnenden Glücksgefühl, wusch sich Matthias.

Mit einem Mal aber wurde er müde. Er setzte sich wieder auf die Rundbank am hinteren Ende des Schiffes, und nur noch mühsam hielt er die Augen offen.

Aber sie sollten offen sein … Wieder gab es Neues zu sehen. Er drehte sich mit einer kleinen Anstrengung um und blickte nach rückwärts über Bord.

Einer der Matrosen war in das nachschleppende Boot geklettert. Er hielt ein Glas in der Hand. Matthias mußte denken, daß es ein Ding sei wie die Einmachgläser zu Hause; er schmeckte Himbeeren auf seiner Zunge … Halb schon im Schlaf sah er einen Schwarm rotschimmernder Quallen sacht schaukelnd an der Meeresoberfläche daherschwimmen … Langsam, vorsichtig fuhr das Schiff. Die Sonne flirrte auf den kaum bewegten Wellen. Matthias stützte auf dem Schiffsrande seine Wange bequem in die Hand und sah hinab. Es schien nicht leicht, die schönen Tiere zu fangen, – so oft der Matrose mit seinem Glase sich näherte, tauchten sie verängstigt hinunter.

»Und doch, und doch,« dachte Matthias, »man sollte sie alle in ihrem Meere lassen …«

Allein der Matrose begann kreisförmige Bewegungen mit seinem Glas zu vollführen, im glatten Wasser entstand ein Wirbel, willenlos wurden ein paar von den schwimmenden Wesen in dem kleinen Strudel umhergetrieben, willenlos strömten sie ein in das Glas …

Und wieder, ein neues Behältnis in der Hand, Zog der Mann seine magischen Kreise. Aber Matthias sank in Schlaf vor der sanften Bewegung.

 


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